Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Jetzt hatte er seinen Rundgang beendet. Die Stille um ihn her legte sich wie ein Alb auf seine Brust. Unschlüssig stellte er die Lampe auf das zierliche Rokokotischchen in der Vorhalle und setzte sich in einen der steiflehnigen, seidegepolsterten Stühle. Was sollte er tun? Schlafen gehen? Das wäre das verkehrteste gewesen. Begann dieses schauerliche Konzert von neuem, würde er ja doch wieder aufstehen.
Dann dachte er an die Hausmeistersleute im Wirtschaftsbau. Ob die wohl auch etwas gehört hatten? Vielleicht waren sie wach, hatten Licht gemacht in ihrem Stübchen. Dann könnte er den Alten einmal fragen, was der von diesem jämmerlichen Gekreisch hielt. Eine Erklärung dafür mußte sich ja finden lassen, mußte! Und bevor sie nicht gefunden war, ging Fritz Schaper auf keinen Fall zur Ruhe. Das hatte er sich vorgenommen und das führte er auch durch.
Von dem hinteren, auf den Park mündenden Flurfenster ließ sich der Anbau bequem überblicken. Der Detektiv öffnete es und lehnte sich weit hinaus.
Die Wohnung der Truschinskis war hell erleuchtet, ebenso die Küche.
Gleich darauf stand Schaper in dem peinlich sauberen Stübchen dem Hausmeister gegenüber, der, in einen alten Schlafrock gehüllt, wie Espenlaub zitterte und aus dessen weiten Augen, die in dem blassen, runzligen Gesicht unnatürlich groß erschienen, eine wilde Angst hervorleuchtete. Frau Truschinski, nur spärlich bekleidet, hockte neben dem mächtigen Kachelofen in einem Großvaterstuhl und hielt die Hände wie zum Gebet gefaltet im Schoß.
»Dem Himmel sei Dank, daß Sie kommen, Herr Müller,« flüsterte der Alte und drückte hinter dem späten Gast die Tür eilig ins Schloß. »Wir sind hier vor Entsetzen schon halbtot. Haben Sie gehört – haben Sie gehört –?!«
»Deswegen bin ich ja hier,« sagte Schaper mit möglichster Gelassenheit. »Was ist denn das eigentlich für ein Gewim… – – –«
Schaper erstarb das Wort im Munde. Denn wie zum Hohn erklang urplötzlich wieder ein heiserer, markerschütternder Schrei, schwoll zu den höchsten Fisteltönen an und erstarb allmählich in leisem, stöhnendem Winseln.
Dann abermals die Stille, in die sich so beruhigend, so friedlich nur das Rauschen der Bäume des Parkes mischte.
Truschinski hatte die Hände fest gegen die Ohren gepreßt. Sein Körper schwankte schier kraftlos hin und her. Angstvoll starrte er, wie hilfesuchend, auf den Detektiv, der mit gefurchter Stirn, im Gesicht den Ausdruck höchster Spannung, dastand.
Schaper tat der alte Mann leid. Er nickte ihm ermutigend zu und deutete durch eine Handbewegung an, daß ›der Geist‹ wieder eine Ruhepause habe eintreten lassen. Truschinski ließ daraufhin seine Arme sinken.
»Haben Sie dieses seltsame Geräusch schon früher einmal gehört, Herr Hausmeister?« fragte Schaper freundlich, indem er dem Alten wohlwollend auf die Schulter klopfte.
Truschinski nickte eifrig.
»Ja, Herr Müller – zweimal schon.«
»Wann war das?«
»Zuletzt vor drei Monaten etwa. Der andere Fall ist länger her, mindestens ein Jahr.« Dem Alten fiel das Sprechen schwer. Sein Unterkiefer gehorchte ihm nicht und zitterte wie im Fieber.
In demselben Moment hörte Schaper in seinem Rücken das Knarren einer Tür. Hastig drehte er sich um. –
Es war der Schwachsinnige, der eben aus einer kleinen Seitenkammer, seinem Schlafraum, heraustrat.
Schaper reichte ihm die Hand hin und sagte lächelnd:
»Nun, auch aufgewacht?«
Doch Max Truschinski nahm keine Notiz von ihm. Mit einem schlauen Grinsen flüsterte er seinem Vater zu, der ihn mißbilligend betrachtete:
»Schwarzer Moritz – schwarzer Moritz – Mäxchen Moritz hören –«
Der Detektiv verstand sofort. Also, das war der Geist! – Der Rumtreiber, der Kater, hatte seine alte Heimstätte wieder aufgesucht, war vielleicht durch Zufall irgendwo eingesperrt worden und verlangte mit den mauzenden Tönen, die wohl lautverstärkt durch das nächtliche Haus drangen, seine Freiheit zurück.
