Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
dessen gegenüberliegender Wand eine breite, dunkle Öffnung gähnte.
»Die Fortsetzung des Ganges,« meinte der Detektiv, mit der Hand auf die Maueröffnung weisend.
Dann ließen sie das Licht der Laterne über die mit Staub und leise hin und her wehenden Spinngewebe dicht bedeckten Wände gleiten.
»Sehen Sie, dort in der Ecke steht eine längliche Kiste, Schaper,« rief Heiling jetzt. »Und hier – wahrhaftig – das ist ein kleiner Handkoffer, und auf diesem – tatsächlich, es ist ein heller Damenmantel.«
Mit einem schnellen Schritt war der Detektiv an seiner Seite. Nachdenklich betrachtete er die Kiste, beschaute sich dann auch das mit einer dicken Staubschicht bedeckte Kleidungsstück und den Koffer.
Dann erklärte er: »Doktor, warten Sie hier einen Moment. Ich eile nur nach oben und suche mir ein Instrument, mit dem wir diese vernagelte Kiste, deren Inhalt mich lebhaft interessiert, öffnen können. Oben im Flur habe ich einen kleinen Kasten mit Handwerkszeug stehen sehen das wahrscheinlich Truschinski gehört. Vielleicht finde ich darin etwas Brauchbares.«
Schon nach wenigen Minuten kehrte Schaper mit einem Stemmeisen in der Hand zurück.
»So, nun halten Sie mal meine Laterne,« bat er kurz, kniete nieder und arbeitete mit fieberhafter Eile an dem oberen Brett.
Dann ein Knacken, ein Splittern von Holz – der Deckel flog auf. Starker Kampfergeruch quoll hoch.
Neugierig beugte sich Heiling weit vor. In der Kiste lag ein länglicher Gegenstand, der dicht mit einem weißen Pulver bestreut war. Und mitten auf dieser Pulverschicht schimmerte es wie ein helles Viereck.
Schaper bückte sich schnell, griff danach und – hielt einen mehrfach versiegelten Brief in der Hand. Schnell wischte er die Staubschicht von der Vorderseite ab. Schriftzüge wurden sichtbar.
»Mein Geständnis,« las der Detektiv vor. Und fügte hinzu, kopfschüttelnd, sehr ernst:
»Wissen Sie auch, Doktor, was diese Kiste enthält? – Nichts anderes, als die in Chlorkalk eingebettete Leiche der Frau Antoinette Marschall, geborene Brieux.«
Dann schnitt er mit seinem Taschenmesser den Umschlag des Briefes auf und zog einen mehrfach zusammengefalteten Bogen heraus.
»Leuchten Sie mir, Doktor – So, – ich werde Ihnen dieses Geständnis vorlesen.«
Er begann:
»In der Annahme, daß ein Zufall – vielleicht sogar erst nach meinem Tode – mein Geheimnis an den Tag bringt, will ich hier die volle Wahrheit eingestehen. Eines Tages überraschte ich meine Frau, wie sie gerade einen Brief beendet hatte – ihren Abschiedsbrief für mich, in dem sie schrieb, daß sie mich für immer verlassen wolle. Es kam zu einem Streit zwischen uns, und in blinder Wut versetzte ich ihr einen Stoß, der sie zu Boden warf. Im Fallen schlug sie auf eine Stuhlkante mit dem Kopfe auf und muß sich hierbei die Nackenwirbel gebrochen haben. Sie war sofort tot. Aus Furcht vor Strafe schaffte ich dann die Leiche in dieses geheime Gemach, von dessen Existenz ich durch einen Zufall bald nach meinem Einzug in das Katzen-Palais Kenntnis erhalten hatte. Ich selbst habe den Hut und das Handtäschchen der Toten an das Ufer des Wannsees gebracht, um den Anschein zu erwecken, als habe sie sich ertränkt. Oft genug bin ich später hier in diesem unterirdischen Raum gewesen und habe an der Leiche meiner Frau mit dem Schicksal gehadert, das mir nur Enttäuschungen und Bitternisse aufgeladen hat – nichts weiter.
Gottfried Marschall.«
Schweigend schob Schaper den Brief in seine Brusttasche und zog das zurückgeschobene Brett wieder über die Kiste.
»Kommen Sie, Doktor,« sagte er dann. »Lassen Sie uns nun schnell den Gang bis zum Pavillon verfolgen. Wir müssen nachher sofort zur Polizei. Der Kommissar wird sich wundern, was wir ihm für Nachrichten bringen!«
So drangen sie in den vielleicht eineinhalb Meter breiten Gang ein und schritten langsam vorwärts, der Detektiv immer ein gutes Stück voraus.
