Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Beduinenflinte auftauchte. Dreßler kaufte die Waffe, und bei dieser Gelegenheit merkte er, einen wie kunstverständigen Sinn der kleine Händler besaß. Nicht nur alte Möbel und allerlei Raritäten wußte dieser sehr genau ihrem Werte nach abzuschätzen, sondern auch seine Allgemeinbildung gingen weit über die sonstigen Kenntnisse seiner Zunftgenossen hinaus. Dabei besaß Jakob Wenzel einen erstaunlichen Lerneifer, den sein einziges, leider verwachsenes Kind immer wieder anzuregen wußte. – Wera Wenzel, die ihre Mutter früh verloren hatte, war so selbstständig erzogen, wie dies nur die eigentümlichen Lebensbedingungen in den drei Parterrezimmern von Haustor Nr. 16 mit sich bringen konnten. Ihr Vater, dessen einzige Freude sie war und der in ihr das Bild der verstorbenen Gattin fast abgöttisch weiterliebte, hatte sich das Geld vom Munde abgespart, um seinem einzigen Kinde eine gute Erziehung geben zu können. Und die Tochter dankte ihm diese Aufopferung mit einer geradezu rührenden Gegenliebe.
Zwischen Dreßler und Wera Wenzel bildete sich mit der Zeit ein Freundschaftsverhältnis heraus, wie man es selten zwischen zwei so grundverschiedenen Naturen finden wird. Wera, – Wera Wenzel! Wie seltsam hatte Dreßler dieser Name berührt, als er ihn zuerst hörte. Wera! Ein Weib blond, mit Nixenaugen und einem verführerischen Lächeln um einen süßen Mund, – so hatte er sich das Bild eines Mädchens mit diesem Namen in seiner Phantasie stets gezeichnet. – Und diese Wera, – klein, blaß, mager – und doch in dem schmalen Gesichtchen mit den großen Augen einen Zug, aus dem eine große Seele, ein feinempfindendes, tiefveranlagtes Gemüt sprach.
Eines Tages, – Dreßler konnte die Frage nicht unterdrücken, – hatte er Jakob Wenzel ausgeforscht, warum er seinem Kinde gerade diesen Vornamen gegeben habe. Und da war über den kleinen Trödler die Erinnerung an seine schönste Zeit gekommen. – Jakob Wenzel hatte noch heute eine große Vorliebe für das Theater. Und diese stammte aus der Vergangenheit her, aus jener Zeit, wo er, kaum achtzehnjährig, den Kontorschemel mit den Brettern, die die Welt bedeuten, vertauscht hatte. Er war damals einfach auf und davon gegangen, um sich einer reisenden Schauspielertruppe anzuschließen. Seine Augen leuchteten noch begeistert, wenn er wieder einmal auf jene Tage zu sprechen kam, wo er in einer der kleinen Posenschen Städte mitgeholfen hatte, eine Einnahme von durchschnittlich fünfzig Mark pro Abend zu erzielen. Und der frühere Schmierenschauspieler, damals Viktor Sorani, jetzt Jakob Wenzel, hatte sich schon in jenen Zeiten schauspielerischen Ehrgeizes gesagt, daß, falls ihm später einmal Familie beschieden sein sollte, seine Tochter nur Wera und sein Junge nur Egon heißen dürfe. Als er sich das vornahm, war er kaum zwanzig Jahre alt und mit 60 Mark Gage pro Monat bei der Truppe Gebrd. Seiler als zweiter Liebhaber und jugendlicher Komiker engagiert. Und als ihm, dem Vierzigjährigen, seine Frau dann wirklich ein Töchterlein schenkte, da nannte er sie Wera, – nach Wera, der Heldin irgend eines Birch-Pfeifferschen Rührstückes.
Doktor Dreßler saß heute nicht zum ersten Mal in dem kleinen, so behaglichen Wohnzimmer, das überall die Spuren weiblicher Sorgfalt und feinen Geschmackes zeigte. Für Jakob Wenzel, den Antiquitätenhändler, war dieser Raum mit seinen eleganten Möbeln, den teuren Stichen und dem großen Teppich, dessen Muster zu dem Bezug der Sessel ebensogut wie zu der blaugrauen Tapete paßte, eigentlich viel zu vornehmen. Jedenfalls hätte ein Besucher des kleinen Ladens, in dem auf Wandbrettern und in hohen Gestellen tausend Dinge, vom getragenen Militärrock bis zum alten, aus Elfenbein geschnitzten Schachspiel einfach alles vorhanden war, nie vermutet, hinter diesem Laden und einem ebenso vollgepfropften Korridor ein so anheimelndes Gemach zu finden, das so ganz eine Welt für sich bildete und in dem zwei Menschen ein einsames und doch zufriedenes Leben führten.
Der Doktor hatte, nachdem Frau Wieland ihn verlassen, mit großer Sorgfalt sich die Ereignisse dieses Tages mit all ihren Einzelheiten notiert, trotzdem er ein sehr gutes Gedächtnis besaß. Dann erst sprach er mit ebenso großem Eifer dem Abendessen zu, das Kascha ihm in der schnell wieder zum Speisezimmer umgewandelten anderen Seite seiner Studierstube aufgetischt hatte.
