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Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.

Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek


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glaube ich mittlerweile auch. Nun ja, es ist kaum zu übersehen. Allerdings ist es unmöglich, die Jahrhunderte danach zu analysieren. Wir wissen ja nicht, wer sie in ihrem ersten Leben war. An Feinden mangelt es uns wohl kaum.«

      »Nein, das nicht.« Leonardo strich gedankenverloren über die neue Ledermanschette, die das Permit enthielt. Es war unbeschädigt, hatte der Schattenfrau nur dazu gedient, den Zauber um das Archiv zu legen. »Wie auch immer: Ich eröffne die Jagd auf sie. Wer sie auch ist, wo sie auch ist, wir werden sie finden.« Er stand auf. »Und die erste Spur führt zu den Ashwells.«

      25. Die ganze Wahrheit

      Jen stand auf einem der Balkone des Castillos. Die Winterluft schnitt ihr eisig ins Gesicht, doch genau das tat ihr gut. In wenigen Minuten würde die Sonne aufgehen. Ein Anblick, den sie ab und an genoss.

      Schritte erklangen.

      Verärgert fuhr sie herum. »Du?«

      »Hey, ein ›Alex, es ist total schön, dich zu sehen‹ hätte mir besser gefallen. Hier.« Er reichte ihr eine Bierflasche.

      »Was ist das?«

      »Wonach sieht es denn aus?«

      Jen lachte auf. »Vergiss es. Das trinke ich nicht.«

      Er legte den Kopf zur Seite und sah sie mit großen Augen an. »Ich hab die Flasche extra für dich hier heraufgeschleppt.«

      Sie schnaubte, griff schließlich aber zu. Er schaute sie weiter an. »Und, wie schmeckt’s?«

      Genervt nahm Jen einen Schluck. »Zufrieden? Oh. Was ist das?«

      »Cosmopolitan«, erklärte er. »Chloe hat erzählt, dass das dein Lieblingsdrink ist. Also habe ich einen gemixt, in einen gasförmigen Zustand transformiert und in einer Bierflasche dann wieder verflüssigt.«

      Sie war nicht stolz darauf, doch sie starrte Alex mit offenem Mund an. »Da… Danke. Das ist echt lieb von dir. Ha! Du wolltest mich ärgern.«

      »Stimmt«, gab er schelmisch grinsend zu. »Ein bisschen. Wegen Vorurteilen und so. Aber ich wollte auch, dass du deine Auszeit genießt.«

      »Das ist nett von dir. Woher wusstest du, wo ich bin?«

      Er deutete nach oben. »Ich habe vorgestern schweben gelernt und gestern den Sonnenaufgang vom Dach aus betrachtet. Es klappt schon recht gut, na ja, meistens. Leider hat mich Leonardo gesehen. Er hat gesagt, wenn er mich noch einmal dort sieht, schießt er mich mit einem Kraftschlag vom Dach und Theresa darf mich zusammenflicken. Und das soll ich gefälligst auch allen anderen ›Welpen‹ sagen.«

      Jen kicherte. »Ja, er macht seinen Standpunkt gerne deutlich. Lass es lieber nicht drauf ankommen.«

      »Keine Angst. Aber da habe ich dich auf jeden Fall gesehen. Also dachte ich, du bist heute vielleicht wieder hier.«

      Sie nickte nur.

      Gemeinsam standen sie auf dem Balkon und schwiegen. Es war jene Art des Schweigens, das sich zwischen zwei vertrauten Menschen entwickelte. Verblüfft stellte Jen fest, dass sie seine Gegenwart tatsächlich als angenehm empfand. Natürlich wollte sie ihn noch immer alle fünf Minuten durchschütteln, regelmäßig von der Balustrade werfen oder zu Stein transformieren, aber er hatte seine Momente. Und dass sie ihm vertrauen konnte, hatte er unter Einsatz seines eigenen Lebens bewiesen.

      In der Ferne lugten die ersten Sonnenstrahlen über die Baumwipfel, tauchten das Geäst in rotgoldene Farben. Die Luft war angereichert mit der Frische eines Wintermorgens und der Wind flaute ab. Die Stille vervollkommnete den Augenblick.

      Jen trank genüsslich den Inhalt der Flasche und kam sich dabei seltsam prollig vor. Unweigerlich musste sie grinsen. Auf die Idee, einen Cosmopolitan in eine Bierflasche zu füllen, musste man erst mal kommen.

      Einfallsreich bist du auf jeden Fall, Alexander Kent.

