Der Gott, der uns nicht passt. Tobias WolffЧитать онлайн книгу.
Strafgerechtigkeit einerseits [Hervorhebung von mir] und barmherziger Liebe andererseits“!3 Auch für Harnack war das AT „kein kanonisches Buch“,4 sondern „das Buch des minderwertigen jüdischen Gottes“!5 Mit Berufung auf Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium erklärte Harnack: „Da aber das Gesetz durch das gesamte AT … hindurchgeht, so liegt das ganze einheitliche Buch unterhalb der Christenheit“.6 Und wiederum: „mit zwingender Notwendigkeit und Evidenz … [ist] jede Art der Gleichstellung des AT mit dem NT und jede Autorität desselben im Christentum unstatthaft“.7
Die Psychoanalytikerin Hanna Wolff war überzeugt, es sei „für Christen absolut unmöglich, das Alte Testament weiterhin als ihre Heilige Schrift und Grundlage ihres Glaubens anzuerkennen.“8 Will Durant beschrieb den altisraelitischen Gott in seiner „Kulturgeschichte der Menschheit“ folgendermaßen: „dieser Gott … kann sehr wohl Fehler begehen, und sein schlimmster Fehler war, den Menschen erschaffen zu haben. Zu spät bedauerte er, dass er Adam den Lebensodem einhauchte … Ab und zu ist er gefräßig, jähzornig, blutdürstig, launisch und eigensinnig …“9 Man könnte mit ähnlichen Urteilen fortfahren, wie einige Lesefrüchte aus Dawkins Bestseller zeigen: „… ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Kontroll-Freak, ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer …, launisch-boshafter Tyrann“.
Auch wenn, so der Tübinger Alttestamentler Bernd Janowski, die „intellektuelle Anspruchslosigkeit dieser monströsen Gottesbeschimpfung für sich selber spricht“,10 ist zu beobachten, dass es viele Menschen gibt, die mit dem Gott des Alten Testaments nicht zurechtkommen und für die dieses Buch eine Herausforderung darstellt. Es berichtet von Gewalt und gewalttätigen Menschen – die gleichwohl als fromme Jahwe-Verehrer gelten.
Ein Beispiel: In 1Sam 18,7 singen Frauen dieses Preislied auf David: „Saul schlug seine Tausende, und David seine Zehntausende.“11 David kennt man als Psalmdichter und als König, der die Bundeslade nach Jerusalem bringt, es heißt sogar an einer Stelle: „Auf ihm war der Geist Gottes“ (1Sam 13,16). Er war aber auch ein Mensch, der seine Karriere mit äußerster Brutalität verfolgen konnte. Der Benjaminiter Schimi nennt David „Mann der Bluttaten“ (isch haddamim; 2Sam 16,7f). „Es gibt kaum ein Kapitel in den Davidserzählungen, in dem Gewalt keine Rolle spielt“.12 Er sichert sich und seinen Anhängern den Lebensunterhalt durch Schutzgelderpressung (1Sam 25), er verdingt sich bei Israels Feinden, den Philistern, die er gleichzeitig hintergeht und, damit sein Schwindel nicht auffliegt, „bringt er bei seinen Angriffen grundsätzlich alle Männer und Frauen um, ‚denn er sagte: Niemand soll etwas über uns berichten und sagen können‘“ (1Sam 27). Die Moabiter behandelt er mit „grausamer Willkür“ (2Sam 8,2)13. Und doch lesen wir in diesem Kapitel, dass Gott ihm half „bei allem, was er unternahm“ (2Sam 8,14).
Was haben wir von diesem David – und noch wichtiger – von einem solchen Gott zu halten? Gott war mit David, weil dieser trotz aller Härte bußfertig war. David konnte weinen vor Gott und sehnte sich nach seiner Nähe mit einer Vehemenz, die immer wieder im AT zu finden ist (!), und die uns modernen Menschen auch gut zu Gesicht stünde.14
Bemerkenswerterweise ist der oben erwähnte Schimi der Einzige, der in den Davidserzählungen David als Gewalttäter darstellt, während sonst betont wird, dass David trotz aller Gewalt „unschuldig“ (naqi), eben frei von Blutschuld bleibt (1Sam 19,5; 2Sam 3,28; 2Sam 14,9; vgl. 1Sam 25,26). David wusste andererseits um die selbstzerstörerische Macht des Zorns: „Sei still vor Jahwe und harre auf ihn! Entrüste dich nicht über den, dessen Weg gelingt, über den Mann, der böse Pläne ausführt! Lass ab vom Zorn und verlass den Grimm! Entrüste dich nicht! Das ist nur zum Bösen.“ (Ps 37,7f) Interessant ist in diesem Zusammenhang nun, dass David wegen seiner Bluttaten nicht das Recht hat, für Gott einen Tempel zu bauen: „Und David sagte zu Salomo: Mein Sohn, ich selbst hatte in meinem Herzen vor, dem Namen Jahwes, meines Gottes, ein Haus zu bauen. Aber das Wort Jahwes kam über mich: Du hast Blut in Menge vergossen und große Kriege geführt. Du sollst meinem Namen kein Haus bauen! Denn viel Blut hast du vor mir auf die Erde fließen lassen.“ (1Chr 22,7f) Ja, man kann sagen, dass sich die Gewalttaten Davids am Ende gegen ihn selbst kehrten (2Sam 16,8).15
In der Bibel (nicht nur im AT) gibt es Texte, die Gewalt und Blutvergießen zum Thema haben16. Die Bibel ist demnach ein realistisches Buch. Sie verschweigt nicht, dass Menschen gewalttätig sind. Was uns irritiert, sind solche Texte, die Gewalt religiös zu rechtfertigen scheinen oder gar Gott selbst als gewalttätig darstellen.
