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Reisen in Westafrika. Mary Henrietta KingsleyЧитать онлайн книгу.

Reisen in Westafrika - Mary Henrietta  Kingsley


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mit kleinlautem Benehmen. Seine herrschaftlichen Rechte werden von der Regierung insofern anerkannt, dass sie ihn für jede Missetat eines Angehörigen seines Volks zur Verantwortung zieht. Und da die Regierung ihm untersagt, besagte Personen hinzurichten oder auszupeitschen, interessiert der irdische Pomp Tackie nicht besonders.

      Direkt nach dem Anlegen übernahm sofort ein stellvertretender Polizeiinspektor die Verantwortung und nach einem Getümmel um mein wichtigstes Gepäck und mich selbst, das mich an eine längst vergangene Ankunft auf der fernen Insel Guernsey erinnerte, bestiegen der Inspektor und ich eine Rikscha, welche man vor Ort Gokart nennt. Vorne wurde das Gefährt von zwei schwarzen Angestellten der Regierung gezogen und hinten von einem weiteren Paar geschoben, alle ordentlich bekleidet mit weißen Jacken und Kniebundhosen sowie meterlangen, um ihre Taille gewundenen purpurnen Schärpen. Nun ist es eine tief verwurzelte Eigenschaft des ungebildeten Schwarzen, dass er keinerlei ordentliche und vollständige Kleidung lange anbehalten kann. Es spielt keine Rolle, um welche Art Kleidung es sich handelt: Solange sie heil ist, wird sie sich lösen. Sobald dieselbe Kleidung jedoch zu einer Serie von Löchern geworden ist, die nur noch ein Netz von Stoff zusammenhält, trägt er sie mit beeindruckender Würde, und man muss sich keine weiteren Sorgen machen. Daher war es nur normal, dass die Regierungsschärpen, neu wie sie waren, sich während des gut drei Kilometer langen Weges mehrfach lösten und auf riskante Weise um die Beine unserer Träger wickelten. Wir mussten also mehrfach anhalten und warten, während das eine Ende der Schärpe an einen Baumstamm und das andere am jeweiligen Mann befestigt wurde. Sodann wickelte sich unser Träger mit einem Geschick, das von langer Übung sprach, geschwind wieder in die Schärpe hinein.

      Die breite und gepflegte Straße von Accra nach Christiansborg verläuft parallel zur Küste und ist stellenweise angenehm überschattet von Pfefferbäumen, Eukalyptus und Palmen. Bemerkenswert ist ihr erster Teil, zugleich die Hauptstraße von Accra. Die ungepflegten, von Armut gezeichneten Häuser und Hütten der Einheimischen sagen nichts Gutes über ihre Bewohner und sind für eine gewissenhafte Gesundheitskontrolle ein Quell beständiger Sorge. Fast jedes der Häuser ist ein kleines Geschäft, aber dies führt nicht zu jenem lebhaften Handel, den man erwarten sollte. Ich vermute, dies liegt daran, dass jeder einheimische Bewohner Accras, der irgendwelches Geld zum Ausgeben hat, dies ebenso gut einfach in seinem eigenen Laden ausgeben kann. Denn diese Geschäfte sind im Wesentlichen Lager, jedes auf seine Weise, und scheinen einheitlich bestückt mit Zinnpfannen, schrill gemusterten Becken, eisernen Töpfen, einigen Rollen Stoff und Flaschen amerikanischen Rums. Nachdem wir dies hinter uns gelassen hatten, kamen die Häuserzeilen der Haussa, einige Gebäude von Europäern und die Kathedrale. Als wir uns schließlich Christiansborg näherten, erstreckten sich zu beiden Seiten der Straße Friedhöfe. Zur Rechten liegt der alte, geschlossene Friedhof, der sich bei meinem Besuch in einem entwürdigend heruntergekommenen Zustand befand, ein Dschungel aus Gras und voller Schlangen. Ihm gegenüber befindet sich der gegenwärtig genutzte Friedhof, und ich erinnere mich gut an meinen ersten Besuch dort. Ein düsterer Regierungsmitarbeiter begleitete mich und erzählte, er käme hier jeden Nachmittag her »um mich an den Ort zu gewöhnen, bevor ich ihn permanent beziehe«. Wie sich in der Folge zeigen sollte, war dies übrigens eine furchtbare Zeitverschwendung, denn er hat der Goldküste inzwischen wohlbehalten und für immer den Rücken gekehrt.

      Der Herr führte mich über den gepflegten Rasen zu zwei frisch ausgehobenen Gräbern, beide sehr nüchtern unter hölzernen Abdeckhauben. Ganz offensichtlich gehörten beide Abdeckhauben zum ständigen Erscheinungsbild des Friedhofs. Er sagte nichts, sondern winkte mit seiner Hand auf eine Weise, die zu sagen schien: »Triff-deine-Wahl,-sie-stehen-beide-bereit«. – »Warum?«, fragte ich lakonisch. »Nun ja«, antwortete er, »wir halten immer zwei Gräber für Europäer bereit. Wir müssen die Toten hier sehr schnell begraben, wissen Sie.«

