Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
Wissen, es ging so viel verloren. Das alles, weil sie einem der Ihren vertraut hatten. Und wir sprechen hier von Unsterblichen mit einem immensen Wissensschatz.«
»Du willst sagen, dass der Blödmann verdammt gut war. Verstanden. Aber mal so ganz nebenbei, was sollen wir denn tun, wenn wir zurück sind?«
»Darüber habe ich auch nachgedacht. Abgesehen von unserem Bericht wissen wir ja recht wenig. Allerdings hoffe ich auf den Folianten.«
»Was genau hast du gesehen?«
Sie betraten den Raum, in dem das Pentagramm auf dem Boden in das Holz gebrannt war.
Jen blieb stehen. »Ich konnte sehen, nein: fühlen, was ich machen muss. Meine Hand lag auf dem Folianten, die Schrift kroch über meine Haut. Und plötzlich war alles lesbar. Ich verstand, was Joshua niedergeschrieben hat.«
»Und?«
»Natürlich war ich nicht wirklich da, aber ich weiß nun, wie es geht. Aber da war noch mehr.«
»Ja?«, hakte Alex neugierig nach.
»Nur ein Gefühl. Angst. Der Foliant enthüllt etwas Gefährliches, das die Welt in ihren Grundfesten erschüttern kann. Frag mich nicht, woher ich das weiß.«
»Warum verbrennen wir das Ding nicht einfach? Also so richtig. Magisch.«
»Weil er uns möglicherweise einen Vorteil im Kampf gegen die Schattenkrieger bringt«, erklärte Jen. »Es ist mein Erbe und vielleicht der Weg zu einem endgültigen Sieg. Dann wäre dieser ewige Krieg endlich vorbei.«
»Das wäre eine feine Sache«, sagte Alex.
In Gedanken sah er sich in einem Pool schwimmen, ringsum in der Luft hingen Sekt- und Champagnerflaschen. Halbnackte Blondinen rekelten sich auf den Liegestühlen. Er sah zu Jen. Gut, ein paar brünette Schönheiten wären auch dabei.
»Will ich wissen, was du gerade denkst?«, fragte Jen mit geschürzten Lippen.
»Hä?«
»Typisch Mann. Manchmal kann man eure Gedanken auf dem Gesicht ablesen. Und das Sprachzentrum leidet meist gleich mit. Also, wollen wir? Du hast die Ehre.«
Alex malte mit seinem Finger das Symbol für die Portalmanifestation in die Luft. Seine Spur loderte bernsteinfarben auf. Zwar war der Portalzugang immer hier – ein Magier hätte ihn sonst nicht einfach so erschaffen können –, doch die Manifestation musste stets neu durchgeführt werden.
Er beendete den Zauber mit den Worten: »Porta aventum.«
Ein Wabern in der Luft kennzeichnete die Position, an der der Zugang sich geöffnet hatte. Es wirkte, als flimmerte die Luft in der Mittagshitze über Asphalt.
»Ich hasse Portale«, stöhnte er.
»Ach was.« Jen winkte ab. »Du hast dich nicht mal mehr übergeben. Noch ein, zwei Mal und alles ist gut.«
Sie machte einen Schritt nach vorne und verschwand.
Alex sah sich ein letztes Mal um, dann tat er es ihr gleich.
Er wurde herumgeschleudert, als befände er sich auf einer Abenteuerrutschbahn im Schwimmbad. Im Dunkeln. Tintige Schwärze umgab ihn. Sein Körper fühlte sich zerquetscht, zerfetzt und falsch zusammengesetzt an. Minuten wurden zur Ewigkeit zu Sekunden.
Das Portal spie ihn aus.
Alex flog durch die Luft, krachte mit der Nase nach unten auf den Stein. »Aua. Echt, und das fandest du jetzt nicht schlimm?« Er erhob sich.
Vor ihm stand Jen. Sie hielt die Spitze des Essenzstabes auf sein Herz gerichtet.
»Woah.« Er sprang zur Seite. »Was tust du?«
Wütend erwiderte sie: »Endlich! Wo warst du?!«
»Ähm. Da drin.« Er deutete auf die Stelle, an der das Flimmern gerade verschwand.
