Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Enttäuschung. Der Graue ist im Tiergarten dicht bei den Zelten ausgestiegen. Wir hatten gehofft, er würde vielleicht die Unvorsichtigkeit begangen haben, sich bis zu seiner Wohnung fahren zu lassen. Nun ist die Spur wieder verloren gegangen – – vorläufig.«
Er verabschiedete sich. »Auf Wiedersehen, Herr Doktor …«
Ich lüftete nur den Hut. – Heller hatte »Auf Wiedersehen« gesagt. In mir war nur der Wunsch, ihm nicht mehr zu begegnen. Alle diese Leute sind mir zuwider, die Polizisten … Wie ein harmloser Stutzer schaut dieser Wachtmeister aus. Nur Gunolt nennt ihn den besten seiner Beamten. – Alles Komödianten …!! – –
Der Wald lockt mich plötzlich, die Einsamkeit. Ich kenne da dicht am Bahnhof Grunewald einen Pfad, der durch eine Kiefernschonung führt, eine grüne, nach Harz duftende Einsamkeit. Einmal habe ich schon drei Mark Strafe bezahlt. Der Pfad ist verboten, – wie vieles Schöne, was man ganz allein genießen möchte. –
Die grüne, harzduftende Einsamkeit umfängt mich. Ich dränge mich durch die Zweige bis zu einer kleinen Lichtung, lege mich in das Moos, strecke mich wohlig …
Eine Eidechse raschelt, ein Rotkehlchen hüpft von Ast zu Ast. In der Ferne rattert ein Eisenbahnzug. Vom kleinen Exerzierplatz her bringt der Ostwind den Knall von Schüssen mit … Ich versuche an nichts zu denken, an nichts … Ich schlafe ein. Die Müdigkeit der letzten durchwachten Nächte kommt nach. Und die Kiefern rauschen so wundervoll beruhigend …
Als ich erwache, ist es vier Uhr. Ich habe Hunger. Ich fühle mich frisch, belebt, gehe eilig davon. Gedanken an Beatrix-Heliante weise ich ängstlich zurück. Und fühle doch, wie zwei Gestalten ineinander verschmolzen sind. Vielleicht noch nicht ganz …
7. Kapitel
An einer Gruft
Ich bin schon um sechs Uhr aufgestanden. Meine Nerven befinden sich in einem tollen Aufruhr. Ich habe Träume gehabt, die so merkwürdig gut zu den Gedanken passen, die immer wieder in mir auftauchen, seitdem ich neben Beatrix am Sarg Heliantes geweilt habe. – –
Heliante trat durch die Tür ein. In ihrem aschblonden Haar leuchtete ein großer Stern; sie trug schleppende, lose Gewänder, die so zart weiß schienen, daß sie förmlich strahlten. In der Rechten hatte sie einen vergoldeten Palmwedel.
Sie kam langsam näher; ein weltentrücktes Lächeln spielte um ihre Lippen; blieb stehen und schaute mich an. Ihr Lächeln wurde schmerzlich. Sie nickte mir zu – dreimal, voll erhabener Würde. Dann wurden die Umrisse ihrer Gestalt immer undeutlicher. Sie schien sich in leichte, leuchtende Nebel aufzulösen …
Das war einer meiner Träume …
Ich stehe jetzt am Fenster und luge nach der Sonne aus. Aber der Himmel ist eine graue Riesenglocke. Die Sonne hat sich verhüllt. Es ist der Tag der Beerdigung eines jungen Weibes, das noch vor kurzem pochenden Herzens der Erfüllung heißer Wünsche entgegensah, dessen Lippen trunken flüsterten und wie im Fieber glühten, wenn eine Hand mir die Augen zuhielt auf der weißen Bank im Park … Konnte die Sonne an diesem Tag scheinen …?! Durfte sie es –?!
Ich hätte mir eine durchsichtig blaue Himmelsglocke gewünscht, grellen Schein auf Häusern und Bäumen. Gerade heute …
Wenn heute der Feind mich beschlich …?! Wenn ich merkte, wie der häßliche Wurm in mich hineinkroch – vielleicht gerade dann, wenn ich eingekeilt zwischen wenigen Leidtragenden und vielen Neugierigen vor einer offenen, mit Tannenzweigen ausgekleideten Gruft stand?! Was dann?! Würde ich da nicht vielleicht irgendetwas tun, wodurch ich die Angehörigen der Toten und mich selbst bloßstellte …?!
Wenn nur kein Regen fiel – – nur kein Regen!
