Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
kein Grund zur Freude. Es hätte Mord und Totschlag gegeben.« Im Zuge von Umbaumaßnahmen war unter dem Haus seines Schwagers ein Loch entdeckt worden. Da nicht klar war, ob es einsturzgefährdet war, hatten Marianne und Mario vorübergehend in die Wohnung von Anne und Johannes Cornelius ziehen müssen. Mit Feuereifer hatte sich Anne auf die Versorgung ihrer Familie gestürzt und ihrer Schwiegertochter alles aus der Hand genommen. Ihre Einmischungen waren für Marianne nur schwer zu ertragen, und es hatte die eine oder andere Auseinandersetzung gegeben. »Ich wusste gar nicht, dass Marianne so eine Furie sein kann.« Daniel schickte seiner Frau einen eingehenden Blick.
»Was ist? Warum schaust du mich so an?«
»Ich frage mich gerade, welche verborgenen Eigenschaften in dir schlummern, die ich noch nicht kenne.«
»In jeder Frau schlummert ein Engel, eine Hexe, eine Prinzessin und ein Drache. Es liegt an dir, was du in ihr aufweckst.« Felicitas hatte ihr Frühstück beendet. Sie schickte ihrem Mann einen belustigten Blick und stand auf. »Leider müssen wir dieses überaus interessante Gespräch heute Abend fortsetzen. Ich muss in die Klinik. Lammers besteht darauf, dass ich ihm bei einer OP assistiere.«
»Ich weiß nicht, ob ich unbedingt den Drachen oder die Hexe in dir kennenlernen will«, schmunzelte Daniel. »Apropos Klinik.« Er sah auf die Uhr und stand ebenfalls auf, um seiner Frau in den Flur zu folgen. »Vor der Sprechstunde wollte ich Nicole Rosenholz noch einen Besuch abstatten.«
»Was ist mit Danny? Kann er nicht die Morgensprechstunde übernehmen?« Diese Frage war durchaus berechtigt. Seit der älteste Sohn der Familie Norden in die Praxis eingestiegen war, hatte sich die Situation deutlich entspannt. Trotz gestiegener Patientenzahlen konnte sich die Ärzte mehr Freiheiten gönnen und die Schauplätze je nach Bedarf wechseln. An diesem Vormittag hatte aber Dr. Norden junior Vorrang.
»Er kommt heute später. Ich schätze, dass er schon mitten in seinem Eingriff steckt«, erwiderte Daniel und half Fee in den Mantel.
Mit diesen kleinen Gesten zeigte er ihr auch nach all den gemeinsamen Jahren jeden Tag aufs Neue, wie sehr er sie liebte.
»Wenn ich nicht schon mit dir verheiratet wäre, würde ich dich spätestens jetzt fragen, ob du mein Mann werden willst.« Sie zwinkerte ihm zu, griff nach ihrer Handtasche und streckte die Hand nach dem Schlüssel am Schlüsselbrett aus.
»Während ich dir unauffällig folge, werde ich mir dieses Angebot durch den Kopf gehen lassen«, versprach Daniel und küsste sie, dass ihr die Luft wegblieb.
*
Nur zwanzig Minuten später küsste Dr. Norden seine Frau ein weiteres Mal. Diesmal, um sich auf dem Klinikflur von ihr zu verabschieden.
Ausgerechnet in diesem Augenblick kam Fees ungeliebter Stellvertreter Volker Lammers um die Ecke.
»Soll ich Ihnen meinen Wohnungsschlüssel geben, damit Sie sich mal ausgiebig vergnügen können?«, fragte er aufreizend.
Doch an diesem Morgen war Felicitas zu gut gelaunt, als dass er ihr etwas anhaben konnte.
»Ich fürchte, bis zu Ihrer Wohnung schaffen wir es nicht mehr. Aber wenn Sie uns den Schlüssel zu Ihrem Büro geben wollen …« Ihre Worte unterstrich sie mit einem elfenhaften Lächeln, dass Lammers nicht wusste, worüber er sich mehr ärgern sollte.
Schnaubend marschierte er an dem Ehepaar vorbei.
»Hoffentlich musst du diesen frechen Spruch nicht gleich wieder büßen.« Daniel strich seiner Frau eine hellblonde Strähne aus dem Gesicht.
