Эротические рассказы

Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф КонрадЧитать онлайн книгу.

Gesammelte Werke von Joseph Conrad - Джозеф Конрад


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Friedens. Stevie konnte reine Tatsachen vergessen, wie zum Beispiel seinen Namen und seine Adresse; für Empfindungen aber hatte er ein treues Gedächtnis. Voll Mitleid in ein Bett mitgenommen zu werden, war das letzte Heilmittel; es hatte nur den einzigen Nachteil, daß es sich nicht in größerem Maßstabe anwenden ließ. Das machte er sich völlig klar, während er den Kutscher ansah. Denn Stevie war nicht verrückt.

      Der Kutscher fuhr in seinen gemächlichen Vorbereitungen fort, als wäre Stevie gar nicht dagewesen. Er traf Anstalten, auf den Bock zu klettern, stand aber im letzten Augenblick davon ab, unter dem Druck irgendeines dunklen Gefühls, vielleicht eines Abscheus vor dem Kutscherberuf. Er trat vielmehr zu seinem reglosen Arbeitsgefährten, beugte sich nach den Zügeln und hob mit einer Bewegung seines rechten Arms, wie um seine Kraft zu zeigen, das große, müde Haupt bis zu Schulterhöhe.

      »Komm«, flüsterte er leise.

      Dann führte er hinkend das Gefährt davon. Es lag etwas wie Kasteiung in diesem Aufbruch; der Kies des Fahrwegs knirschte unter den langsamen Rädern, die lahmen Beine des Pferdes bewegten sich mit asketischer Entschlossenheit aus dem Lichtkreis weg in die Finsternis des Platzes, der undeutlich von der Reihe spitzer Dächer und schwach erleuchteter Fenster der kleinen Stiftshäuser begrenzt war. Das klagende Knirschen des Kieses wanderte langsam rund um den Fahrweg. Zwischen den Laternen des Einfahrttores tauchte das Gefährt noch einmal im hellen Lichte auf: der kurze, dicke Mann, der, emsig hinkend, den Pferdekopf in der Faust hochhielt; das lahme Tier, das mit steifer, hilfloser Würde dahinstelzte; der dunkle, niedere Kasten auf Rädern, der lächerlich hinterdrein rollte, sozusagen watschelte. Sie wandten sich nach links. Dort in der Straße, fünfzig Schritt von dem Einfahrtstor, war eine Schänke.

      Stevie blieb allein bei dem Laternenpfahl und stierte, die Hände tief in den Taschen, verloren vor sich hin. Auf dem Grund dieser Taschen waren seine elenden, schwachen Hände zornig und hart zu Fäusten geballt. Alles, was mittelbar oder unmittelbar an seine krankhafte Angst vor Schmerz rührte, machte Stevie zuletzt böswillig. Eine großmütige Entrüstung schwellte seine kümmerliche Brust bis zum Bersten und brachte seine unschuldigen Augen zum Schielen. Äußerst weise in der Erkenntnis seiner eigenen Machtlosigkeit, war Stevie doch nicht weise genug, um seine Leidenschaften bändigen zu können. Die Zartheit seines umfassenden Mitgefühls hatte zwei Seiten, die so unlöslich verbunden und verschmolzen waren, wie die beiden Seiten einer Medaille. Der Schmerz maßlosen Mitgefühls wurde durch den andern einer unschuldigen, doch unbarmherzigen Wut abgelöst. Da diese beiden Seelenzustände sich in denselben Anzeichen leichter körperlicher Erregung äußerten, so pflegte seine Schwester Winnie diese Erregung zu besänftigen, ohne je an ihre Zwiespältigkeit zu denken. Frau Verloc verschwendete keinen Augenblick dieses kurzwährenden Daseins auf die Suche nach gründlicher Erkenntnis. Dies ist eine Art von Sparsamkeit, die allen Anschein und auch einige Vorteile der Klugheit hat. Natürlich kann es gut für jemand sein, nicht zu viel zu wissen. Und diese Ansicht verträgt sich sehr gut mit natürlicher Trägheit.

      An diesem Abend, an dem Frau Verlocs Mutter endgültig von ihren Kindern und damit wohl auch vom Leben Abschied genommen hatte, machte sich Winnie Verloc keine weiteren Gedanken über den Seelenzustand ihres Bruders. Der arme Junge war aufgeregt, ganz natürlich. Nachdem sie auf der Schwelle ihrer alten Mutter nochmals versichert hatte, daß sie ihren Bruder schon davor bewahren wollte, sich auf seinen kindlichen Pilgerfahrten für länger zu verlieren, nahm sie Stevies Arm, um wegzugehen. Stevie murmelte nicht einmal vor sich hin, aber mit dem Feingefühl, das die Schwesterliebe seit frühester Kindheit in ihr entwickelt hatte, merkte sie, daß der Junge wirklich ungewöhnlich erregt war. Während sie unter dem Vorwand, sich auf ihn zu lehnen, seinen Arm fest umspannte, dachte sie über einige Worte nach, die für den Anlaß passen konnten.

      »Jetzt, Stevie, mußt du dich bei den Kreuzungen gut nach mir umsehen und zuerst in den Omnibus steigen, wie ein guter Bruder.«

      Dieser Anruf seines männlichen Schutzes wurde von Stevie mit gewohnter Gelehrigkeit aufgenommen. Er schmeichelte ihm. Er hob den Kopf und streckte die Brust heraus.