Als Schaper jedoch den Hausmeister mit etwas ironischem Gesicht diese sehr einleuchtende Erklärung mitteilte, schüttelte der Alte ungläubig den Kopf. Trotzdem ließ er sich schließlich überreden, sofort gemeinsam mit dem Detektiv alle Räume zu durchsuchen. Unaufgefordert schloß sich den beiden auch der Geisteskranke an, der sich freuen mochte, wenigstens einen seiner früheren vierbeinigen Spielgefährten wiedergefunden zu haben.
Nach einer Stunde langte der kleine Trupp jedoch unverrichteter Sache wieder in der Vorhalle an. Der Kater war nirgendwo aufzuspüren, obwohl man sämtliche Gelasse, auch die nicht allzu ausgedehnten Keller sorgfältig abgeleuchtet hatte, wobei der alte Truschinski sich stets vorsichtig im Hintergrunde hielt.
Schweigend standen die drei beieinander. Das klägliche Gewimmer hatte sich in der Zwischenzeit nicht wieder vernehmen lassen. Da sagte der Detektiv mit herzhaftem Gähnen:
»Ich denke, mein lieber Truschinski, wir gehen wieder zu Bett. Nun haben Sie ja wohl selbst gesehen, daß es hier keine Gespenster gibt und werden ruhig schlafen, selbst wenn das Gewinsel sich nochmals hören läßt.«
Zufällig hatte Schaper bei diesen Worten mit einem Blick das Gesicht des Schwachsinnigen gestreift. Auf dessen Zügen lag jetzt eine seltsame Mischung von Schadenfreude, höhnischem Spott und Geringschätzung. Und diese Beobachtung veranlaßte den Detektiv, ganz unvermittelt den Kranken anzureden:
»Nicht wahr, Max, es war dein schwarzer Moritz, der vorhin so kläglich schrie?«
Der Erfolg dieser Frage war ein ganz anderer als Schaper erwartet hatte.
Die Gesichtszüge des jungen Menschen verzerrten sich vor Wut, und die Finger seiner halb erhobenen Hände wie im Krampf öffnend und schließend, kreischte er in höchster Erregung:
»Nicht Moritz – Moritz weit weg. – Gar nicht suchen – Nicht finden Moritz – Schöner Moritz fort.«
Und doch merkte Schaper deutlich, daß in der Fistelstimme des Geisteskranken etwas wie versteckte Angst zitterte. Er ließ sich aber nichts anmerken, sagte Vater und Sohn freundlich gute Nacht und stieg in sein Schlafzimmer empor, sehr langsam, sehr gedankenvoll.
Der Rest der Nacht verlief ohne weitere Störung. Und Schaper schlief traumlos und fest bis in den hellen Morgen hinein.
8. Kapitel
Es war am nächsten Vormittag gegen elf Uhr. Schaper, der soeben das ihm von der Hausmeisterin servierte Frühstück in aller Behaglichkeit verzehrt hatte, begab sich, mit einem Buch unter dem Arm, in den Park hinab, um unauffällig eine neue Begegnung mit dem Schwachsinnigen herbeizuführen. Die Ereignisse der verflossenen Nacht, besonders der Abschluß der Nachsuche in der Vorhalle, wo Max Truschinski ein so merkwürdiges Benehmen an den Tag gelegt hatte, waren für den Detektiv von weit größerer Bedeutung geworden, als er es zunächst geahnt hatte. Denn das eine stand nun fest: Dieser Geisteskranke war durchaus nicht so harmlos und hatte fraglos irgend ein Geheimnis zu bewahren, dessen Aufdeckung er bei einer noch sorgfältigeren Durchsuchung des Gebäudes befürchtete. Nur so war sein Verhalten zu erklären, nur so seine Worte, durch die er den Detektiv plötzlich glauben machen wollte, daß der Kater als Urheber der seltsamen Klangtöne nicht in Frage käme, obwohl er es doch gewesen war, der Schapers Gedanken erst auf das Katzentier gelenkt hatte.
Aus diesen Gründen war der Detektiv fest entschlossen, den jungen Menschen nunmehr unausgesetzt heimlich zu überwachen und nebenbei zu versuchen, durch geschickte Fragen ihm sein Geheimnis zu entlocken.
Vor dem Küchenanbau traf Schaper beim Verlassen des Hauses mit dem alten Truschinski zusammen, der sich heute besonders feingemacht hatte, und auf eine schmeichelhafte Bemerkung des Detektivs hin dann erzählte, daß er am Morgen eine