Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
solcher Angaben, die sie mit viel Mühe zusammengestellt hatten, umsonst auf deren Veröffentlichung. Aber die unglücklichen Opfer dieser Verrätereien erhielten ein oder zwei Tage später von dem geheimnisvollen Mr. Montague Fallock einen Brief, der ihnen zu ihrem Schrecken Sünden vorhielt, die ihrer Meinung nach nur ihnen selbst bekannt waren. Es kam ihnen natürlich nicht in den Sinn, das kleine unbedeutende Blättchen, das manchmal Eingang in die Zimmer der Dienstboten fand, mit den außerordentlich hohen Forderungen dieses Erpresserkönigs in Verbindung zu bringen. In den meisten Fällen zahlten sie denn auch.
Aber nicht nur Dienstboten versorgten Montague Fallock mit Material für seine heimtückische Arbeit. Heruntergekommene Männer und Frauen fanden hier Gelegenheit, sich an begünstigteren Mitmenschen zu rächen, von denen sie einmal direkt oder indirekt beleidigt worden waren. Manchmal kamen auch anonyme Mitteilungen an die Redaktion. Wenn die angegebenen Tatsachen genügend Erfolg versprachen, schickte Fallock einen seiner Spürhunde aus, um nachzuforschen, wieweit sie auf Wahrheit beruhten. Dann folgte ein liebenswürdiger Brief, es wurde eine Verständigung vorgeschlagen, und der Unglückliche mußte zahlen und litt außerdem Schaden an seiner Gesundheit.
Denn dieser völlig skrupellose Mann zerstörte mehr als nur sichtbares Vermögen – er handelte mit menschlichem Lebensglück. Fast ein halbes Dutzend Selbstmorde wurden von Scotland Yard auf Briefe zurückgeführt, die die bedauernswerten Opfer am Morgen erhielten und in ihrer Verzweiflung verbrannten, bevor sie ihrem Leben ein Ende machten.
Das Büro dieser kleinen Zeitung lag im obersten Geschoß eines großen Geschäftshauses in der Fleet Street. Ein Hinterzimmer enthielt die ganze Redaktion, und ein verschlossener Mann bildete das ganze Personal. Er hatte die Pflicht, die Korrespondenz in Empfang zu nehmen und im Gepäckraum eines Londoner Bahnhofs abzugeben. Eine Stunde später wurde sie dort von einem anderen Boten abgeholt und zu einem weiteren Bahnhof gebracht. Dann kam sie in den Besitz des Mannes, der für den Inhalt des Blattes verantwortlich war. Manche der Briefe enthielten Beiträge einwandfreier Art, die von mehr oder weniger bekannten Schriftstellern verfaßt waren. Fallock oder Farrington brauchte diese Artikel, nicht nur um der Zeitung den Anschein der Wohlanständigkeit zu geben, sondern auch um ihre Spalten zu füllen.
Er selbst schrieb stets zwei Seiten klug zusammengestellte Informationen über die große Gesellschaft, die harmlos waren.
In jedem Paket von Briefen fanden sich gewöhnlich ein oder zwei Schreiben, die dem Erpresser die Möglichkeit gaben, die Leute zu schädigen, die von ihren Dienstboten oder Freunden verleumdet wurden. Eine ständige Annonce in der Zeitung versprach allen, die brauchbares Material einsandten, eine Belohnung von fünf Pfund. Und die Tatsache, daß Farrington manchmal fast tausend Pfund in der Woche für solche Informationen zahlte, sprach für die moralischen Qualitäten gewisser Menschen. Farrington konnte mit seiner Wahl zufrieden sein. Poltavo war ein gelehriger Schüler, er war schlau und gewandt in solchen Dingen. In seinem großen Arbeitszimmer sortierte er hinter verschlossenen Türen die Korrespondenz und hing dabei seinen eigenen Gedanken nach.
Wenn er seine Rolle gut spielte, war seine Zukunft gesichert. Die Folgen seiner jetzigen Beschäftigung, das Elend, das er über viele unschuldige Menschen brachte, machten ihm keine großen Gewissensbisse. Er war mit seiner Stellung äußerst zufrieden. Er hatte einen guten, wenig gefährlichen Beruf gefunden, der noch große Summen abzuwerfen versprach. Während seines kurzen Aufenthaltes in dem »geheimnisvollen Haus« war er von Farrington auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, jede Kleinigkeit zu beachten.