Warum scheint dies gerade im Alten Testament so deutlich hervorzutreten? Amos 9,7 zeigt: Neben dem Gott Israels gibt es keinen anderen Initiator von Geschichte in der Völkerwelt.
Der eigentliche Ort, an dem Gott wirkt und sich offenbart, ist die Geschichte Israels … Es reicht hin, die alttestamentlichen Geschichtssummarien in Jos 24,2–13; Dtn 26,5–9 oder Neh 9,6–37 zu vergleichen, um zu der Überzeugung zu gelangen, daß Jahwe und sein geschichtliches Handeln den wesentlichen Inhalt der Geschichte bilden. Eine solch enge Verbindung zwischen der Geschichte Israels und Gott selbst bewirkt, daß auf ihn auch alle Verantwortung für das Böse fällt …17
Dieser Problematik, die bislang in der Theologie eher ein Schattendasein führte, werden „gegenüber dem Stand vom Anfang der 1980er Jahre“ erheblich mehr Untersuchungen gewidmet (vgl. die Auswahl im Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag).18 Fast „1000 Mal wird Jhwh als Akteur von Gewalt dargestellt … Beinahe 100 Mal ordnet dieser Gott den Tod von Menschen an.“19 Wie können wir damit umgehen?
Sollten wir z. B. den „problematischen“ Schlussteil von Psalm 137 aus der öffentlichen Verkündigung ausklammern, um die Hörer nicht zu verunsichern? Sollen sich nur noch Spezialisten an solchen Texten abmühen, während die „erbaulichen“ Stellen der Gemeinde präsentiert werden? Dann aber würde doch ein wesentliches Thema (nach Norbert Lohfink das vorherrschende anthropologische Thema des Alten Testaments) in einer Art „bad bank des biblischen Erbes“ verwaltet.20
Es geht also nicht an, solche Berichte mit Schweigen zu übergehen oder sie „korrigieren“ zu wollen (z. B. durch metaphorische Umdeutung oder indem wir sie als späte Fiktionen erklären). Bei all dem kann man sich des (irrigen) Gefühls nicht erwehren, man habe es im AT doch mit Gesetzlichkeit und einem „harten Gott“, im NT mit Gnade und dem lieben Heiland zu tun. Die Akzeptanz des gesamten Buches hängt durchaus von dem Gottesbild, das wir dem AT entnehmen, ab. Für viele ist es …
2 … der Gott, der uns nicht passt
Kritiker wie der oben zitierte Richard Dawkins (Der Gotteswahn, Berlin 2007) und Christopher Hitchens (Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet. München 2009) schrieben Bestseller, indem sie den schlechten Ruf Gottes zum Thema machten. Sie beschäftigen sich scheinbar intensiv mit den Texten der Bibel, denen wir Christen gern aus dem Weg gehen (umgekehrt meidet Dawkins Texte, die Gott günstig porträtieren). Wir Christen müssen uns dem Wort Gottes in seiner Gesamtheit stellen. David Lamb hat Recht, wenn er beklagt:
Dadurch, dass Bibellehrer gewisse Textstellen so häufig meiden, während Autoren wie Dawkins sich darüber äußern, kann der Eindruck entstehen, Atheisten läsen die Bibel sorgfältiger als die Leute, die sie als das Wort Gottes ansehen.21
Dazu passt auch, dass das Thema der „göttlichen Gewalt“ in AT-Theologien praktisch keine Rolle spielt. Der Bonner Altestamentler Ulrich Berges nennt als Ausnahme den US-amerikanischen Theologen Walter Brueggemann (Theology of the Old Testament, 1997).22
Der Essener Systematik-Professor Ralf Miggelbrink spricht von einem sonderbaren Widerspruch: Der biblische Gott sei nach dem AT „ganz zentral bestimmt“ durch seinen Zorn (dazu s. u.), andererseits sei die christliche Verkündigung ganz konzentriert auf die Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes!23 In der Tat passen Erzählungen von einem aggressiven Gott nicht mehr in das gängige Gottesbild. Während man in der Vergangenheit Gott vor allem als Wächter der Ordnung predigte, der richtet und straft, werde in den letzten Jahrzehnten immer stärker der gütige Gott betont. „Die biblische Aussage ‚Gott ist die Liebe‘ (1. Johannesbrief 4,8) wurde zur alles beherrschenden Grundaussage … Biblische Texte, die sich dieser Aussage nicht einfügten, wurden beiseite geschoben“.24