Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Freundes, denn Maria, die sich kurz vorher mit einem beinahe haßerfüllten Blick jede weitere Einmischung von seiner Seite verbeten hatte, sagte jetzt mit einer Stimme, die so bittend und weich klang:
»Verzeihen Sie mir, lieber Freund, daß ich vorhin etwas erregt war. Entschuldigen Sie meine Heftigkeit mit meiner nervösen Überreiztheit, bitte, bitte!« Sie streckte ihm dabei ihre schmale, weiße Hand hin. Aber er durchschaute die Komödie, und ein Blick traf sie, der ihr seine Meinung deutlicher sagte als eine lange Aussprache. Trotzdem war er klug genug, einige höfliche Redensarten zu machen, die zu nichts verpflichteten. Gleich darauf verabschiedete er sich dann unter dem Vorgeben, er wolle ungesäumt die Aufklärung der rätselhaften Angelegenheit in die Hand nehmen. Man möge vorerst jedoch nicht fragen, was er vorhabe. Er würde schon, wenn es Zeit dazu wäre, sprechen. Und als ihn Dreßler an der Flurtür beim Abschied hastig daran erinnerte, daß er doch Maria noch, wie verabredet, habe auf die Probe stellen wollen, erwiderte er nur zweideutig:
»Das hat sich von selbst erledigt, Karl. Ich bin nach reiflichem Nachdenken zu einem anderen Resultat gekommen. Warte ab. Vielleicht kann ich Dir schon morgen Genaueres sagen. Auf Wiedersehen also!« –
Als Dreßler das Wielandschen Haus verlassen hatte, blieb er wie absichtslos vor der Haustür stehen, zog sein silbernes Zigarettenetui hervor und zündete sich umständlich eine Zigarette an. Dabei schaute er jedoch die Straße nach beiden Seiten hinunter. Aber von dem Manne in dem grauen Pelerinenmantel, der sich so lebhaft für die Fenster der Wohnung Durgassows interessiert hatte, war nichts mehr zu sehen. Doch Dreßler, dessen Argwohn der Unbekannte in hohem Maße erregt hatte, gab das Umherspähen nicht so schnell auf. Langsam ging er bis zur nächsten Ecke und bog in die Querstraße ein, um aber schon nach wenigen Schritten kehrtzumachen. Da erblickte er auch wieder den Grauen, der sich bis jetzt fraglos in einem Hausflur verborgen gehalten hatte.
Dreßler ging jetzt, ohne ihn irgendwie zu beachten, vorüber. Er mußte herausbekommen, ob dieser wildfremde Mensch vielleicht irgend ein Interesse an seiner Person nahm. Tat er dies, so konnte Dreßler daraus leicht weitere Schlüsse ziehen. In gemächlichem Schritt setzte der Doktor seinen Weg fort, passierte wieder den Kassubischen Markt und ging dann weiter durch die Töpfergasse nach dem Holzmarkt zu. Der in dem grauen Pelerinenmantel blieb getreulich hinter ihm, wie er bald vorsichtig feststellte. Da huschte ein leises Lächeln über sein frisches Gesicht. Und triumphierend konnte er sich eingestehen, daß er sich in seiner ersten Vermutung nicht geirrt hatte. Dieser Fremde stand vielleicht in irgend einem Zusammenhange zu dem rätselhaften Verschwinden Durgassows. Ohne Absicht hatte der Mann sicher nicht so unermüdlich diese heimlich spähenden Blicke zu den Fenstern des alten Herrn emporgeschickt. Nun hieß es nur, die Spur des Unbekannten nicht verlieren.
Dreßler war schnell mit seinem Plane fertig. Als er in die Hauptverkehrsstraße, die Langgasse, gekommen war, trat er in ein Papiergeschäft und ließ sich verschiedene Sorten Schreibpapier vorlegen. Er entschied sich für einen Karton Büttenpapier. Dann fragte er, ob er das Telephon für einen Augenblick benutzen könnte, und wenige Minuten darauf wußte Jakob Wenzel, der kleine Antiquitätenhändler, dessen Laden unter Nr. 1224 an dem Fernsprecher angeschlossen war, genau Bescheid. Hierauf nahm Dreßler den sauber eingewickelten Karton unter den Arm und verließ mit freundlichem Gruß das Geschäft.
Eine halbe Stunde später – Dreßler war während dieser Zeit anscheinend ziellos durch die Straßen gebummelt – begegnete er in der Langgasse auf der linken, weniger belebten Seite Jakob Wenzel, seinem Hausgenossen. Aber dieser schien plötzlich von einer Bekanntschaft mit dem Doktor nichts wissen zu wollen. Ohne zu grüßen, schritt er vorüber, machte dann aber bald Kehrt und folgte Dreßler in einiger Entfernung. Dabei musterte er mit seinen kleinen, schlauen Äuglein vorsichtig die vor ihm Hergehenden. Und schnell hatte er auch den Gesuchten gefunden. Kaum zwei Schritte vor ihm ging jetzt ein Mann in einem grauen Pelerinenmantel, der einen schwarzen, weichen Filzhut tief in die Stirn gedrückt hatte.