»Wenn Sie fünf Schilling aus einem Arbeiter herausholen können, so tun Sie es. Wir können auch nicht die kleinsten Summen auslassen.«
Poltavo schenkte deshalb den schlecht und fehlerhaft geschriebenen Briefen aus Ostlondon dieselbe Aufmerksamkeit, die er den meist ebenso schlecht geschriebenen Verleumdungen der Dienstboten aus dem Westen zuwandte, die von einem Fehltritt ihres Herrn auf einem Familienlandsitz im Norden berichteten. Poltavo arbeitete alle Eingänge systematisch durch und legte einen Brief nach links, einen anderen nach rechts. Der linke Stoß enthielt Stoff, der in der Zeitung veröffentlicht werden konnte, der rechte eignete sich zu weiterer Bearbeitung.
Plötzlich hielt er in seiner Beschäftigung inne und schaute zur Decke empor.
»Also, sie muß Frank Doughton innerhalb einer Woche heiraten«, sagte er zu sich selbst.
Farrington hatte darauf bestanden, seine Pläne durchzuführen, da er wußte, daß er die Macht dazu hatte. Und Poltavo hatte dieses Ultimatum in aller Demut angenommen.
»Ich muß meine Nerven verloren haben. In einer Woche soll sie verheiratet sein! Muß ich dieses graziöse, schöne Mädchen wirklich aufgeben? Mit ihrem Vermögen – oder ohne ihr Vermögen?« Er lächelte hämisch. »Nein, mein Freund, ich glaube, Sie sind etwas zu weit gegangen. Sie hängen zu sehr von meiner Ergebenheit ab. Ernesto, du mußt einen schnellen Entschluß fassen, was zwischen heute und Montag geschehen soll.«
Das Telefon neben ihm summte. Er nahm den Hörer ab.
»Hallo?« sagte er, dann erkannte er die Stimme.
»Können Sie mich morgen besuchen?« fragte Doris.
»Ich kann sofort kommen, wenn Sie es wünschen.«
Sie zögerte einen Augenblick.
»Wenn Sie jetzt kommen könnten, würde ich sehr froh sein. Ich bin in großer Aufregung.«
»Hoffentlich haben Sie keine Sorgen?« fragte er ängstlich.
»Ich habe einen Brief von gewisser Seite bekommen«, erwiderte sie bedeutungsvoll.
»Ich verstehe. Jemand wünscht, daß Sie etwas tun sollen, was Ihnen widerstrebt.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, erklärte sie, aber er hörte Angst aus ihrer Stimme. »Kennen Sie den Inhalt des Briefes?«
»Ja, ich kenne ihn. Ich selbst war der unglückliche Überbringer dieser Mitteilung.«
»Was halten Sie davon?« fragte sie nach einer Pause.
»Sie wissen doch am besten, wie ich darüber denke«, antwortete er leidenschaftlich. »Erwarten Sie denn, daß ich mit dieser Forderung übereinstimmen soll?«
Die Heftigkeit seiner Stimme erschreckte sie, und sie gab sich die größte Mühe, ihn wieder zu beruhigen.
»Kommen Sie morgen«, sagte sie hastig. »Ich würde die Sache gern mit Ihnen besprechen.«
»Ich werde sofort bei Ihnen sein.«
»Es ist vielleicht besser, wenn Sie erst –«, sagte sie zögernd.
»Nein, ich komme sofort.« Er hängte den Hörer wieder an.
In diesem Augenblick lehnte er sich gegen die Tyrannei seines Auftraggebers auf und vergaß alle Gefahren, die ihm von dem »geheimnisvollen Hause« drohten. Er erkannte nur mit dem Instinkt eines wilden Tieres, dem die Beute weggenommen wurde, daß dieser Mann ihm einen unerträglichen Verlust zumutete.
*
Kurze Zeit später war er bei Doris Gray. Sie war bleich, verwirrt und aufgeregt. Schwere, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen und zeugten von einer schlaflos verbrachten Nacht.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll«, begann sie. »Ich habe Frank gern – ich kann Ihnen gegenüber doch offen sagen, was ich fühle, Graf Poltavo?«
»Sie können mir unbedingt vertrauen«, erwiderte er ernst.
»Und doch ist er mir nicht so lieb, daß ich ihn heiraten könnte.«
»Warum wollen Sie es dann tun?«
»Wie könnte ich dieser Aufforderung nicht nachkommen?« Sie hielt ihm den Brief hin.
Er nahm ihn lächelnd aus ihrer Hand, ging zu dem Kaminfeuer und warf ihn in die glühenden Kohlen.
»Ich fürchte, Sie befolgen die allereinfachsten Vorsichtsmaßregeln und Instruktionen nicht«, meinte er scherzend.
Irgend