Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Die Aufrichtigkeit, mit der er sprach, war unverkennbar.
Aber das junge Mädchen war mit ihren Gedanken nicht bei der Sache. Ihre blauen Augen blieben kühl, als ob sie etwas anderes beobachtete, und ihr Gesicht hatte in seiner jungen Herbheit eine merkwürdige Ähnlichkeit mit den Zügen ihres Onkels angenommen.
»Ist das die Frage, die Sie an mich richten wollten?«
Der Graf verneigte sich schweigend.
»Dann will ich Ihnen auch eine Antwort geben«, sagte sie leise, aber erregt. »Ich will Vertrauen gegen Vertrauen schenken – ich will diesem unsicheren Zustand ein Ende machen.«
»Das ist mein sehnlichster Wunsch.«
Doris sprach weiter, ohne sich um die Unterbrechung zu kümmern.
»Sie haben recht – es ist wahr, daß ich mich nicht für Sie interessiere. Ich freue mich, daß ich es Ihnen einmal offen sagen kann. Vielleicht sollte ich einen anderen Ausdruck wählen. Ich habe eine ausgesprochene Abneigung gegen Ihr geheimnisvolles Wesen – es verbirgt sich etwas Dunkles in Ihnen, und ich fürchte Ihren Einfluß auf meinen Onkel. Sie sind mir erst vor vierzehn Tagen vorgestellt worden, Mr. Farrington kennt Sie weniger als eine Woche – trotzdem haben Sie es fertiggebracht, mir einen Heiratsantrag zu machen, was ich eigentlich nur als eine Unverschämtheit – bezeichnen kann. Heute waren Sie drei Stunden bei meinem Onkel. Ich kann nur vermuten, was Sie mit ihm zu tun hatten.«
»Wahrscheinlich vermuten Sie das Falsche«, erwiderte er kühl.
Farrington sah schnell und argwöhnisch zu ihnen hinüber. Poltavo wandte sich wieder an Doris.
»Ich möchte nur Ihr Freund sein an dem Tage, an dem Sie meine Hilfe brauchen«, sagte er leise. »Und glauben Sie mir, dieser Tag wird bald kommen.«
»Ist das Ihr Ernst?« fragte sie ein wenig bedrückt.
Er nickte zustimmend.
»Wenn ich Ihnen nur glauben könnte! Ja, ich brauche einen Freund. Oh, wenn Sie wüßten, wie ich von Zweifeln hin und her geworfen werde! Wie mich Furcht und schreckliche Vorstellungen bedrängen!« Ihre Stimme zitterte. »Es ist irgend etwas nicht so, wie es sein sollte – ich kann Ihnen nicht alles erklären … Wenn Sie mir helfen könnten … Darf ich eine Frage an Sie richten?«
»Tausend, wenn Sie es wünschen.«
»Und werden Sie mir auch antworten – ich meine, aufrichtig und ehrlich?« In ihrem Eifer sah sie wie ein Kind aus.
Er mußte lächeln.
»Wenn ich überhaupt antworten kann, so seien Sie sicher, daß ich die Wahrheit sagen werde.«
»Dann sagen Sie mir, ob Dr. Fall zu Ihren Freunden gehört?«
»Ich kenne ihn recht gut«, erwiderte er schnell. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer Dr. Fall sein konnte, aber die augenblickliche Situation schien diese Lüge zu rechtfertigen – Poltavo fiel das Lügen sehr leicht.
»Oder kennen Sie vielleicht Mr. Gorth?«
Er schüttelte energisch den Kopf, und sie atmete erleichtert auf.
»Und wie stehen Sie zu meinem Onkel? Sind Sie sein Freund?« Sie hatte ganz leise gesprochen, aber sie sah ihn begierig an, als ob von seiner Antwort alles abhinge.
Er zögerte.
»Das ist schwer zu sagen«, gab er schließlich zurück. »Wenn Ihr Onkel nicht unter dem Einfluß Dr. Falls stände, würde er wohl mein Freund sein.« Er griff alles aus der Luft und folgte nur der Anregung, die er durch ihre erste Frage erhalten hatte.
Doris sah ihn plötzlich mit Interesse an.
»Darf ich Sie vielleicht fragen, wie Ihr Onkel die Bekanntschaft dieses Dr. Fall gemacht hat?«
Poltavo stellte diese Frage mit einer Sicherheit, als ob er alles wüßte und bis auf diesen einen Punkt vollständig informiert wäre.
