Im Sattel durch Zentralasien: 6000 Kilometer in 176 Tagen. Erich von SalzmannЧитать онлайн книгу.
mit einer Schwadron belegt waren, die auf die Ankunft der Frau des Hsintschauer Taotais wartete, um sie in Empfang zu nehmen und weiter nach Hsintschau zu eskortieren. Die hohe Dame hatte einen Ausflug nach Taiyuanfu gemacht; am Abend brachte ein reitender Bote jedoch die Nachricht, daß in Taiyuanfu schwerer Regen gefallen sei und die Taitai nicht komme.
Mein Pony war leider wieder sehr lahm und am nächsten Morgen, dem 20. Oktober, immer noch nicht besser, so daß ich ihm die Eisen abnehmen ließ, was wenigstens momentan Besserung schaffte. Die Leute im Gasthaus hatten mir versichert, daß der Weg sandig wäre, natürlich fiel ich herein, denn nach kurzer Zeit wurde er ganz steinig und schließlich gings über Felsboden. Gegen Mittag passierten wir die Taitai des Mandarins in Begleitung einiger weniger Soldaten; sie mußte nun ohne ihre Ehreneskorte in Hsintschau einziehen. Wir mußten den ganzen Weg die recht müden Ponies führen und noch mehrfach Pausen einlegen, da mein "Franz" über und über schwitzte. Allmählich gings wieder in tief eingeschnittene Lehmschluchten; das Gelände wurde sonst flacher, die Berge traten mehr und mehr zurück. Am Abend kamen wir in Hwangtuschei ganz gut unter.
Am 21. Oktober ging es ganz früh weiter. "Franz" war etwas besser, er lahmte zwar noch, aber nicht mehr so schlimm wie gestern. Die Straße wurde immer ausgefahrener, der Verkehr stärker, man merkte, daß man sich der Hauptstadt näherte. Dorf reihte sich in kurzen Zwischenräumen an Dorf, sehr viele Wohnungen waren direkt in die hohen Lehmwände hineingebaut. Viele dieser sogenannten Wohnungen waren infolge des schweren Regens eingestürzt, andere verlassen, man sah recht viel Elend und viele Bettler an der Straße. Gegen drei Uhr nachmittags kam eine hohe Pagode und bald darauf die Stadtmauer von Taiyuanfu in Sicht. Man hörte den langen Pfiff einer Dampfpfeife, die die Leute zur Arbeit rief, es mußte also eine Fabrik hier sein. Wir ritten in die Stadt; gleich am Tore fragte uns ein Polizist in bescheidener Weise nach Namen und Nation. Die Einwohner schienen hier an die Fremden gewöhnt zu sein, denn sie kümmerten sich eigentlich gar nicht um uns. In der Stadt war verhältnismäßig wenig Leben, jedoch scheint starke Garnison darin zu liegen, und ganz wie bei uns in Deutschland hörte man die Hornisten Signale üben. Mitten in der Stadt am Futai-Yamen kamen wir an einer steinernen Erinnerungstafel vorbei, auf der 26 Namen von den im Jahre 1900 hingemordeten Missionaren verzeichnet sind. Die Stadt ist durch eine hohe Mauer mit Toren in eine nördliche und eine südliche Hälfte geschieden. Wir kamen am mittleren Tor in einer großen Herberge unter und hatten bald alles, was wir brauchten. Nebenan war der Yamen, und sobald ein Mandarin kam oder ging, wurden am Tore drei Kanonenschläge gelöst. Da das Geschieße den ganzen Nachmittag ging, müssen hier wohl sehr viele Mandarinen sein.
Den 22. Oktober benutzte ich, um Stiefel und Kleider flicken zu lassen; dann sah ich mir zu Fuß die Stadt an und entdeckte sogar einen Uhrmacher, der meine zerbrochene Uhr reparieren wollte; als Lohn sollte ich ihm eins meiner Reittiere borgen, er wollte damit einen Ausflug in die Berge machen, eine Idee, die mir weniger zusagte. Nachmittags ließ ich mich zur chinesischen Post führen, wo mir ein gut Englisch sprechender Chinese meinen Einschreibebrief nach Deutschland abnahm. Dann gings weiter zu einer Mission, in der ich jedoch keinen Europäer fand. Ein kleiner Junge führte mich weiter; unterwegs traf ich eine Europäerin, der ich mich in der Annahme vorstellte, eine Missionarin vor mir zu haben. Sie führte mich in einen schönen großen Yamen, in dessen einem, europäisch eingerichteten Raum mich eine Engländerin sehr liebenswürdig bewillkommnete und mich zu einer Tasse Tee einlud. Ich glaubte immer noch, bei Missionaren zu sein; bald kamen einige Herren dazu, darunter ein Deutsch sprechender Schwede, ein Herr Nieström, und es stellte sich heraus, daß ich bei den Professoren der hiesigen chinesischen Universität war, von deren Existenz ich keine Ahnung hatte. Ich wurde festgehalten und mußte versprechen, umzuquartieren. Infolgedessen ritt ich zurück, packte meine Sachen in eine Karre und fuhr wieder zum Yamen der Europäer, wo man mir zwei sehr hübsche Zimmer anwies, in dessen einem sogar ein Bett stand, mir ein lang entbehrter Anblick. Ich glaube, daß ich dieses nur der außerordentlichen Liebenswürdigkeit eines der Herren verdankte. Später wurde ich herumgeführt und es wurden mir die Empfangs- und Schulräume gezeigt. Das europäische Essen tat meinem etwas strapazierten Magen sehr wohl.