      Ich wand mich. An jenem Nachmittag hatte ich bereits eine ordentliche Dosis an Details dieser Art verabreicht bekommen und war nicht bereit, weiteren Geschichten Glauben zu schenken. Also erklärte ich: »Was Sie da tun, ist völlig falsch, Sie ängstigen die Menschen nur zu Tode. Es ist völlig unmöglich, dass Sie täglich frisch ausgehobene Gräber benötigen. Es gibt hier gar nicht genug Weiße, um so eine Todesrate lange aufrechterhalten zu können.« – »Wir benötigen sie aber dennoch – zumindest in dieser Jahreszeit. Neulich mussten wir bereits vor zwölf Uhr mittags zwei Weiße begraben, und um vier Uhr nachmittags brachte ein Dampfer einen weiteren Toten.« – »Es war halb fünf«, warf einer unserer Begleiter ein, der es sehr genau nahm. »Wie ihr Burschen doch immer übertreiben müsst!«

      Wachsende Kenntnisse über die Goldküste haben mich restlos überzeugt, dass die Vorverlegung des zusätzlichen Begräbnisses um eine halbe Stunde das zu erwartende Ausmaß der Übertreibung bei Geschichten betreffend örtlicher Sterberaten recht gut wiedergibt. Tatsächlich brach nach meinem Aufbruch aus Accra dort und entlang der gesamten Goldküste eine jener fürchterlichen Epidemien aus, der innerhalb weniger Wochen über die Hälfte der weißen Bevölkerung zum Opfer fiel.

      Aber zurück zu unserer Staatsreise auf der Straße nach Christiansborg. Wir erreichten bald das Castle, ein von den Dänen errichtetes, außerordentlich geräumiges und solides Gebäude, das sich – trotz unserer angeblich überlegenen Hygiene – für das herrschende Klima wesentlich besser eignet, als unsere modernen Behausungen. Wir betraten den Burghof durch das bewachte Haupttor. Zur Rechten lagerte der Rest der Wache, die meisten schliefen auf ihren Matten, einige jedoch riefen geschäftig Gebetsformeln Richtung Mekka, wie sich dies für gute Muslime wie die Haussa gehört, andere wickelten sich in ihre Schärpen. Zur Linken lag Sir Brandford Griffiths Steckenpferd – ein feiner und erlesener Garten aus Amazonen-Lilien, überwiegend in Töpfen, und seltenen und schönen Blumen, die er aus seiner Heimat Barbados mitgebracht hatte. Garten und Hof überschattete ein Flammenbaum, ein feines Exemplar prächtiger Schönheit, herrlich mit seinen zartgrünen akazienartigen Blättern, seinen zinnoberroten und gelben Blüten und erstaunlich mit seinen riesigen Bohnen. Eine Treppenflucht führt vom Hof hinauf in den oberen Teil der Burg mit den Wohnräumen über der Reihe ausgedehnter, kühler tunnelartiger Sklavenbaracken, die nun als Vorratsräume genutzt werden. Die oberen Räume sind hoch und groß, durchflutet von einem weichen, freundlichen Licht und dem ewigen Donner der Brandung an der felsigen Landzunge, auf der die Burg erbaut ist.

      Vom Tag seiner Erbauung an vor über hundert Jahren weht der auflandige Abendwind die Gischt in jedes Versteck und jede Ritze des gesamten Bauwerks, und folglich ist es dort moderig – moderig in einem Ausmaß, das ich, trotz all meiner Erfahrung in jenem Paradies für Moder namens Westafrika, nirgendwo sonst erlebt habe. Unsere Fußabdrücke zeichneten sich in den Matten auf den Fußböden ab wie nach einem leichten Schneefall, und unter dem Mobiliar wuchsen Sporenpflanzen zu einer Größe, die besser ins Kohlezeitalter gepasst hätten als ins 19. Jahrhundert.

      Die Goldküste ist einer der wenigen Orte Westafrikas, an dem ich es nie als meine heilige Pflicht empfand, hinauszugehen und zu fischen. Ich weiß wirklich nicht, warum. Von See aus betrachtet ist es ein schönes Land mit endlosen gelben Sandstränden vor einer nahezu ununterbrochenen Kette blauer Hügel, die manchmal bis nah an den Strand heranreichen und dann wieder in dunstige Ferne zurückweichen. Allein vom Betrachten im Vorbeifahren ist es kaum vorstellbar, wie ungesund dieses Land tatsächlich ist. Es gibt Höhenlagen, und es fehlen die ausgedehnten Mangrovensümpfe, die der Betrachter gewöhnlich sofort mit gefährlichen Fieberkrankheiten assoziiert, die sich bei näherem Kennenlernen aber als keinesfalls schlimmer erweisen als diese höher gelegene, mit lichten Wäldern bewachsene Goldküste. Hier und in Lagos gibt es viele Dinge, die das Leben erträglicher machen und die sonst nirgendwo zu haben sind, bis man südlich des Kongo ist. Pferde halten sich in Accra zum Beispiel ziemlich gut, auch wenn es rund zwanzig Kilometer landeinwärts einen Gürtel Tsetsefliegen gibt, von denen ich Exemplare sichergestellt habe und im Britischen Museum identifizieren ließ. Wegen der Fliegen bedeutet der Versuch, die Tiere ins nahegelegene Aburi zu bringen, für die Pferde den sicheren Tod.

      Die Nahrungsmittel sind – obwohl schlecht und teuer – deutlich besser als das, was man weiter unten im Süden bekommt. Es gibt recht viele Ziegen und Schafe. Neben frischem Fleisch und Fleischkonserven sind viele gute Meeresfische erhältlich, denn der Westafrikanische Festlandsockel, der die Bucht von Benin säumt, strotzt vor Fischen, auch wenn der heimische Koch nur selten weiß, wie man sie zubereitet. An der


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