Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
der Mann wäre geisteskrank. Der Gesichtsausdruck sprach dafür. Ich beschäftige mich viel mit Psychiatrie. Daher erschien es mir sehr wohl möglich, daß dieser Irrsinnige, der vielleicht nur an periodischem Wahnsinn leidet, mir nachstellen könnte mit jener raffinierten Schlauheit kranker Hirne, gegen die alle Vorsicht der Gesunden nicht aufkommt. Dieser Gedanke verließ mich nicht mehr. Sicherlich hat der Schreck über den Anblick der Toten mitgeholfen, bei mir eine Art Zwangsvorstellung zu erzeugen. Die, daß ich das nächste Opfer des Irren sein würde, wenn ich verriete, was ich gesehen. – Hierfür spricht auch das, was sich mir halb unbewußt über die Lippen drängte, als ich Allan auf der Diele begrüßte.«
»Ganz recht, gnädiges Fräulein, – ganz recht,« meinte Gunolt mit einem Eifer, der mir sehr verdächtig vorkam. »Zwangsvorstellung – natürlich! Gar nicht wunderbar. Jetzt haben Sie endlich die Folgen des Schrecks überwunden. – Wie war denn der Mann gekleidet? Und – Sie sagten, auf der Straße hätte jemand einen Gassenhauer gepfiffen. Besinnen Sie sich auf die Melodie?«
Beatrix antwortete ohne Zögern:
»Der Mann trug einen grauen Anzug, dazu plumpe, gelbe Stiefel. Die Beinkleider waren ausgebeutelt und sehr kurz. Die Jacke stand vom Körper unten ab, da die Außentaschen vollgestopft zu sein schienen. Um den Hals hatte der Mensch ein buntes Tuch geschlungen. Das Gesicht schien mir leicht geschwärzt wie das eines Schmiedes. –
Und – und richtig – eine blaue Schirmmütze hatte er auf. – – Der Gassenhauer … Ja, – – es war ein Walzer, – ganz bestimmt ein Walzer!«
»Oh, das alles ist überaus wertvoll,« meinte Gunolt erfreut. »Wir können das gleich in dem Zeitungsaufruf verwehrten. Ihr Herr Vater will ja eine hohe Belohnung aussetzen. Der, der den Walzer pfiff, wird sich melden. Ich hoffe, wir können die Sache bald aufklären. Vielleicht ist wirklich ein Geisteskranker der Mörder. Raubmord liegt hier ja nicht vor.«
Nein – es war kein Raubmord! Heliante trug so kostbare Dinge. Nichts fehlte. Und – ich dachte an das Lächeln, an die Rosen! Die Rosen paßten zu einem Irren. Aber das selige Todeslächeln paßte niemals dazu …!! Und das mußte sich auch Gunolt sagen …!!
Ich fühlte, daß Gunolt mit Beatrix ein falsches Spiel trieb, daß er sie nur in Sicherheit wiegen wollte. Wie würde er dieses Spiel fortsetzen?
Da … erhob er sich, erklärte die Unterredung für beendet. – –
Wir verließen gemeinsam die Villa.
Gunolt suchte auch mich irrezuführen, indem er sagte, als wir die stille Bismarckallee entlang gingen:
»Welche merkwürdigen Folgen ein übergroßer Schreck haben kann, zeigt der Seelenzustand Ihrer Schwägerin. Morgen hätte sie uns ohne Zweifel ganz freiwillig ihre wichtigen Beobachtungen mitgeteilt.«
Ich blieb stehen – es war gerade dicht vor der Brücke der Bismarckallee; vor dem Steinbild der Sphinx, die das Geländer abschließt. Ich deutete auf die Steinfigur, mit der wir den Begriff des rätselhaften unwillkürlich verbinden. Ich sagte nichts, streckte nur den Arm nach der steinernen Sphinx aus und schaute Gunolt dabei scharf an.
Ein feines Lächeln huschte über sein Gladiatorengesicht.
»Ihre Schwägerin oder ich?« fragte er.
»Beide! Beatrix lügt, Sie lügen. Weshalb, weiß ich nicht. Sie beide sind mir Rätselwesen wie jenes dort …«
»Wenn auch Sie argwöhnisch geworden sind, brauche ich nicht mehr zu lügen,« meinte er leise. »Was halten Sie von dem Benehmen Ihrer Schwägerin, Herr Doktor?«
Wir setzten unseren Weg fort, ließen die Brücke und die steinerne Figur hinter uns, beschäftigten uns mit der Lebenden … –
Es war eine wundervolle Juninacht.
