Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
zu dem gleichen Zweck benutzte.
Es war ein etwas kleinerer Raum als das Arbeitszimmer, nur mit dem Notwendigsten möbliert und über dem an den Wänden entlanglaufenden, gut anderthalb Meter hohen Holzpaneel mit einem dunklen, verschossenen Stoff verkleidet, der den düsteren, unfreundlichen Eindruck dieses Gemachs noch verstärkte.
In kurzer Zeit hatte Schaper sich entkleidet und schlüpfte in das breite Bett, dessen Kissen und Zudecke Frau Truschinski für den Herrn Architekten mit frischen, blütenweißen Bezügen versehen hatte. Aus alter Gewohnheit blätterte der Detektiv dann noch die Abendzeitung durch. Aber die Augen fielen ihm immer wieder zu. Da löschte er die auf dem Nachttischchen stehende Lampe aus, drehte sich nach der Wand zu und schloß die müden Lider.
Er war bereits halb eingeschlummert, als er plötzlich hochfuhr und lauschte. Regungslos saß er aufrecht in den Kissen. Alle seine Sinne waren gespannt. Doch er hörte nichts mehr.
Sollte er sich wirklich so getäuscht haben? Hatte er nur geträumt? Undenkbar! Zu deutlich war ein leises Geräusch wie von vorsichtig schleichenden Schritten an sein Ohr gedrungen, ein Tappen und Scharren, das sich ganz in seiner Nähe und offenbar im Zimmer selbst bemerkbar machte.
Da – wieder dieselben Laute. Und jetzt war’s, als ob ein Mensch mit seinen Kleidern aus Unvorsichtigkeit an den Wänden entlangstreifte.
Der Detektiv, der das, was andere Nerven nennen, stets geringschätzig lächelnd als eine Schwäche bespöttelt hatte, fühlte mit einem Mal, wie sein Herz in schnelleren Schlägen gegen die Brust hämmerte, wie ein merkliches Unbehagen ihn beschlich. Sein Hirn gebar mit Blitzesschnelle in hastender Jagd alle möglichen Gedanken. Befand sich jemand in diesem Raum, der vielleicht einen Anschlag auf sein Leben beabsichtigte? Strich womöglich der schwachsinnige Sohn des Hausmeisters jetzt bei Nacht lautlos durch die Zimmer? –
Aber das war ja ausgeschlossen. Er hatte die Türen fest verriegelt. Und diese Türriegel an den Schlössern stammten noch aus einer Zeit, wo man mehr auf solide Arbeit, als auf gefälliges Aussehen gab.
Wieder lauschte er in das graue Nichts hinein und versuchte, mit den Blicken die ihn umgebende Finsternis zu durchdringen. Die dunklen Fenstervorhänge schlossen jedoch so dicht, daß nicht einmal ein winziger Strahl der Gaslaternen von der Straße aus in das Zimmer drang.
Dann – abermals das Scharren und Tappen, so deutlich vernehmbar, wie dies nur ein in demselben Raum befindliches lebendes Wesen verursachen konnte. Ohne Zweifel, das Geräusch kam aus der linken Ecke, die die Wand nach dem Korridor hin mit der des Arbeitszimmers bildete.
Da hatte Schaper auch schon die Streichholzschachtel, die in Griffnähe auf dem Nachttisch lag, gefaßt und strich ein Hölzchen an. Flackernder Schein, der erst langsam heller wurde, tanzte über den düsteren Raum und die wenigen Möbelstücke hin.
Aber das Zimmer barg kein Wesen, das hier zu dieser Stunde nichts zu suchen hatte. So viel sah der Detektiv noch, bevor das Hölzchen erlosch.
Er strich ein zweites an, hielt es schnell an den Lampendocht und bald erfüllte das rötliche Licht dieses ungemütliche Schlafgemach mit seinem Schein. Dann erhob Schaper sich, zog notdürftig etwas an, nahm die Lampe in die Linke und seine bis dahin unter dem Kopfkissen verwahrte Selbstladepistole in die Rechte und leuchtete nun zunächst einmal jeden Winkel ab.
Er fand nichts, nichts.
»Unglaublich,« murmelte er vor sich hin, »und ich hätte weiß Gott was gewettet, daß hier irgend jemand im Zimmer herumschleicht. Sehen wir nebenan nach.«
Aber auch in dem Raum, in dem Gottfried Marschall ein so furchtbares Ende gefunden hatte, entdeckte er nicht das geringste Verdächtige. Schließlich begab er sich auch noch auf den Korridor hinaus – aber auch dort keine Spur eines lebenden Wesens.
Totenstille herrschte im Hause.
Unzufrieden mit sich kehrte der Detektiv in sein Schlafgemach zurück. Als er gerade die Schwelle überschritt, setzte die Standuhr neben dem Schreibtisch im Arbeitszimmer mit Surren zum Schlagen an.
