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Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel ProustЧитать онлайн книгу.

Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen - Marcel Proust


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erkennbar, so blieb sie doch etwas Besonderes, wie die Entdeckung, die sie zutage gefördert hatte, blieb neu und somit verschieden von dem, was man Bergottemanier nannte, diese ungenaue Synthese aus schon entdeckten und von ihm selbst redigierten ›Bergottes‹, die den Ungenialen durchaus verwehrten zu mutmaßen, was er anderswo entdecken werde. Das trifft auf alle großen Schriftsteller zu, die Schönheit ihrer Sätze ist ebensowenig vorherzusehen wie die einer Frau, die man noch nicht kennt; sie ist Schöpfung, da sie angewandt wird auf ein äußeres Objekt, an das sie denken – sie denken nicht an sich – und das sie noch nicht ausgedrückt haben. Ein Memoirenschreiber von heute, der, ohne daß man es zu deutlich merke, einen ›Saint-Simon‹ machen wollte, könnte zur Not die ersten Worte des Porträts von Villars schreiben: ›Er war ein ziemlich großer brünetter Mann ... sein Gesichtsausdruck war lebhaft, offen, prononciert,‹ aber welche Schicksalsgunst könnte ihn die zweite Reihe finden lassen, die beginnt: ›und tatsächlich ein wenig verrückt.‹ Die echte Spielart liegt in dieser Fülle wahrer, unerwarteter Elemente, in dem Zweig voll blauer Blumen, der sich wider Erwarten aus der scheinbar schon übervollen Frühlingshecke hebt; die rein formale Nachahmung der Spielart hingegen (und dieser Gedanke ließe sich auf alle anderen Eigenschaften des Stiles anwenden) ist leer und gleichförmig, eigentlich also das genaue Gegenteil von Spielart; und nur wer des Meisters Art nicht begriffen hat, läßt sich von den Nachahmern etwas vortäuschen, das ihn an den Meister erinnert. Wäre Bergotte selbst nur ein Dilettant gewesen, der angeblichen Bergotte deklamiert, wäre seine Diktion nicht durch vitale Beziehungen, auf die das Ohr nicht unmittelbar reagiert, mit lebendigen, arbeitenden Bergottegedanken verknüpft gewesen, auch dann hätte sie zweifellos entzückt. Und gerade, weil er sein Denken präzis an die Wirklichkeit wandte, die ihm gefiel, bekam seine Sprache etwas Positives, das allzu kräftig wirkte und Leute, die von ihm immer wieder nur Worte über den ›ewigen Strudel der Erscheinungen‹ und den ›geheimnisvollen Schauer der Schönheit‹ erwarteten, enttäuschte. Ferner kehrte das qualitativ Seltene und Neue seiner Schriftsprache in seiner Konversation wieder als besonders subtile Art, an eine Frage heranzutreten und dabei alle ihre bereits bekannten Aspekte zu vernachlässigen; es war, als greife er sie von einer unwichtigen Seite an, als sei er auf Irrwegen, ergehe sich in Paradoxien, und so wirkten seine Ideen meist wirr, zumal jedermann nur die Ideen klar nennt, die denselben Grad der Verwirrung haben wie seine eigenen. Übrigens hat jeder neue Gedanke zur Bedingung seines Verständnisses die vorübergehende Ausscheidung des Veralteten, an das wir gewöhnt waren und das uns die Wirklichkeit selbst schien; jede neue Konversation wird, genau wie jede originelle Malerei oder Musik, immer erkünstelt und ermüdend wirken. Sie beruht auf Wendungen, die uns noch ungewohnt sind, der Plauderer scheint uns in lauter Metaphern zu sprechen, das strengt an und erweckt den Eindruck mangelnder Wahrheit. (Im Grunde waren die alten Sprachformen ehedem auch schwer zu verfolgende Bilder, als der Zuhörer noch nicht das Universum kannte, das sie schilderten. Aber nun stellt man sich seit langem vor, daß es das wirkliche Universum sei, und verläßt sich darauf.) Wenn also Bergotte, – was heute ganz einfach erscheint – von Cottard sagte, er sei ein cartesianischer Taucher, der sein Gleichgewicht suche, oder von Brichot, er habe noch mehr Mühe mit seiner Frisur als Frau Swann, weil er in der zwiefachen Besorgnis für sein Profil und seinen Ruf jeden Augenblick darauf achten müsse, daß seine Haartour ihm zugleich das Aussehen eines Löwen und eines Philosophen gebe, so fühlte man sich bald ermüdet und hätte gern auf etwas ›Konkreterem‹ Fuß gefaßt (das sagte man, um etwas Gewohnteres zu bezeichnen). Ich mußte die unkenntlichen Worte, die aus der Maske vor meinen Augen kamen, doch auf den Schriftsteller beziehen, den ich bewunderte, aber man hätte sie nicht in Bücher einfügen können, wie beim Puzzlespiel ein Stück, das in die andern hineinpaßt, sie lagen auf einer andern Ebene und erforderten eine Transposition: mittels dieser fand ich dann eines Tages, als ich mir die von Bergotte gehörten Wendungen wiederholte, das ganze Rüstzeug seines geschriebenen Stils wieder und konnte dessen verschiedene Bestandteile in dem gesprochenen Vortrag, der mir so andersartig vorkam, feststellen und benennen.