Inzwischen war es neun geworden, und Dreßler verspürte allmählich, wie seine Nerven nach all den Aufregungen zu streiken begannen. Was half es ihm, daß er seine Gedanken von diesen Geschehnissen abzulenken versuchte, daß er sich an seinem Arbeitstisch zu schaffen machte und dazu eine Zigarette nach der anderen rauchte. Sein Denken drehte sich ja doch immer wieder um denselben Mittelpunkt: Um den rätselhaften Fall Michael Durgassow. – Schließlich flüchtete er sich dann hinunter in Jakob Wenzels Behausung. Und was er selbst nicht vermocht hatte, die blasse Wera brachte es fertig. Er vergaß Michael Durgassow und die Sorgen seiner Freunde wenigstens für kurze Zeit.
Die beiden plauderten jetzt so angeregt von diesem und jenem, dann, nach einer Pause im Gespräch, bat Dreßler in seiner liebenswürdigen Art:
»Sie könnten mir etwas vorspielen, Fräulein Wera, ich träume so gern dabei.«
Ohne Zögern erhob sie sich und schlug den Deckel des Pianos zurück. Einige Akkorde anschlagend, fragte sie, sich halb zu ihm hinwendend:
»Ernst oder heiter, Herr Doktor?«
»Ernst – dämonisch, geheimnisvoll,« meinte er lächelnd und nickte ihr zu.
Sie setzte sich und sann wenige Augenblicke nach. Dreßler aber vertauschte ganz leise seinen bisherigen Platz mit einem Schaukelstuhl, in den er sich behaglich zurücklehnte.
Dann spielte sie den »Feuerzauber« aus der Walküre. Und wieder, wie schon so oft, kam dem Manne der Gedanke, welchen Schatz von Talenten dieser schmächtige, verunstaltete Mädchenkörper in sich barg. Er lauschte, schloß die Augen. Da kam die Sehnsucht über ihn, – wie stets, wenn er Musik hörte, diese Sehnsucht nach einem großen Glück, das für ihn doch nur Anna Wieland heißen konnte.
Und die, die in ihm diese Sehnen nach dem geliebten Weibe durch die Macht der Töne geweckt hatte, saß da und legte ihren ganzen, stets so still verborgenen Glückshunger in ihr Spiel. Plötzlich brach das Brausen der Töne mit einem schrillen Diskantton ab. Erstaunt öffnete Dreßler die Augen. Und was er sah, wunderte ihn mehr als die Überraschungen des Tages. – Wera Wenzel hatte die Arme auf die Klaviatur gestützt und ihr Gesicht in den Händen verborgen. Sie weinte, daß ihr zarter Körper hin und her geschüttelt wurde. Und trotzdem hörte man nichts als ein leises, leises Wimmern.
Dreßler war aufgestanden und hinter sie getreten.
»Fräulein Wera, - was haben Sie denn? Was quält sie?« – Da stand sie jäh auf. Und mit einer Energie, die sie unter Tränen lächeln ließ, sagte sie: »Seien Sie nicht böse, Herr Doktor. Aber bisweilen packt es mich so wunderbar bei den Klängen dieser Musik. Sie würden’s Hysterie nennen, Sie, der Mann mit den Stahlnerven.«
»Und meinen Sie, daß der Mann mit den Stahlnerven kein – Empfinden hat?« fragte er fast verletzt. Da drehte sie sich von ihm weg und trocknete ihre Augen.
»Doch, ich glaub’ es schon,« klang’s wehmütig zurück. – »Aber jetzt nehmen Sie bitte wieder Platz,« fuhr sie schnell fort. »Und hier – hier sind auch Zigaretten. Ihre Schwärmerei!« – Dabei lachte sie beinahe spitzbübisch. »Wenn Sie’s nicht entsetzt, zünde ich mir auch eine Papyros an, so – danke!«
Wieder saßen sie sich gegenüber an dem runden Mitteltisch. Aber die zwanglose Unterhaltung von vorhin wollte nicht mehr in Fluß kommen. Dreßler war nicht bei der Sache. Er dachte an anderes. – Sollten Weras Tränen etwa einer aussichtslosen Neigung gegolten haben, sollte etwa er selbst derjenige sein, den die arme Verwachsene liebte? – Und Dreßler, der vorzügliche Menschenkenner, der jede, selbst die leiseste Gemütsregung bei anderen bemerkte, verfolgte jetzt mit stillem Bedauern diese Gedanken weiter, während er dem jungen Mädchen zerstreut zuhörte. So manches fiel ihm jetzt erst in Weras ganzem Benehmen ihm gegenüber auf, was er bisher kaum beachtet hatte. Kleinigkeiten waren es nur, und doch ergaben sie, nunmehr in ihrer Gesamtheit aneinander gereiht, eine sichere Beweiskette für seine Vermutung. Kein Zweifel: Wera Wenzel, die ihm jetzt in so anschaulicher Weise von dem intimen Reiz und dem hohen künstlerischen Wert der Zoppoter Waldfestspiele erzählte, welche zu besuchen er bisher verabsäumt hatte, liebte ihn seit langem. Und bei dieser Erkenntnis stieg in Hans Dreßlers den weichsten Regungen so leicht zugänglichem Herzen ein tiefes Mitleid auf.
Zum Glück – denn jetzt war ihm das weitere Alleinsein mit ihr nur eine Qual