      Im Chaos nach den Ereignissen um die Infiltration und ihrem Abenteuer im verlorenen Castillo war das Team nur selten zusammengekommen. Zu viel ging gerade vor. Dabei hatte Alex viel Zeit hier verbracht, doch auch immer wieder seine Mum und seinen Bruder in London besucht.

      Jen wiederum hatte fast täglich einen Streifzug durch die Menschenmengen gemacht. Mal hier, mal dort, in verschiedenen Metropolen auf der Welt. Überhaupt hatte jeder die Ereignisse auf seine Art verarbeitet.

      Einzig Max und Kevin war das nicht vergönnt. Max lag noch immer im Heilschlaf. Theresa wollte sichergehen, dass neben den körperlichen Wunden auch die Aura heilen konnte. Es würde also noch einige Tage dauern, bis der Freund endlich die Augen aufschlug.

      »Danke«, sagte Jen.

      Alex nickte nur.

      »Und beim nächsten Mal nimm gefälligst ein passendes Glas.«

      Er grinste. »Aber natürlich, eure hochwohlgeborene Arroganz.«

      Sie beschränkte sich auf ein Kräuseln der Lippen. »Bis später.«

      Sie betrat das Castillo. Ein wenig bereute sie es, ihm nichts gesagt zu haben. Doch was nun folgte gehörte nur ihr. Die anderen schliefen noch, nur ein paar Ordnungsmagier patrouillierten in den Gängen, die Suche nach weiteren Geheimkammern lief nach wie vor.

      Jen stieg nach oben ins Turmzimmer. Sie war alleine. Ihre Schritte trugen sie wie von selbst zu dem Wandtresor, in dem der Foliant lagerte. Nostradamus hatte ihr das notwendige Wissen gegeben, auf den Inhalt zuzugreifen. Sie musste es nur noch anwenden. Sie legte das schwere, ledergebundene Buch auf den Tisch.

      »Also gut, Jen, du schaffst das.«

      Sie wollte endlich die Wahrheit. Die ganze Wahrheit. Keine Lügen mehr oder ständige Fragen, die zu nichts führten als zu weiteren Fragen. Was hatte Joshua damals gesehen? Was bedeuteten die Prophezeiungen? Und was plante die Schattenfrau? Wenn ihre Vermutung stimmte, lagen die Antworten zwischen diesen Seiten verborgen.

      Chloe, Kevin, Chris, Max und Alex waren ihre Freunde, doch das hier war ihr Erbe. Bereits bei der ersten Manifestation war sie angreifbar gewesen, hatte von ihrer Umgebung nichts mehr bemerkt. Heute sollte es anders sein. Dieser Augenblick gehörte ihr und ihr alleine.

      »Zeig mir, was du bisher verborgen hast.«

      Jen legte die Hand auf den geöffneten Folianten. Die Worte bewegten sich, flossen über die Seiten und krochen auf ihre Haut.

      Und die Wahrheit offenbarte sich.

      Ende des 3. Teils

      IV

      Feuerblut

      Prolog

      Die Wahrheit offenbarte sich.

      Tausend Ameisen und mehr krochen über ihren Körper, den Nacken hinauf, das Rückgrat entlang, überzogen Arme und Beine. Nein, es waren keine Tiere. Mit schwarzer Tinte geschriebene Buchstaben durchdrangen Haut und Poren, als habe ein irrer Tätowierer seinen Wahn an Jen ausgelebt.

      Sie taumelte. Der Foliant blieb aufgeschlagen auf dem Tisch des Turmzimmers zurück, während sie nur mühevoll ihre Balance halten konnte. Das Mondlicht fiel durch die Fenster in den Raum, verströmte einen sphärischen Glanz. Ein Schimmer silbernen Lichts bedeckte Regale, Couch, Stühle und die von ihren Freunden liegengelassenen Kleinigkeiten.

      Deine Augen bestanden aus purem Quecksilber, erinnerte sie sich an das, was Alex nach dem Zwischenfall in der unterirdischen Zitadelle des Sehenden Auges erzählt hatte.

      Sie war damals unvorbereitet gewesen. Doch heute nicht. Hitze schoss durch Jens Adern, ihr Körper wurde federleicht, erhob sich in die Luft. Sie schwebte genau im Zentrum, zwischen den Wänden, der Decke und dem Boden. Silberner Rauch drang aus ihrem Mund, eine uralte Stimme formte Worte mit ihren Lippen.

      Dreimal


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