Jakob Wenzel nickte befriedigt. Er verlangsamte seine Schritte noch mehr, so daß sich die drei, der Doktor, der Graue und der kleine Händler, jetzt in einiger Entfernung folgten. Aber dieses interessante Spiel sollte bald ein Ende finden. Denn Dreßler betrat jetzt das auf dem Langen Markt gelegene Cafee Hohenzollern. Geduldig faßte der Graue davor Posten und wartete. Jakob Wenzel aber stand drüben hinter der Reihe der Taxameter, wartete auch und grinste so schadenfroh. Eine halbe Stunde verging. Ersterer ging in das Restaurant, erfuhr hier aber auf seine in etwas gebrochenem Deutsch gestellte Frage, daß der von ihm beschriebene Herr bereits vor reichlich zehn Minuten durch den anderen Ausgang nach der Hundegasse zu das Lokal verlassen habe. Mißmutig machte sich der Graue wieder davon. Er ahnte nicht, daß der vorsichtige Antiquitätenhändler ihm geduldig auf den Fersen blieb.
4. Kapitel
Dreßler war, nachdem er sich seines Verfolgers in geschickter Weise entledigt hatte, nach Hause gegangen. Als er hier kaum seine Entreetür aufgeschlossen hatte, kam auch schon Kascha eilfertig aus der Küche herbeigetrippelt und raunte ihm leise zu:
»Herr Doktor, ist sich eine Dame da. Sie wartet in Studierstube.«
»Eine Dame?« fragte Dreßler erstaunt, aber ebenso leise.
»Ja – Dame. Ist die gnädige Frau Wieland, Herr Doktor!«
Das hatte Dreßler allerdings nicht erwartet. Mit kühler Höflichkeit begrüßte er sodann Maria, die ihm mit verlegenem Gesicht entgegentrat. Als sie Platz genommen hatte, fragte er ganz unvermittelt mit rücksichtsloser Offenheit, indem er sie dabei scharf fixierte:
»Sie wollen mir jetzt das ausliefern, was Sie mir heute nachmittag vorenthalten haben, nicht wahr?«
Der hilflose Zug in dem Gesicht der schönen Frau trat jetzt noch mehr hervor. Und während Tränen ihr in die Augen stiegen, flehte sie leise:
»Haben Sie doch Erbarmen mit mir!«
Dreßler war aufgestanden und, dicht an sie herantretend, sagte er etwas freundlicher:
»Beruhigen Sie sich, liebe Freundin. Ich werde Ihnen helfen. Nur Vertrauen müssen Sie zu mir haben, volles Vertrauen! Ich kenne Sie ja lange genug, um hoffen zu können, daß keine – verwerflichen Motive Sie zu dieser Geheimniskrämerei verleitet haben. Und jetzt geben Sie mir bitte die volle Wahrheit ohne jede Einschränkung, teilen mir auf meine Fragen alles mit, was Sie wissen und vielleicht in letzter Zeit beobachtet haben.«
Marias Tränen versiegten langsam. Ihr Widerstand war völlig gebrochen.
5. Kapitel
»Herr Doktor, ich bin wirklich meines Vaters wegen in Sorge. Er ist schon seit Nachmittag von Hause fort, und jetzt, – ja, es ist gleich 10 Uhr. Ich bin es gar nicht gewöhnt, daß er mich verläßt, ohne mir den Zeitpunkt seiner Rückkehr wenigstens ungefähr anzugeben. Und heute eilte er in so merkwürdiger Hast von dannen, nachdem er mit jemandem ein längeres Telephongespräch geführt hatte. Er rief mir nur noch zu: »Adieu, Kind! Wann ich heimkehre, weiß ich nicht,« und dann war er auch schon fort.«
»Ich kann Ihre Sorgen völlig zerstreuen«, sagte Dreßler zu dem schmächtigen Geschöpfchen, das ihm gegenüber an dem Tisch in Jakob Wenzels Wohnzimmer saß. »Ich weiß zufällig, daß er in einer geschäftlichen Angelegenheit in der Stadt zu tun hat. Er wird zweifellos bald wiederkommen. Jedenfalls brauchen Sie ihn nicht allein zu erwarten, Fräulein Wera, – falls Sie gestatten, daß ich noch bleibe,« fügte er höflich hinzu.
Über das blasse Gesichtchen der verwachsenen Tochter Jakob Wenzels huschte eine flüchtige Röte.
»Bitte, Herr Doktor, bleiben Sie nur. Ich unterhalte mich sehr gern mit Ihnen, das wissen Sie ja.«
Es war ein eigenartiges Verhältnis, in dem Doktor Dreßler zu den Bewohnern der Parterreräume seines Hauses stand. Als