Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Boot dorthin zu dirigieren, damit ich einsteigen kann …«
»Haben Sie vor zwanzig Minuten einen Schuß abgefeuert?«
»Ja … Mir fehlte noch ein Robbenfell für meinen Südwester … – Machen Sie doch kein so verdutztes Gesicht, Abelsen …! Ich bin tatsächlich die ganzen vier Tage hier auf der Insel gewesen und zwar an der Nordseite in einer Höhle und an einer kleinen, malerischen, bewaldeten Bucht. Dort habe ich mir diesen Anzug genäht, denn mein Flanellkostüm war doch dem hiesigen Klima nicht recht anjemessen … Na, anjemessen is der Neue auch man sehr mäßig … Sitz mangelhaft, Schnitt vormärzliche Mode, Fuscherarbeit … Nähte mit Lederriemchen geheftet … Coy, mein Sohn, du verstehst dich auf die Kunst besser. – So, nun haltet bitte mal den Kahn fest … Danke. Und ade kleine Insel … Ich weine dir keine Träne nach …! Du hast mir viel Ärger gebracht.«
Coy stieß ab, und unser Boot verschwand im nächsten Kanal.
Daß ich mich bei diesen knappen Angaben Näslers nicht beruhigen konnte, war den ganzen Umständen nach eigentlich selbstverständlich. Ich will nicht gerade sagen, daß ich ihm nicht glaubte, – daß er aber mancherlei verschwieg, war kaum anzuzweifeln. Vier Tage Einsiedlerleben – – nur aus einer Seelenstimmung heraus?! Und uns so plötzlich verlassen?! Nein, beim besten Willen, das war ziemlich unglaubwürdig.
Zunächst hatten wir jedoch anderes zu tun, als diese Dinge zu erörtern. Und zwar war es wieder Joachim, der uns viel zu denken gab. Kaum hatte er auf der einen Ruderbank Platz genommen und die Riemen ergriffen, als er auch schon unseren kleinen Allan, der ihn bisher neugierig angestarrt hatte (was dem Bürschchen doch wahrlich nicht zu verargen war), grob anschnauzte:
»Bin ich ein Clown, Junge?! Was beglotzst du mich derart unverschämt! – Wo haben Sie den kleinen Bengel aufgegabelt, Abelsen?!«
Allan wurde blutrot und wandte den Kopf zur Seite.
Ich aber schlug zum ersten Male Näsler gegenüber einen sehr scharfen Ton an. »Ich möchte Sie doch dringend bitten, den Knaben anständiger zu behandeln!! Wüßten Sie, was der Ärmste hinter sich hat, so …«
»Interessiert mich absolut nicht, lieber Abelsen. Kinder sind mir stets ein Jreuel jewesen, stets … Vielleicht deshalb, weil ich selbst mal so ’ne infame Rübe war und weil dann später meine Beziehungen zum Vormundschaftsjericht meerschtendeels in Alimentensachen bestanden … – Nee, Abelsen, lieber zehn Hunde als een Kind! So ’n Hund is treu … Kinder?! Na – Ihr wütendes Jesicht mag sich wieder jlätten. Ick höre schon auf … Und im übrigen und besonderen haben wir auch wirklich Besseres vor als derartige Fragen durchzukauen … Steuern Sie dort hinein, Abelsen … Weshalb? Weil ich Ihnen und Coy etwas auf dieser Nachbarinsel unseres Robinsoneilandes zeigen will … Ja – rinn in die Bucht …!! So, Sie werden schon die Augen aufreißen, mein Lieber … Dort rechts können wir anlegen … Los, Coy!! Noch zwei Schläge … Stopp – – Riemen ein!«
Es gab Augenblicke, in denen dieser Joachim Näsler, von dem ich bisher doch im Grunde gar nichts wußte, geradezu unsympathisch wirkte. Unter der beabsichtigten Tünche seiner hundeschnäuzigen Schnoddrigkeit kam dann eben, so schien’s, der wahre Wesenskern winzig ans Tageslicht: Hochmut, anmaßender Kommandoton, Selbstbewußtsein ohne rechten Grund und Ansichten über Leben und Dinge, die ebenso sehr verblüfften wie abstießen oder nach bewußter Effekthascherei schmeckten.
Augenblicke, gleichsam Entgleisungen …
Wer Näsler dieses »Stopp, Riemen ein!!« rufen hörte, hätte unbedingt geschworen: Geübte Kommandostimme, leicht schnarrend, trotzdem hart wie Stahl: Offizier von ehedem!
Unser Boot wurde vorsichtig an die niedere Felsbarriere gezogen und mit zwei dicken Lederriemen gut befestigt. Wir stiegen aus. Ich half Allan an Land. Er war noch ganz verschüchtert.
»Der Junge bleibt hier am Ufer!« befahl Näsler in demselben Ton.
»Er kommt mit,« erklärte ich, und mein Blick, der sich mit dem Joachims kreuzte, war genau so unbeugsam wie der seine.