      »Nicht nervös sein, Winnie; mußt nicht nervös sein! Den Omnibus kriegen wir schon«, stammelte er in einem Tone, in dem sich die Furchtsamkeit des Kindes und die Entschlossenheit des Mannes seltsam mischten. Er schritt furchtlos vorwärts, mit der Frau an seinem Arm, ließ aber die Unterlippe schlaff hängen. Trotzdem erschien in der großen Straße, deren ödes Pflaster, wie zum Spott, in eine Lichtflut getaucht war, ihre Ähnlichkeit miteinander so auffallend, daß zufällig Vorübergehende davon betroffen waren.

      Vor der Türe des Wirtshauses an der Ecke, wo die ausgestreute Lichtfülle an Irrsinn grenzte, stand eine vierrädrige Droschke am Randstein, mit leerem Kutscherbock, als hätte man sie als gänzlich unnütz in die Gosse geworfen. Frau Verloc erkannte das Gefährt wieder. Sein Anblick war so unendlich kläglich, so bis ins Kleinste elend und verbraucht, als wäre es das Gefährt des Todes selbst, so daß Frau Verloc mit dem schnell bereiten Mitleid einer Frau für ein Pferd (wenn sie nicht selbst dahinter sitzt) ausrief:

      »Armes Vieh!«

      Stevie blieb unvermittelt stehen und zerrte an seiner Schwester. »Arm, arm!« stieß er inbrünstig hervor. »Kutscher ist auch arm, hat mir’s selbst gesagt.«

      Der Anblick der elenden, einsamen Mähre überkam ihn. Ohne Rücksicht auf das Drängen seiner Schwester wollte er stehen bleiben und mühte sich, seiner neuerschlossenen Erkenntnis über die Verbindung von menschlichem und Pferdeelend Ausdruck zu geben. Doch das war sehr schwer. »Armes Vieh, arme Leute«, war alles, was er immer wieder herausbrachte. Das erschien ihm nicht eindringlich genug, und er steigerte sich bis zu einem wütend hervorgestoßenen »Schande!« Stevie war kein Meister des Worts, und seine Gedanken entbehrten vielleicht eben darum der Klarheit und Genauigkeit. Sein Gefühl war dafür umso umfassender und tiefer. Das kleine Wort drückte all die Entrüstung und den Abscheu aus, die er bei der Vorstellung empfand, daß ein elendes Wesen sich von der Qual eines anderen ernährte – bei dem Gedanken an den armen Kutscher, der sein armes Pferd schlug, sozusagen im Namen seiner armen Kinder zu Hause. Und Stevie wußte, wie es tut, geschlagen zu werden. Er wußte es aus Erfahrung. Es war eine schlechte Welt; schlecht, schlecht!

      Frau Verloc, seine einzige Schwester, Wärterin und Gönnerin, reichte an dieses Maß von Einsicht nicht hinan. Auch hatte sie die Wunderkraft von des Kutschers Beredsamkeit nicht erfahren. Der tiefere Sinn des Wortes »Schande« blieb ihr verborgen, und so sagte sie sanftmütig:

      »Komm, Stevie, das wirst du nicht ändern.«

      Der gelehrige Stevie ging weiter, doch jetzt ohne Stolz, strauchelnd; dabei murmelte er halbe Worte vor sich hin, Worte, die vielleicht einen Sinn gegeben hätten, wären sie nicht aus Hälften zusammengesetzt gewesen, die nicht zusammengehörten. Es war, als versuche er, seinen ganzen Wortschatz durchzugehen, um einen passenden Ausdruck für seine Gemütsbewegung zu finden. Das gelang ihm schließlich auch. Er blieb stehen und rief aus:

      »Schlechte Welt für arme Leute!«

      Sobald er diesen Gedanken ausgesprochen hatte, merkte er, daß er ihm in allen Folgerungen schon vertraut war. Das bestärkte ihn noch völlig in seiner Überzeugung, vermehrte aber auch seine Entrüstung. Irgend jemand, so empfand er, mußte dafür gezüchtigt werden – mit größter Strenge gezüchtigt. Da er von Natur nicht zweifelsüchtig, sondern durchaus tugendhaft war, so kannte seine Leidenschaft zum Guten keine Hemmungen.

      »Hundsföttisch«, fügte er scharf hinzu.

      Für Frau Verloc unterlag es keinem Zweifel, daß er sehr aufgeregt war.

      »Das kann niemand ändern«, sagte sie. »Komm weiter. Gibst du so auf mich acht?«

      Stevie nahm gehorsam gleichen Schritt. Er war stolz darauf, ein guter Bruder zu sein. Seine Moral, die sehr empfindlich war, machte ihm das zur Pflicht. Dennoch schmerzte ihn diese Feststellung seiner Schwester Winnie – die doch gut war. Das kann niemand ändern! Er ging finster vor sich hin, wurde aber plötzlich heiter. Wie wir anderen auch fand er mitunter in dem Kummer über die Welträtsel Trost in dem Vertrauen auf die Macht der gesellschaftlichen Ordnung auf dieser Erde.

      »Polizei«, meinte er zuversichtlich.

      »Die


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