Plötzlich blieb Schaper stehen und stieß einen Ruf der Überraschung aus. Gleichzeitig vernahm Heiling, der sich, eine neue, nicht vorhergesehene Entdeckung ahnend, dicht neben den Detektiv gedrängt hatte, einen widerlichen Geruch, der ihm in ekelerregender Stärke in die Nase stieg. Es war der Duft des ihm bekannten aufdringlichen Parfüms, vermischt mit den widerlich süßlichen und doch scharfen Ausdünstungen eines verwesenden Körpers.
Und dann – dann erblickte der Rechtsanwalt die regungslose Gestalt eines Menschen, der mitten in dem Gang am Boden lag und den das helle weiße Licht der Azetylenlaternen mit grauenerregender Deutlichkeit beschien.
»Hektor Brieux,« sagte Schaper leise, als ob er zu sich selbst spreche.
Wie gebannt blieb Heiling an derselben Stelle stehen an der er gehalten hatte, während der Detektiv näher trat und sich über den Leichnam dessen beugte, der seit dem Tage des Mordes vermißt wurde.
Langsam richtete sich Schaper nach einer Weile wieder auf, nachdem er auch flüchtig den Inhalt der Taschen des Toten besichtigt hatte.
»Erwürgt,« gab er sein Urteil ab, »erwürgt nach einem heftigen Kampf von einem ihm an Kräften weit überlegenen Gegner. Der Kragen und die Krawatte sind zerfetzt, und am Halse sieht man deutlich die Würgemale. Nun ist auch der allerletzte Zweifel geschwunden, ob Hektor Brieux wirklich der Täter – der Einbrecher und der Mörder seines Onkels – gewesen ist. In seinen Taschen stecken außer den gestohlenen Wertsachen auch die beiden Schlüssel, die ihm Thomas Neuholm besorgt hat.«
Heiling kämpfte in dieser verpesteten Luft, im Anblick dieses verzerrten, aufgedunsenen Totengesichts mit einer immer stärker werdenden Übelkeit.
»Kommen Sie, Schaper – ich halte es hier nicht länger aus,« bat er, indem er sich matt gegen die Mauer lehnte. »Noch ein paar Minuten, und ich falle um. Ich besitze nicht Ihre Nerven –«
Schleunigst traten die beiden nun den Rückweg an. Und der Rechtsanwalt atmete ordentlich erleichtert auf, als sie sich wieder oben in dem Arbeitszimmer befanden, das gerade von den letzten Strahlen der hinter dem Häusermeer der Riesenstadt untertauchenden Sonne beschienen wurde.
Erschöpft ließ Heiling sich in den nächsten Sessel sinken.
»Entsetzlich,« murmelte er vor sich hin. »Wer hätte das gedacht –!«
Schaper, der eben mit einer Bürste seine Kleider von den anhaftenden Gespinstfäden reinigte, nickte ernst.
»Ja, ja Doktor, diese Überraschung haben wir uns beide nicht träumen lassen! – Sehen Sie nun ein, daß ich mich bei diesem Fall eigentlich ziemlich blamiert habe? Ich als Detektiv hätte, als ich die Taschenlampe brennend hier im Zimmer fand und als Wendland als Täter nicht mehr in Frage kam, sofort an einen geheimen Eingang in das Katzen-Palais denken müssen, besonders wo es sich doch bei diesem Hause um einen alten fürstlichen Besitz handelt und die Adelsgeschlechter und Fürstenhäuser es bekanntlich früher liebten, in ihre Paläste solche unterirdischen Gänge und verborgene Türen einbauen zu lassen.«
Heiling, der sich inzwischen etwas erholt hatte, beschäftigte jedoch eine andere Frage viel zu sehr, als daß er sich die Zeit ließ, auf diese Selbstvorwürfe Schapers etwas zu erwidern. Indem er die Hand gegen den Detektiv ausstreckte, und diesen zwang, mit seiner Reinigungsarbeit einen Moment aufzuhören, sagte er in höchster Spannung:
»Und der Mörder des Hektor Brieux? – Ich vergaß vor würgender Übelkeit ganz und gar danach zu fragen.«
»Kein anderer kann es gewesen sein, als Max Truschinski, der Schwachsinnige,« erwiderte Schaper bestimmt. »Er wird – wahrscheinlich ist er Brieux nachgeschlichen – mit diesem in dem unterirdischen Gang aneinandergeraten sein, da der Regierungsreferendar fraglos versucht hat, diesen gefährlichen Zeugen aus dem Wege zu räumen. Auf diese Weise haben wir auch gleich eine Erklärung dafür gefunden, wie der Kater dieses Mal in den geheimen Gang gelangt ist. Das Tier hing sehr an dem Geisteskranken und wird ihm, als der durch den Pavillonzugang in den unterirdischen Verbindungsweg eindrang, gefolgt, nachher aber nicht wieder mit ihm herausgekommen sein. Und erst durch