»Und wenn schon!« Sie zuckte nur mit den Schultern. »Du und die wunderbare Familie, die du mir geschenkt hast, seid schuld daran, dass ich mich momentan unbesiegbar fühle.«
»Diese Schuld nehme ich gern auf mich.« Stunden hätte Dr. Norden dort stehen und mit seiner Frau plaudern können. Doch die Pflicht rief. Felicitas musste sich auf die Operation vorbereiten, und er machte sich endlich auf den Weg zu seiner Patientin Nicole Rosenholz. Am Abend zuvor hatte Danny ihm von dem Vorfall berichtet, und er machte sich auf das Schlimmste gefasst, als er die Tür zur Intensivstation aufdrückte. Sein erster Weg führte ihn zum diensthabenden Arzt, von dem er sich die Unterlagen besorgte. In der Akte blätternd betrat er Nicoles Krankenzimmer.
Bleich wie die Bettwäsche lag sie in den Kissen und versuchte ein Lächeln.
»Hallo, Doktor.« Inzwischen war der Beatmungsschlauch gezogen worden, die Kehle von dem Fremdkörper aber gereizt und ihre Stimme heiser.
Dr. Norden ließ die Akte sinken und trat an ihr Bett.
»Was machen Sie denn für Sachen, Frau Rosenholz?« Er setzte sich auf die Bettkante und sah sie an. »Mein Sohn Danny Norden war bei dem Vorfall gestern dabei. Er hat mir erzählt, was passiert ist.«
»Hat mein Einsatz wenigstens was gebracht?«
Lächelnd schlug Daniel die Akte wieder auf. Als er aber die Ausbeute sah, wurde er gleich wieder ernst.
»Die Untersuchung musste abgebrochen werden. Deshalb haben wir leider nicht viele Bilder«, musste er zugeben. »Zum Glück sind meine Kollegen begabte Puzzlespieler und haben die Diagnose aus den verschiedenen Resultaten zusammengesetzt. Zum Beispiel ist Ihre Blutsenkungsgeschwindigkeit erhöht, was auf eine Entzündung hinweist. Außerdem gibt es Probleme mit verschiedenen Blutwerten. Dazu die Bilder aus dem CT …«
»Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?« Nicoles Stimme war matt.
»Dass Sie mit ziemlicher Sicherheit an einer sogenannten Vaskulitis leiden, einer Entzündung der Blutgefäße im Gehirn.«
Tapfer kämpfte Nicole gegen ihre Erschöpfung an.
»Ist das eine gute oder schlechte Nachricht? Ist das heilbar?«
Zu gern hätte Dr. Norden eine hoffnungsvolle Antwort gegeben. Leider konnte er es nicht.
»Welche Therapie bei einer Vaskulitis zum Einsatz kommt, hängt unter anderem davon ab, um welchen Auslöser es sich handelt. Das wissen wir aber noch nicht.«
»Dann finden Sie es heraus.«
»Das ist leider nicht so einfach. Wir haben keinerlei Anhaltspunkt, wo wir mit unserer Suche beginnen sollen. Deshalb werden wir nach dem Ausschlussverfahren arbeiten müssen. Unter Umständen eine langwierige und anstrengende Prozedur. Die Nebenwirkungen der Medikamente können gravierend sein und nicht im Verhältnis zum Erfolg stehen.«
Nicole schloss die Augen. Eine Weile lag sie reglos im Bett, ihr Atem ging schwer. Dr. Norden brannte die Zeit unter den Nägeln. Es wurde allerhöchste Zeit, in die Praxis zu fahren. Doch drängen wollte er Nicole auf keinen Fall. Endlich richtete sie ihren blinzelnden Blick wieder auf ihn.
»Hab ich eine Wahl?«
Daniel räusperte sich.
»Nein, haben Sie nicht«, musste er sehr zu seinem Leidwesen gestehen.
Sie nickte matt.
»Gut. Dann tun Sie, was Sie tun müssen. Ich werde es aushalten.« Und nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Hoffe ich.« Mehr gab es für den Moment nicht zu sagen.
Nach dem Abschied machte sich Dr. Norden auf den Weg in die Praxis. Die gute Laune vom Morgen war verflogen. Doch der Gedanke an seine Frau half ihm über diesen dunklen Moment hinweg, so dass er Wendy und Janine mit einem Lächeln begrüßen konnte.
*
Nachdem Stella Baumann in den Operationssaal gebracht worden war, zog sich ihr Bruder Moritz zunächst in den Aufenthaltsraum zurück, in dem er am Abend zuvor schon einige Stunden verbracht hatte.
Diesmal hielt er es aber trotz Kaffee und Gebäck nicht lange dort aus. Die Unruhe trieb ihn wieder hinaus und vor den Operationssaal, wo er nervös auf dem Gang auf und ab marschierte. Er wusste nicht, wie lange er gewartete hatte. Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, bis sich schließlich die Türen öffneten und Danny Norden in Begleitung von Dr. Weigand herauskam. Beide wirkten erschöpft.
»Endlich!« Mit einem Stoßseufzer