Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Art zu Gehen sofort. – Richtig, da ist er schon.«
Jakob Wenzel schien bei dem Anblick Dreßlers durchaus nicht angenehmen überrascht zu sein. Aber die Falte, die sich für einen Moment in seine Stirn eingegraben hatte, glättete sich ebenso schnell, und, seine Verwirrung geschickt verbergend, streckte er dem Besucher zur Begrüßung die Hand hin.
»Guten Abend, Herr Doktor. – Guten Abend, Wera.«
Er küßte seine Tochter flüchtig auf die Stirn, so flüchtig trotz der langen Abwesenheit, daß das junge Mädchen ihn ganz erstaunt anblickte. Schon wollte er sich zu den beiden an den Tisch setzen, rief dann aber noch schnell Wera ins Nebenzimmer, nachdem er sich bei Dreßler entschuldigt hatte, und fragte sie leise:
»Habt Ihr etwa über die – Statue gesprochen?«
»Nein, kein Wort.«
»Und hast du dem Doktor gegenüber auch nichts über meinen Bruder erwähnt?«
»Nein, weder ihm noch sonst jemanden gegenüber. Aber was soll dies alles, Vater?«
Wenzel atmete bei dieser Antwort sichtlich erleichtert auf und ging dann ins Wohnzimmer zurück, ohne Weras Frage weiter zu beachten.
»Sie werden neugierig sein, was ich ausgerichtet habe,« begann er dann sofort von der Angelegenheit zu sprechen, die Dreßler augenblicklich am meisten interessieren mußte. »Wir können die Sache ruhig in Gegenwart meiner Tochter verhandeln, Herr Doktor. Wera ist verschwiegen wie das Grab. Ich pflege vor ihr keine Geheimnisse zu haben.«
»Sollen Sie auch gar nicht, lieber Wenzel,« erklärte Dreßler zustimmend. »Also beginnen Sie!«
Der kleine Händler zögerte etwas. In seinem ganzen Gebaren zeigte sich auch jetzt noch eine gewisse Unruhe, etwas Fahriges, Unsicheres, das dem Doktor aber merkwürdigerweise entging. Nur Wera musterte ihren Vater immer wieder verstohlen mit prüfenden Blicken.
»Ja, leider sind meine Bemühungen ganz ergebnislos gewesen,« begann Wenzel jetzt hastig. Er vermied es beim Sprechen jedoch, Dreßler anzusehen, starrte vielmehr andauernd vor sich hin auf das feine Gewebe der Tischdecke.
»Ich bin dem Mann in dem grauen Pelerinenmantel, wie Sie es gewünscht hatten, überall hin gefolgt. Zunächst suchte der Unbekannte, nachdem er Ihre Spur verloren hatte, ein Restaurant auf und ließ sich etwas zu essen geben. In dem Lokal – es war das Restaurant Deutsches Haus am Holzmarkt – blieb er bis gegen 8 Uhr. Ich benutzte die Zeit, um gleichfalls etwas zu mir zu nehmen. Dann brach der Fremde auf und bestieg einen Wagen der elektrischen Bahn und fuhr nach dem Vorort Neufahrwasser hinaus. Hier in den menschenleeren Straßen des Hafenplatzes gestaltete sich die weitere Verfolgung recht schwierig. Trotzdem blieb ich immer hinter ihm, ließ ihn nicht aus den Augen. Aber – auch dies half nichts. Denn mit einem Mal war der Mann in einer der engen, auf den Hafen mündenden Gassen und zwar in der Herberstraße spurlos verschwunden. Ich suchte noch eine gute halbe Stunde, um wenigstens das Haus herauszufinden, in das er so schnell geschlüpft war. Aber alles umsonst. Da mußte ich wohl oder übel nach Danzig zurückkehren.«
Dreßler war durch diesen Bericht keineswegs entmutigt.
»Wenn wir nur wissen, daß der Fremde sich in Neufahrwasser aufhält, dann werden wir ihn schon finden, lieber Wenzel. Jedenfalls danke ich Ihnen bestens für Ihre Unterstützung. Sie haben aber nunmehr ein Recht von mir zu erfahren, warum ich eine so lebhafte Teilnahme für den Grauen zeige. Selbstverständlich rechne ich auf Ihre volle Diskretion. Sie werden ja bald selbst sehen, daß die Sache mit größter Verschwiegenheit zu behandeln ist.«
Darauf erzählte er den beiden alles, was er über den Fall Durgassow bisher in Erfahrung gebracht hatte. Und als es nichts mehr zu erwähnen gab, fügte er freundlich hinzu: »Mir wäre es nun sehr angenehm, lieber Wenzel, wenn Sie mir auch fernerhin helfen wollten. Es gibt bei dieser Angelegenheit sicher noch eine ganze Menge zu tun, was ich unmöglich allein erledigen kann. Vielleicht macht es Ihnen auch Spaß, einmal so ein wenig Detektiv zu spielen. Darf ich mich also an Sie wenden, falls ich eine zuverlässige Person nötig habe?«
»Aber gern, sehr gern, Herr Doktor,« entgegnete der kleine Händler eifrig. »Jeden Augenblick stehe ich zu Ihrer Verfügung. Mich interessiert die Sache außerordentlich. Ich glaube, gerade das Geheimnisvolle würde wohl jeden reizen. Außerdem, ich bin Ihnen ja auch sehr zu Dank verpflichtet, Herr Doktor. Sie haben mir manchen guten Kunden zugeführt.«
»Halt, da fällt mir eben ein,« rief Dreßler lebhaft, »daß wir ja noch ein Geschäft miteinander abzuwickeln haben. Sie sagten mir doch, als wir uns heute mittag vor der Haustür begegneten, daß die Buddha-Statue glücklich angelangt ist. Wenigstens deutete ich mir Ihre Worte: »Jetzt hab’ ich sie!« in diesem Sinne.«
Jakob Wenzel nickte.