»Aber …«
»Kannst du das Ding bitte nach unten richten«, sagte er. Als Jen der Aufforderung nachkam und die Spitze in Alex’ Schritt deutete, ergänzte er: »Ah, nein. Noch weiter. Richtung Boden. Mein Sack ist mir heilig.«
Erst jetzt bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Tiefe Risse klafften in den Wänden, Steinbrocken lagen herum. »Das ist nicht das Castillo.«
»Nein, ist es nicht. Ich habe die letzten drei Stunden damit zugebracht, einen Ausgang zu finden, aber vergeblich.«
»Drei Stunden?!«, echote Alex. »Ich war direkt hinter dir.«
Jen ließ den Essenzstab hinter ihrem Gürtel verschwinden. »Die Schattenfrau. Sie muss das Portal manipuliert haben. Wir sind so dumm.«
Er begriff. »Ein Wunder, dass wir noch leben.«
»Möglicherweise war das nicht geplant«, flüsterte sie. »Wenn sie das Tor hat entarten lassen, sollte es uns vielleicht für immer auf Reisen schicken. Keine Ahnung. Auf jeden Fall weiß ich nicht, wo wir gelandet sind. Um das festzustellen, müssen wir aus diesem dämlichen unterirdischen Gangsystem raus.«
Alex sah umher.
Dass die Decke noch nicht herabgestürzt war, glich einem Wunder. Wo sie auch herausgekommen waren, es handelte sich um einen alten Ort.
Gemeinsam verließen sie den Raum.
Seine Gedanken wanderten zu Chris, Clara, Kevin und Max ins Castillo.
Haltet durch, Leute. Wir kommen so schnell es geht und werden euch helfen.
Es blieb nur die Hoffnung, dass die Schattenfrau ihren Verräter nicht sofort aktivierte.
Eine Hoffnung, die enttäuscht wurde.
23. Es beginnt
Johanna gähnte.
Mochte die Unsterblichkeit auch ein Segen sein, hielt sie ihren Körper jung und agil, so war die Müdigkeit trotzdem ein elementarer Bestandteil der Existenz. Kein Zauber konnte das Bedürfnis nach Schlaf neutralisieren. Ebenso wenig etwas Nichtmagisches.
Da kann Leonardo noch so viele Dark Monster in sich hineinkippen, dachte sie mit Ekel.
Sie war auf dem Weg durch das Castillo, konnte einfach keinen Schlaf finden. Sie hatte vom Eindringen Claras und Chloes erfahren. Die beiden hatten begriffen, dass es einen Verräter gab, wollten Nachforschungen anstellen.
Johanna war nicht dumm. Im Laufe ihrer Existenz war sie mit ähnlichen Situationen konfrontiert worden. Eine solch explosive Information ließ sich keinesfalls auf Dauer verheimlichen.
Hinter ihr erklang ein Geräusch.
Sie fuhr herum.
Doch da waren nur Schatten.
»Ich werde noch paranoid. Kein Monster im Dunkeln, das dich töten will, Johanna«, murmelte sie.
Sie dachte zurück an die zahlreichen Kämpfe, die sie gegen den dunklen Rat oder seine Abgesandten ausgefochten hatte. Manchmal war sie als Siegerin daraus hervorgegangen, andere Male nicht. Immer wieder hatte sie Verletzungen davongetragen, manchmal gar lebensbedrohliche. Doch ihr Körper heilte stets.
»Warum habe ich nicht einfach das Alter eines Teenagers bekommen?«, grummelte sie.
Wenn das erste Leben als Nimag endete und die Unsterblichkeit einem als Geschenk gemacht wurde, konnte man nicht wirklich wählen. Das wurde für einen übernommen. Johanna selbst war weiter gealtert, bis sie schließlich in den Vierzigern unsterblich geworden war. Bei Leonardo war es umgekehrt gewesen.
Als alter Mann war er gestorben, dann jünger geworden und nun in den Dreißigern eingefroren. Albert würde wohl für immer in den Sechzigern hängen. Der Arme.
»Es ist eben doch stets Segen wie Fluch«, seufzte sie.
Sie