Am 23. Oktober ritten wir gemeinsam aus, um uns die Stadt anzusehen. In der Hauptstraße marschierte viel Militär; es war heute die Feier des Herbstanfanges. Um 11 Uhr begann die große Prozession. Zuerst kam viel Infanterie mit noch mehr Fahnen; die Offiziere waren sauber und gut angezogen, rauchten jedoch im Glied Zigaretten; dann kam die rot bekleidete Leibwache des Taotai sogar mit Musik, allerdings übler Sorte. Es folgten sehr viele Mandarinen, von denen ich bis gegen sechzig zählte. In offenen Sänften wurden eigentümliche Rüstungen getragen, wieder kamen viele Fahnen, Ehrenschirme, Gongschläger, Trompetenbläser usw. Wir ritten weiter; ich entdeckte in der Stadt einen großen Bazar mit europäischem Kleinkram, meist "made in Germany". Nach dem Frühstück ritten wir nach den Militärlagern im Südwesten der Stadt, wo die Soldaten selbst neue Kasernements bauen. Hier benimmt sich alles auffallend anständig gegen den Europäer; jeder einzelne Soldat erweist ihm den Gruß. Sie haben keine europäischen Instrukteure, jedoch einen Chinesen, der früher in Wutshang von den Deutschen gedrillt ist. Wir ritten noch zu zwei hohen Pagoden, mit schöner Aussicht, dann zurück zum Neubau der Universität, zum Rathaus der Kaiserin-Witwe und zur niedergebrannten alten Mission; dann verweilten wir kurze Zeit bei amerikanischen Missionaren und schließlich hatte ich den ungewohnten Anblick, chinesische Studenten Fußball spielen zu sehen.
Interessant war mir am Abend, mit Herrn Duncan über unsere Unternehmung gegen die Schansi-Pässe zu sprechen. Er zollte der deutschen Unternehmung auf die Pässe und der Erstürmung derselben hohes Lob. Die Chinesen hatten diese Pässe für absolut uneinnehmbar gehalten und sind daher, nachdem man sie praktisch vom Gegenteil überzeugt hat, jetzt in Schansi viel willfähriger. Er meinte, falls diese Pässe nicht genommen worden wären, würde in Schansi jetzt nichts für die Fremden getan werden, sondern im Gegenteil, man würde ihnen die Aufnahme gänzlich verweigern.
Die liebenswürdige Frau Duncan packte mir am 24. früh noch Gott weiß was ein, dann ritt ich ab in Begleitung von zwei der jüngeren Herren der Universität. Die Dörfer am großen Wege waren alle ganz leer, die Einwohner waren fast sämtlich an der Cholera gestorben oder vor ihr geflohen. Der Verkehr war ziemlich lebhaft, und man sah hauptsächlich die von zwei Maultieren getragenen Gebirgs-Sänften. Am Abend waren wir in Schetienyi; unterwegs hatte mein lahmer Pony wieder ein Eisen verloren und war noch lahmer als vorher. Im Orte fand sich ein Schmied, der behauptete, Roßarzt zu sein und ganz besondere Eisen machen zu können. Ich traute dem Frieden zwar nicht, ließ ihn aber doch machen; er wollte die Eisen am nächsten Morgen bringen und dem lahmen Pony aufschlagen. Am 25. Oktober morgens kam denn richtig der Schmied und schlug Franz die neuen Eisen auf, mit denen er allerdings viel besser laufen konnte als bisher. Ich muß zugeben, daß der Mann in seiner Art ganz geschickt verfuhr; im übrigen war es der erste chinesische Schmied, der die Tiere nicht nach Schema F behandelte. Leider brach unterwegs ein Eisen entzwei, so daß ich am Abend ganz genau so dasaß wie am Tage vorher. Es geht hier durch hohe Lößberge; Mittagsrast machten wir in Tai-ngan-yi, wo gerade sehr lebhafter Gemüsemarkt war. Es kümmerte sich kein Mensch um uns in den Straßen, so daß das Durchkommen sehr erschwert wurde. Abends gelangten wir noch bis Cho-mönn, dicht vor Schauyang.
Die Gasthäuser waren noch nicht sehr voll, füllten sich aber im Laufe des Abends derartig, daß mehrfach nach Unterkunft suchende Leute ins Zimmer guckten; zuletzt war alles dicht besetzt. Ein Blick in die Küche belehrte mich, daß Fritz — mein Mafu — zwei Etagen hoch von neugierigen Menschen belagert war. Maultiere fraßen bei meinen Ponies aus den Krippen mit; den Treibern gefiel jedenfalls mein