Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Aber bei genauerer Betrachtung schien sie sich zu bewegen. Mr. Smith konnte zwei Gestalten darauf unterscheiden, die er sofort als Ela und Johnson erkannte.
»Es ist eine Erfindung von mir«, erklärte Dr. Fall. »Ich dachte schon einmal daran, sie mir patentieren zu lassen. Eine Anzahl von Spiegeln wirft das Bild nach oben auf einen Schirm, der so lichtempfindlich ist, daß sogar das Bild Ihrer beiden Freunde hier oben erscheint, obwohl sie in der halbdunklen Halle stehen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Mr. Smith.
Es blieb ihm nichts übrig, als einen Mißerfolg so gelassen als möglich hinzunehmen. Er war vollständig aus der Fassung gebracht.
»Es wird Ihnen schwerfallen, die Tür zu öffnen«, meinte Dr. Fall liebenswürdig, als sie nach unten kamen.
»Darin werden Sie sich wohl irren«, entgegnete Mr. Smith lächelnd.
Der Arzt blieb stehen, um das Licht anzudrehen, und die beiden enttäuschten Beamten beobachteten neugierig die Umgebung.
»Wir haben die Tür angelehnt gelassen.«
»Trotzdem wird es schwierig für Sie sein hinauszukommen, öffnen Sie doch bitte einmal die Tür.«
Ela versuchte es, aber es war ihm unmöglich, die schweren eichenen Flügel zu bewegen.
»Sie ist auf elektrischem Wege festgestellt«, sagte Dr. Fall. »Sie können sie nach keiner Richtung hin bewegen. Dies ist auch eine geniale Idee von mir, für die ich an einem der nächsten Tage um ein Patent nachsuchen werde.«
Er nahm einen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn in eine kaum sichtbare Öffnung des Eichenpaneels in der Halle. Sofort öffnete sich die Tür langsam.
»Ich wünsche Ihnen eine recht gute Nacht«, verabschiedete sich Dr. Fall, als die anderen vor der Haustür standen. »Und ich hoffe, daß wir uns wiedersehen.«
»Darauf können Sie sich verlassen«, erwiderte Mr. Smith grimmig, »wir werden uns wiedersehen.«
13
Doris Gray befand sich in großer Verlegenheit. Sie war in einer geradezu tragischen Lage. Selbst jetzt war sie nicht sicher, daß ihr Vormund wirklich tot war. Aber ob er nun unter den Toten oder unter den Lebenden weilte, er hatte ihr eine Aufgabe gestellt, deren Lösung ihr entsetzlich schien.
Frank Doughton war ihr lieb und angenehm, aber vielleicht war sie noch zu jung, hatte noch zu wenig Lebenserfahrung und kannte sich selbst nicht genug, um ihre Gefühle richtig beurteilen zu können. Außerdem hatte dieser höfliche und weltgewandte Graf Poltavo, der ihr so interessante Geschichten aus den Hauptstädten fremder Länder erzählte, großen Einfluß auf sie gewonnen. Seine faszinierende Unterhaltungsgabe, seine Gewandtheit und Vertrautheit mit allen Lebenslagen hatten tiefen Eindruck auf sie gemacht. Und im Augenblick hätte sie nicht mit Bestimmtheit sagen können, ob sie dem jungen Engländer oder diesem Weltmann den Vorzug gab.
Als sie es sich genau überlegte, schien ihr doch Frank der weniger Begehrenswerte zu sein. Der Befehl, der in dem Testament ausgedrückt war, und das Bewußtsein, unter einem gewissen Zwang handeln zu müssen, waren die Ursachen, daß sie sich dagegen auflehnte und die Einhaltung der Testamentsbestimmungen als eine Opferung ihrer Freiheit empfand.
In Wirklichkeit wollte sie überhaupt niemanden heiraten. Es war ja nicht so schlimm, wenn ihr das Vermögen noch nicht ausgehändigt wurde. So hatte sie wenigstens fünf Jahre Zeit, sich über ihre Gefühle Frank Doughton gegenüber klarzuwerden. Sie hatte ihn gern. Er war immer ritterlich und höflich zu ihr. Sie fühlte sich stark zu ihm hingezogen, aber sie wußte, daß sie ihm nicht die Liebe schenken konnte, die sie dem Mann ihrer eigenen Wahl entgegengebracht hätte.
An einem schönen Aprilmorgen ging sie im Green-Park spazieren. Sie war in einer ausgeglichenen Stimmung, denn die Bäume standen in frischem Grün, und die Blumenbeete schillerten in allen Farben. Als sie aufschaute, sah sie, daß Frank ihr entgegenkam. Er schien sehr begeistert zu sein und kam mit schnellen Schritten auf sie zu.