Die Stunden schlichen mit trägen Schritten. Ich versuchte zu arbeiten, zu lesen. Dann schrieb ich einen Brief an meine Mutter, – schrieb von ihm, dem Grauen, dem Mörder Heliantes – alles, was ich wußte.
Das lenkte mich noch am besten ab. Und doch sprang ich so und so oft auf, eilte ans Fenster, lehnte mich hinaus und prüfte, ob die Riesenglocke nicht dunkle Flecken bekam – Regengewölk.
So wurde es elf, halb zwölf.
Um die Mittagsstunde, wenn aus allen Fabriken, Geschäften Jugend und Alter hinauseilte zu karger Freizeit, sollte Heliantes irdische Hülle der Erde übergeben werden …
Das Harmonium spielte, während der Sarg aus der Kapelle hinausgetragen wurde.
Ich hatte kaum gehört, was der Geistliche sprach. Meine Augen starrten die ganze Zeit über auf denselben Fleck – auf einen Kranz gerade vor mir, – einen Kranz aus weißen Narzissen, dazu ein Dutzend dunkelrote Rosen, erst halb erblüht … Wassertropfen hingen an den Rosenblättern wie Tränen …
Es war wie damals im kleinen chinesischen Tempel vor Heliantes Leiche … Die Rosen lösten sich in wallende, rote Gebilde auf, in Wolken, die durcheinanderwogten, immer größer wurden, bis vor mir nicht war wie eine rote Nebelwand, in die der Wind stoßweise Bewegungen bringt … Oh – – der rote Nebel war fort … Ich glaubte durch die polierten Bretter, die Kränze hindurchsehen zu können, – ich sah hindurch, sah ein gelbes, verändertes Totengesicht, eingefallene Wangen, bleiche Lippen …
Das war nicht die, die ich geliebt hatte … Das war nicht Heliante …! – Heliante lebte –! Trotz all der Blumen, die ihre Düfte in die Kapelle ausströmten, spürte ich mit einemmal mit den Geruchsnerven etwas anderes, einen Duft des Lebens, des Genießens, der Freude …
Beatrix – Beatrix – – nein, Heliante –!! – Ich hob den Kopf, schaute zur Seite …
Da gerade wurde der Sarg hinausgetragen. Das Harmonium sang und schluchzte ganz leise …
Ich blickte die Lebende an. Heiße Sehnsucht quoll in mir auf. Meine Augen durchdrangen den dunklen Schleier, fraßen sich fest in den rosigen Antlitz.
Dann trat sie schnell auf mich zu.
»Komm, Allan, – reiche mir den Arm …« Es klang wie ein Befehl.
Und wie im Traum ließ ich mich führen, – hinter den beiden alten, gramgebeugten Leuten her, meinen Schwiegereltern … Auch sie gingen Arm in Arm. – Was waren sie mir …?! Fremde – Fremde..!! Nichts weiter – – und all das Treiben um mich her …?! Mußte dieser ganze, durch die Gewohnheit geheiligte Aufzug sein, um ein der Verwesung bestimmtes Etwas in einem Erdloch zu versenken?! Mußten all diese Menschen hier ihre wahre Natur für eine halbe Stunde verleugnen und mit Leichenbittermienen umherstehen, – Menschen, die gleich hinter der Kirchhofpforte auf der Straße wieder sie selbst waren, lachen, scherzen und – kritisieren würden … Eine lächerliche Komödie – lächerlich …
Wir traten ins Freie.
Jetzt sah ich …
Vor mir die Eltern der Toten, der hin und her schwankende Sarg auf den Schultern der Träger in speckigen Fräcken … Rechts und links aber ein Meer von aufgespannten Schirmen. Und von oben herab aus düsterem Grau wie dichtgespannte, unaufhörlich abrollende Fäden der Regen – ein feiner, warmer Regen.
Während der Trauerandacht in der Kapelle mußte er eingesetzt haben – Regen – Regen …
Wir gingen weiter …
Der Geistliche schloß sich neben meiner Schwiegermutter dem Zug an. Er machte den Hals kurz. Die Nässe war ihm unangenehm …
Asra – Asra!! »…die die sterben, wenn sie lieben …« – Nein, – »die die leben wollen, wenn sie lieben …!«
Der Duft begleitete mich. Sie schritt neben mir – sie – sie – Heliante – – Beatrix – beide – und doch eins …
Ich fühlte ihren Arm. Seine Wärme rieselte in meine Adern, machte mir das Blut heiß … Mein Herz klopfte schneller.
»Heliante!«