Sie war unentschlossen.
»Das weiß ich nicht genau. Dr. Fall haben wir schon immer gekannt. Er lebt nicht in der Stadt, und wir sehen ihn nur gelegentlich. Er ist –« Sie zögerte wieder, fuhr dann aber schnell fort: »Ich glaube, er hat einen furchtbaren Beruf, er behandelt Geisteskranke.«
Poltavo war aufs äußerste interessiert.
»Bitte erzählen Sie mir noch ein wenig mehr.«
»Ich fürchte, Sie lieben den Klatsch«, sagte sie ein wenig ironisch, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich kann ihn nicht ausstehen, aber mein Onkel sagt, das sei ein Vorurteil von mir. Er ist einer dieser ruhigen, bestimmt auftretenden Männer, die sehr wenig sprechen und aus denen man nicht klug wird. Kennen Sie dieses ungewisse Gefühl auch? Es ist so, als ob man gezwungen wäre, einen Tango vor einer Sphinx zu tanzen.«
Poltavo lachte, so daß seine weißen Zähne sichtbar wurden. »Und Mr. Gorth?«
Wieder zuckte sie zögernd die Schultern.
»Das ist ein ziemlich gewöhnlicher Mann, er sieht fast aus wie ein Verbrecher, aber anscheinend hat er meinem Onkel viele Jahre lang treu gedient.«
»In welchen Beziehungen steht Dr. Fall zu Ihrem Onkel?« fragte er. »Ist er ihm gleichgestellt?«
»Aber natürlich! Er ist ein Gentleman und gehört zur Gesellschaft. Ich glaube auch, daß er ziemlich wohlhabend ist.«
»Und wie steht Ihr Onkel zu Gorth?«
Er war aufs äußerste interessiert, da er doch die Stellung des Toten einnehmen sollte, der in dem dumpfen Haus in der nebligen Gasse lag.
»Es ist ziemlich schwer, die Beziehungen zu beschreiben, in denen Mr. Gorth zu meinem Onkel steht«, sagte sie ein wenig verlegen. »Früher verkehrte mein Onkel mit ihm wie mit seinesgleichen, aber manchmal war er sehr ärgerlich über ihn. Er ist wirklich ein schrecklicher Mensch. Kennen Sie eigentlich die obskure Zeitung ›Der schlechte Ruf‹?« fragte sie unvermutet.
Poltavo gab zu, daß er sie kannte und manchmal mit einer gewissen Schadenfreude skandalöse Artikel darin gelesen habe.
»Nun, sehen Sie, das war Mr. Gorths Lieblingslektüre. Mein Onkel wollte die Zeitung niemals in seinem Hause dulden, aber sooft man Mr. Gorth sah – er mußte immer in der Küche auf den Onkel warten –, konnte man diese Zeitung bei ihm finden. Er lachte sogar über die Gemeinheiten, die in dem Blatt veröffentlicht wurden. Mein Onkel konnte sich sehr darüber ärgern. Mr. Gorth soll etwas mit der Herausgabe dieser Zeitung zu tun gehabt haben, aber als ich einmal mit meinem Onkel darüber sprechen wollte, wurde er sehr böse.«
Poltavo hatte das Gefühl, daß Farrington ihn ständig beobachtete. Er schaute heimlich zu ihm hinüber, ohne den Kopf zu bewegen, und bemerkte, daß Farrington durchaus nicht mit seinem Verhalten einverstanden schien. Er wandte sich ihm zu.
»Ein glänzender Anblick – so ein Londoner Theaterpublikum!«
»Ja, da haben Sie recht«, erwiderte der Millionär trocken.
»Berühmte Leute überall – zum Beispiel Montague Fallock.«
Farrington nickte.
»Und dieser intelligent aussehende junge Mann auf dem letzten Sitz der vierten Reihe – er sitzt jetzt etwas im Schatten, aber Sie werden ihn vielleicht trotzdem sehen können –«
»Mr. Smith«, sagte Farrington kurz. »Ich habe ihn schon gesehen. Ich habe alle Leute erkannt, nur –«
»Nur?«
»Nur nicht die Dame, die drüben in der Königsloge sitzt. Sie hält sich dauernd im Schatten. Sie wird doch nicht etwa auch eine Detektivin sein?« fragte er ironisch und schaute sich um.
Frank Doughton, seine Nichte und Lady Dinsmore unterhielten sich angeregt miteinander.
»Poltavo«,