»Ich habe eine gute Nachricht für Sie«, rief er impulsiv.
»Wir wollen uns ein wenig setzen«, erwiderte sie mit einem freundlichen Lächeln und lud ihn ein, auf einer nahen Bank neben ihr Platz zu nehmen. »Welche guten Nachrichten haben Sie denn für mich?«
»Sie erinnern sich doch daran, daß Mr. Farrington mir den Auftrag gab, den unbekannten Erben der Tollington-Millionen aufzuspüren?«
Sie nickte.
»Nun – ich habe ihn gefunden«, sagte er triumphierend. »Es ist etwas ungewöhnlich, daß es mir geglückt ist, denn ich bin kein Detektiv. Ich habe Mr. Farrington schon vor langer Zeit gesagt, daß ich niemals erwartete, in dieser Sache etwas herauszubekommen, was ihm von Nutzen sein könnte. Mr. Farrington konnte mir auch keine bestimmten Anhaltspunkte geben, mit deren Hilfe ich meine Nachforschungen hätte beginnen können. Der alte Tollington hatte einen Neffen, den Sohn seiner verstorbenen Schwester, und dieser ist der Erbe des großen Vermögens. Tollingtons Schwester war mit einem reichen Bankmann in Chikago verlobt, aber am Tage vor der Hochzeit verschwand sie mit einem Engländer, von dem ihre Familie nur wenig wußte. Sie vermutete, daß er ein Abenteurer war, der in den Vereinigten Staaten seine zerrütteten Geldverhältnisse wieder aufbessern wollte. Aber offensichtlich war er kein gewöhnlicher Mann, denn er lehnte es nicht nur ab, sich mit den Eltern des Mädchens in Verbindung zu setzen, obwohl er wußte, daß sie unheimlich reich waren, sondern er erlaubte auch nicht, ihnen seinen wirklichen Namen mitzuteilen. In Chikago hielt er sich offenbar unter einem angenommenen Namen auf. Von dem Augenblick seines Verschwindens an verloren sie seine Spur. Gerüchtweise hörten sie, daß er nach England zurückgegangen sei und sich dort durch eigene Kraft und Anstrengung eine Stellung geschaffen habe. Diese Nachricht wurde später bestätigt. Tollingtons Schwester schrieb regelmäßig an ihre Eltern, aber sie erwähnte niemals ihren neuen Familiennamen oder ihre Adresse. Die Eltern antworteten ihr durch Annoncen in der Londoner ›Times‹. Sie kannten zwar ihren Wohnsitz, aber alle Bemühungen, wieder mit ihr in Verbindung zu kommen, waren vergeblich. Auch als ihre Eltern starben und ihr Bruder aufs neue die Nachforschungen aufnahm, hatte er keinen besseren Erfolg. Sie sehen«, fuhr Frank etwas naiv fort, »daß es ganz unmöglich ist, jemanden ausfindig zu machen, wenn man nicht einmal seinen Namen kennt.«
»Das verstehe ich vollkommen«, erwiderte Doris lächelnd. »Und haben Sie nun Erfolg gehabt, wo alle anderen versagten?«
»Soweit bin ich leider noch nicht«, sagte er lachend. »Aber ich habe folgendes entdeckt. Der Mann, der vor siebzig Jahren die Vereinigten Staaten mit der Schwester des alten Tollington verließ, lebte einige Jahre in Great Bradley.«
»Ist das nicht der Wohnort von Lady Constance Dex?«
Er nickte.
»Es scheinen alle Leute dort zu wohnen«, sagte er traurig. »Selbst unser Freund«, fügte er zögernd hinzu.
»Wen meinen Sie?«
»Ihr Freund Poltavo weilt jetzt auch dort. Er ist der ständige Gast Dr. Falls. Haben Sie denn noch nichts von dem ›geheimnisvollen Haus‹ gehört? Jedermann in England weiß doch davon.«
»Es tut mir leid, daß es mir noch unbekannt ist. Aber erzählen Sie nur weiter. Wie haben Sie denn herausgefunden, daß er in Great Bradley lebte?«
»Das war ein reiner Glückszufall. Ich wohnte doch selbst einige Jahre dort, auch Ihren Onkel lernte ich dort kennen – ich war damals noch ein kleiner Junge. Aber nicht meine Bekanntschaft mit Great Bradley hat mir geholfen. Haben Sie nicht neulich in der Zeitung gelesen, daß man beim Abbruch eines alten Postgebäudes eine Anzahl von Briefen fand, die offenbar durch die Ritze im Boden eines alten Briefkastens gefallen waren und infolgedessen nicht bestellt wurden?«
»Ja – die Briefe waren vierzig oder fünfzig Jahre alt, nicht wahr?«
Er