Der dumpfe Gongton des Schlagwerks, die langsam, gemächlich aufeinander folgenden, hallenden Töne, berührten den Detektiv unangenehm. Und er war froh, als der zwölfte Schlag endlich leise nachklingend verstummte.
Unwillkürlich schoß es ihm durch den Kopf:
›Zwölf Uhr – die Stunde der Geister!‹
Ärgerlich über diesen Rückfall zu Vorstellungen aus der Kinderzeit, schraubte er jetzt wie zum Trotz die Lampe aus und entkleidete sich im Dunkeln.
Fünf Minuten später war er wirklich eingeschlafen. Wirre Träume rauschten wie dunkle Vögel an seinem Bewußtsein vorüber. Grinsend, die bleichen Gesichter schrecklich verzerrt, traten ihm Hand in Hand Hektor Brieux, den er von Bildern kannte, und der ermordete Rentier entgegen und begannen einen grotesken Tanz, bei dessen Figuren jeder Schritt Gottfried Marschalls sich auf dem weißen Boden irgend einer phantastischen Schneelandschaft durch die großen Blutstropfen kennzeichnete, die ihm unaufhörlich aus der Brust hervortropften und an der Innenseite des flatternden Schlafrocks entlangrannen.
Ein anderes Bild – der irrsinnige Max Truschinski jagte hinter dem wehrlosen Boto Wendland her, schwang in der rechten Hand ein blutiges Dolchmesser; jetzt reckte sich sein langer Affenarm nach seinem Opfer aus, erfaßte den Schauspieler, der ein wahnwitziges Angstgeschrei ausstieß – schrill – vibrierend vor zitternder Furcht – laut – gellend, als wollte er die ganze Welt zur Hilfe herbeirufen.
Das Geschrei dauerte an – Töne, die anschwollen, wieder verklangen. – Eine Pause. – Wieder setzte es ein – – –
Fritz Schaper rieb sich die Augen – das war kein Traum mehr, das war Wirklichkeit. Unheimliche Laute drangen an sein Ohr. Ein Kreischen, ein Jammern, wie von einem Menschen in höchster Todesnot, erfüllte das Haus, halte in der nächtlichen Stille um so eindringlicher wider.
Mit einem Satz war der Detektiv aus dem Bett. In der Eile fielen ihm die Zündhölzer zu Boden. Leise fluchend tastete er mit den Händen auf dem Vorleger herum. – Endlich – endlich.
Das Licht der Lampe flammte auf. War’s ein Zufall? – In demselben Moment erstarb diese Flut nervenpeinigender Töne erneut in einem fast menschlichen Seufzer.
Atemlos lauschend stand Schaper da. Minuten vergingen. Nichts rührte sich im Hause. Unten auf der Straße ratterte ein Auto vorüber, gleich darauf klapperten die müden Eisen eines Taxametergaules auf den Steinen. Auch das Geräusch verlor sich schnell in der Ferne.
Der Detektiv, nur mit dem Nachthemd bekleidet, fühlte, wie die Kälte ihm wie ein Eiseshauch den Rücken hochkroch. Oder war’s etwas anderes? Waren’s doch die Nerven, die oft bespöttelten Nerven?!
Lautlos streifte er schnell wieder die Kleider über. Alle seine Sinne waren wach. Unausgesetzt wartete er, daß das furchtbare Konzert erneut einsetzte.
Eben hatte er die Hand nach der Lampe ausgestreckt, da begannen diese jammernden, stöhnenden Laute abermals. – Fraglos, sie kamen aus dem Korridor, aus nächster Nähe.
Ein kurzes Zaudern, dann eilte der Detektiv, die Lampe weit von sich haltend, in den Flur hinaus.
Noch immer klang das Stöhnen, das Seufzen, scheinbar aus allen Winkeln und Ecken hervor. Gleichsam umwogt von diesen Tönen näherte Schaper sich der Freitreppe, die in die Vorhalle hinunter führte.
Jetzt war’s ihm wieder, als dringe das jammernde Kreischen aus dem Vestibül herauf. Weit beugte er sich über das Treppengeländer, leuchtete mit der Lampe hinab. Aber deren Schein war zu schwach. Nur eine graue Dämmerung, aus der die Konturen der Möbel unklar hervortraten, lag unter ihm.
Es kostete Schaper doch einige Überwindung, seine Untersuchung auch auf das Erdgeschoß auszudehnen. Inzwischen war wieder Stille eingetreten, förmliche Grabesstille. Lautlos glitten des Detektivs in weichen Morgenschuhen steckende Füße über die dicken Läufer hin. Nur die Glocke der altersschwachen Petroleumlampe klirrte ganz leise gegen den Messingrand.
Jeder Winkel wurde besichtigt, hinter jedes