»Die Statue ist wirklich da. Ich hoffe, sie wird Ihren Erwartungen entsprechen. Es ist alte Arbeit, das sieht man auf den ersten Blick. – Wera, geh’ und hole bitte die Statue. Sie steht in dem Mittelspind im Laden. Hier sind die Schlüssel.«
Dreßler konnte das seltene Stück, das den aus Elfenbein geschnitzten altmexikanischen Gott Vitzliputzli in der charakteristischen Haltung mit über der Brust gekreuzten Armen darstellte und vielleicht zwanzig Zentimeter hoch war, gar nicht genug bewundern.
»Hat Ihr Bruder Ihnen vielleicht auch geschrieben, wo er die Statue erworben hat?« fragte Dreßler dann den Antiquitätenhändler, indem er die Elfenbeinschnitzerei, die offenbar Jahrhunderte alt war, noch immer mit den begeisterten Augen des Sammlers betrachtete.
»Ja, – in Mexiko von einem Chinesen,« erwiderte Wenzel. »Und der Preis ist trotz der Seltenheit des Stückes gering, – dreihundert Mark.«
»Die bezahle ich gern,« lachte Dreßler. »Meine brave Kascha wird allerdings wieder sagen: »Wie kann man nur für son Zeugs soviel Geld ausgeben!« Aber ihr fehlt eben jedes Verständnis. Sie schätzt meine Sammlung nur danach ein, welche Stücke leicht und welche schwer sauber zu halten sind.«
Dann fühlte sich Dreßler verpflichtet, auch eine Frage nach dem Ergehen von Albert Wenzel, dem jüngeren, seit längerer Zeit in Mexiko ansässigen Bruder des kleinen Händlers, an diesen zu richten.
»Was treibt Ihr Bruder jetzt eigentlich drüben in Mittelamerika?« meinte er, die Statue vor sich auf den Tisch stellend. »Denkt er noch immer nicht daran, in seine alte Heimat zurückzukehren?«
Jakob Wenzel kam diese Frage augenscheinlich sehr ungelegen. Leicht wurde ihm die Antwort jedenfalls nicht. Zunächst zuckte er die Achseln, als ob er sagen wollte: »Der scheint sich nach Europa gar nicht mehr zurückzubangen.« – Dann rieb er sich verlegen die Hände und brachte endlich heraus:
»Er erwähnte nichts davon. Nur daß es ihm gut geht, und er für längere Zeit wieder ins Innere verreisen wolle. Ich dürfe ihm daher auch nicht eher schreiben, bis er mir seine neue Adresse mitgeteilt hätte.«
Bei dieser Antwort richtete sich Wera ganz erstaunt auf. Schon wollte sie eine Bemerkung machen, aber ein strenger Blick ihres Vaters ließ sie schweigen.
Dem ahnungslosen Dreßler entging auch dieser Zwischenfall. Bedauernden Tones sagte er nur:
»Schade, daß Ihr Bruder in nächster Zeit nicht zu erreichen ist. Ich hätte mir gar zu gern bei ihm noch andere mexikanische Altertümer bestellt.«
Inzwischen war es recht spät geworden. Dreßler verabschiedete sich daher und stieg, den neuerworbenen Schatz sorgfältig im Arm tragend, die steile Treppe zu seiner Wohnung empor. –
Als er gegangen war, herrschte zwischen den Zurückbleibenden erst eine Weile ein drückendes Schweigen. Dann wandte sich Jakob Wenzel etwas verlegen an seine Tochter.
»Wera, ich habe meine bestimmten, sehr schwerwiegenden Gründe gehabt, weswegen ich dem Doktor soeben die Unwahrheit sagte. Dreßler darf auf keinen Fall erfahren, daß Dein Onkel Albert bereits in London ist. Er hat die Kiste, in der mein Bruder die Statue schickte, nicht gesehen und somit keine Ahnung, wo sie auf die Post gegeben ist, – ob in Mexiko oder in London. Mag er bei dem Glauben bleiben, daß Albert noch in Amerika weilt.«