»Er bleibt!! Das, was Sie sehen werden, ist nichts für Kinder!« erklärte er weniger scharf. »Und wenn Sie fürchten sollten, daß dem Bürschchen hier allein etwas zustoßen könnte, so werde ich bei ihm bleiben. Erklettern Sie mit Coy jene östliche Anhöhe, deren flache Kuppe gelb von Dornblüten leuchtet. Der Berg da liegt nur etwa hundert Meter von unserer Robinsoninsel entfernt, die wir soeben verlassen haben. Meine lange Coldpistole schießt aber in meiner Hand noch auf größere Entfernung absolut sicher, selbst wenn lediglich das Aufflammen von Blitzen das nötige Licht spendet …«
Diese Andeutungen verwirrten mich. War’s möglich, daß Joachim während des kurzen Gewitters, das wir drei in der Felshöhle nur am tobenden Donner gespürt hatten, irgend jemand erschossen haben sollte – von Insel zu Insel?!
Aber gleichzeitig regte sich in mir auch ein ungewisses Mißtrauen. Sollten wir Näsler hier mit dem Knaben bei unserem kostbaren Boote allein lassen?! Konnte er nicht vielleicht dunkle Pläne hinter seiner hohen, eckigen, trotzigen Stirn wälzen?
Sekunden nur, denn Gedanken sind schnell wie die Lichtstrahlen, – und ich hatte einen Entschluß gefaßt.
»Gut, bleiben Sie … – Vorwärts, Coy!«
Wir nahmen unsere Waffen mit. Allan stand abseits und schaute uns enttäuscht nach. Nein, er sollte nichts zu fürchten haben.
Als wir in eine Schlucht einbogen, die uns den Blicken der Zurückbleibenden entzog, sagte ich zu Coy, dem Treuen:
»Coy, du wirst dich hier verbergen und Näsler beobachten!«
Seine Antwort überraschte mich.
»Mistre, ich das tun auch von selber … Mistre Näsler mir nicht gefallen … Geben mir bitte Repetierbüchse, Mistre Abelsen. Meine Flinte gut für Robben, sonst nichts taugen …«
Er bekam die Sniders-Büchse, und ich schleppte seine schwere doppelläufige Flinte bergan.
Diese Insel hier war im Gegensatz zu dem östlich gelegenen nahen Eiland ein wahres Chaos von Felsmassen, Abgründen, steilen Zacken und schroffen Wänden. Ich brauchte fast eine halbe Stunde, bis ich jene Anhöhe erreichte – einen Berg, der nur aus Felsschutt zu bestehen schien. Auch die Kuppe, deren Geröll überall mit dicken Schichten von Vogeldünger durchsetzt war, bot mit ihren zahllosen üppigen Dornbüschen dem Vordringen schier unüberwindliche Hindernisse. Mit dem Flintenkolben bahnte ich mir notdürftig einen Weg durch die stachligen Massen, gelangte auch schließlich an den Ostrand, der senkrecht wie eine Mauer in den Kanal abfiel. Mir war heiß geworden. Aber die reichliche Schweißabsonderung tat mir wohl. Ich schaute mich um. Von dem Boote, von Allan und Näsler war nichts zu sehen. Ein scharfer Höhenrücken versperrte die Aussicht dorthin. Nichts zu sehen auch von irgendeinem Toten hier – nichts. Möwenschwärme schossen über mir hinweg, kreischten, beschenkten mich mit Unrat, wütend darüber, daß ich ihre Nistplätze störte. In flachen Nestern lagen zwischen dem Gestrüpp die verschiedenartig gefärbten und gesprenkelten Eier der graziösen Vögel, deren Familie so außerordentlich vielgestaltig ist.
Ich schritt am Rande dahin, erst nach Süden, dann nach Norden. Und die nördlichste Ecke der Kuppe glich einer Turmruine. Es fehlte nur der Efeu. Dornen waren genug da, die diese scheinbaren Mauerreste gelb gefärbt hatten. Hier fand ich etwas: ein kleines braunes Leinenzelt, sehr geschickt in die Felsmassen eingebaut, aber leer. In dem Zelt eine Menge komfortabler Einrichtungsgegenstände: zwei Schlafmatratzen, ein Spirituskocher, Aluminiumgeschirr, Konserven und anderes.
Zwei Bewohner also … Wo waren sie?!
Ich drang weiter vor. Ein dichter Busch dann, am Rande der Steilwand, halb überhängend. Dahinter auf dem Bauche liegend zwei Tote. Ein Mulatte und ein Europäer. Beide jung, etwa dreißig, beide mit Kopfschüssen, neben sich tadellose Karabiner. Die fahlen Leichengesichter lagen im Steinschutt, und die in das Geröll gekrampften Hände bewiesen das blitzartige Ende.
Der Weiße war bartlos und trug einen derben Sportanzug. Ich drehte ihn um. Die Kugel Joachims war ihm über der Stirn durch die Mütze in den Kopf gedrungen. Durch