Zu unserer Linken in einem Park schluchzte eine Nachtigall. Die Bäume rauschten leise. Die Straße zog sich wie ein weißgrauer Strich vor uns hin. An Himmel flimmerten die Sterne – auch so rätselhaft, so geheimnisvoll, mahnten an ferne Welten, von denen wir Menschenkinder so wenig wissen …
Die lebende Sphinx-Beatrix …!!
»Sie weiß viel, sagt aber nur die halbe Wahrheit,« erwiderte ich auf Gunolt letzte Frage mit Überzeugung.
»Ganz meine Ansicht« stimmte er zu.
Wir waren auf dem Bismarckplatz angelangt.
Irgendwo in einem Garten schrie jetzt ein Käuzchen – der Totenvogel. Dann nahte ein elegantes, innen hell erleuchtetes Auto fast lautlos. Wie ein Spuk huschte es vorbei. Zwei Damen in tief ausgeschnittenen Gesellschaftskleidern saßen darin, kamen wohl von einem Fest …
Auch ich hatte heute ein Fest feiern sollen …! So wurden meine Gedanken wieder auf das gelenkt, was ich verloren hatte … Totenvogel – Verlobungsfeier – Heliante – Heliante …!! Unendlicher Jammer preßte mir das Herz zusammen. Über dem glühenden Wunsch, dieses Verbrechen zu rächen, hatte ich das Opfer fast vergessen …
Ich stöhnte qualvoll auf …
Gunolt schob seinen Arm in den meinen. »Wenn es überhaupt einen Trost für Sie gibt, Herr Doktor, dann … Denken Sie daran, daß wir jetzt immerhin eine schwache Spur des Mörders vor uns haben.«
5. Kapitel
Spuren und Zeugen
Gunolt sprach wieder wie ein Dozent. Ich hatte mich an diesen kühl-sachlichen Ton noch immer nicht gewöhnen. Es war aber sein Geschäft; das meine die alten Assyrer; nutzbringender war das seine.
»Neben der ersten Edeltanne in dem grasfreien Erdring um den Stamm hatte Heller die Fußstapfen eines Mannes entdeckt. Diese konnten von dem Mörder herrühren – konnten! Als ich daher Ihrer Schwägerin gegenüber die Edeltanne erwähnte, schlug ich nur auf den Strauch. Die Redensart paßt hier leidlich. – Fräulein Beatrix bequemte sich daraufhin zu einer halben Aussage. Die andere Hälfte wird sie uns freiwillig nicht preisgeben, fürchte ich. Sie muß ganz schwer wiegende Gründe haben, so manches zu verschweigen, zum Beispiel genauere Einzelheiten über das Gesicht des Mannes im grauen Anzug.«
»Der Mann existiert nur in ihrer Phantasie.«
»Wer den Verdacht auf eine Phantasiegestalt zu lenken sucht, hat kein reines Gewissen.«
Mein Kopf schnellte herum. Ich starrte Gunolt in das undurchdringliche Gesicht.
»Keine Sorge, Doktor,« sagte er hastig. »Beatrix kommt hier nicht in Frage, obwohl ich kurze Zeit auch diese Möglichkeit ins Auge gefaßt hatte.«
»Möglichkeit Nummer drei, – erst ich, dann Beatrix, dann Wallner …!!«
»Sie haben gut spotten! Wir müssen an alles denken, – auch an eine heimliche Liebe.«
»Was heißt das?!«
»Zwei Schwestern lieben denselben Mann. Die eine erringt ihn. Die andere, der stärkere Charakter, hatte ihre Gefühle stets zu verbergen gewußt. Aber die Eifersucht loht in ihr, erstickt alles andere, läßt die Medizinstudentin zur Waffe greifen. Dann wäre auch das Lächeln erklärt – durch diese Theorie. Die Schwestern sollen sich sehr geliebt haben trotz ihrer inneren Ungleichheit und deshalb könnte die Tote in der letzten Sekunde in unirdischer Großmut der Lebenden den Mann noch gegönnt haben. Diese Regung würde ein falsches Lächeln möglicherweise hervorzaubern können.«
Ich ging wie betäubt neben Gunolt her. Hätte er mich nicht Arm in Arm geführt, wäre ich wohl gegen einen der Bäume am Rande des Bürgersteiges gelaufen. – Zwei Schwestern lieben denselben Mann!!
Ich fühlte plötzlich wieder Beatrix’ Lippen auf den meinen … Noch nie hatten wir uns vorher geküßt. Sie belächelte ja diese Zärtlichkeiten stets.
Und heute …?!
»Die