      Von einem mehr beiläufigen Standpunkt entsprach die besondere, etwas minutiöse, zu intensive Art, gewisse Worte, gewisse Adjektiva, die häufig in seiner Rede wiederkehrten, mit einem bestimmten Pathos auszusprechen, alle Silben deutlich hervortreten, und die letzte singen zu lassen, genau der besondern Auswahl der Stelle, an die er in der Prosa seine Lieblingsworte setzte, die er immer durch eine Art Spielraum gegen das Vorhergehende abgrenzte und in die Gesamtheit seines Satzes so hineinkomponierte, daß man gezwungen war, um keinen Fehler im Rhythmus zu machen, die ganze ›Quantität‹ dieser Worte hervorzuheben. Eine bestimmte Beleuchtung fand man aber in seiner Rede nicht wieder, die in seinen wie in den Büchern einiger anderer Autoren oft im geschriebenen Satze die Erscheinung der Worte modifiziert. Dieses Licht kommt gewiß aus großen Tiefen und seine Strahlen dringen in den Stunden, da wir, den andern offen im Gespräch, uns selbst in einem gewissen Maße verschlossen sind, nicht bis zu den gesprochenen Worten vor. In dieser Hinsicht gab es mehr Tonabstufungen, mehr Akzent in seinen Büchern als in seiner Rede, einen Akzent, unabhängig von der Schönheit des Stiles, von dem der Autor gewiß selbst nichts gemerkt hat, denn er ist von seiner intimsten Persönlichkeit nicht zu trennen. Dieser Akzent gab dort, wo Bergotte in seinen Büchern ganz natürlich war, oft ganz unbedeutenden Worten Rhythmus. Im Text ist dieser Akzent nicht notiert, nichts weist auf ihn hin, und er fügt sich den Sätzen doch ein, man kann sie nicht anders sprechen, er ist das Ephemerste und zugleich Tiefste des Schriftstellers, das, was für seine Natur zeugen wird und dartun, ob er trotz aller Härten, die er ausdrückte, sanft, trotz aller Sinnlichkeit gefühlvoll war.

      Gewisse Besonderheiten des Ausdrucks, die schwach in Bergottes Gespräch zu spüren waren, gehörten nicht eigentlich ihm allein, ich habe sie später bei seinen Brüdern und Schwestern kennen gelernt und bei diesen erheblich betonter gefunden. Es war eine gewisse Heftigkeit und Rauheit in den letzten Worten eines heiteren Satzes, ein Schwachwerden und Verhauchen am Ende eines traurigen. Swann, der den Meister schon als Kind gekannt hatte, erzählte mir, daß man damals bei ihm ebensosehr wie bei seinen Geschwistern diesen Familientonfall zu hören bekam; da gab es bald Schreie ungeberdiger Lustigkeit, bald Murmeln träger Melancholie, und in dem Zimmer, in dem sie sich alle zusammen tummelten, spielte er besser als irgendeiner seinen Part in ihren abwechselnd ohrenbetäubenden und verwimmernden Konzerten. So eigenartig solch ein Stimmfall gewisser Wesen sein mag, er verflüchtigt sich und überlebt seine Träger nicht. Mit dem Ton der Familie Bergotte kam es anders. So schwer es sogar in den ›Meistersingern‹ zu begreifen ist, wie ein Künstler Musik erfinden kann, während er die Vögel zwitschern hört, – Bergotte hatte in seine Prosa diese Art, auf Worten zu verweilen, die im Freudenausbruch sich häufen oder in traurigen Seufzern vertropfen, übertragen und darin festgehalten. Es gibt in seinen Büchern Satzschlüsse, in denen die Klanghäufung sich verlängert wie in den letzten Akkorden einer Ouvertüre, die nicht enden kann und mehrere Male ihre letzten Takte wiederholt, bis endlich der Kapellmeister den Taktstock niederlegt. Darin habe ich später oft ein musikalisches Äquivalent zu den Stimm-Trompeten der Familie Bergotte gefunden. Bergotte selbst aber hörte unbewußt auf, sie in seiner Rede zu gebrauchen, seit er in seine Bücher sie übertragen hatte. Vom Tage an, da er zu schreiben begann, und erst recht später, als ich ihn kennen lernte, hatte seine Stimme das Instrumenthafte für immer verloren.

      Die jungen Bergotte – der künftige Schriftsteller und seine Geschwister – waren gewiß andern jungen Leuten nicht überlegen; im Gegenteil, andere feinere und geistvollere fanden die Bergotte recht laut, geradezu etwas gewöhnlich und mit ihren typischen, halb preziösen, halb albernen Familienspäßen unerträglich. Aber das Genie, ja schon das Talent kommt weniger von einer Überlegenheit im Geistigen und einer Verfeinerung im Sozialen andern gegenüber als von der Fähigkeit, die vorhandenen Elemente umzuformen und zu übertragen. Um eine Flüssigkeit mit einer elektrischen Lampe zu wärmen, kommt es nicht darauf an, eine möglichst starke Lampe zu verwenden, sondern eine, deren Strom aufhören kann zu leuchten, sich ableiten läßt und statt des Lichtes Wärme gibt. Um im Flugzeug zu fahren, bedarf es nicht des stärksten Motors, sondern eines, der, wenn er nicht weiter auf der Erde läuft, sondern die bisher verfolgte Linie in einer Vertikale schneidet, imstande ist, seine horizontale Geschwindigkeit in aufsteigende Kraft zu verwandeln. Ebenso werden geniale Werke nicht von denen hervorgebracht, die im erlesensten Milieu leben, die glänzendste Konversation machen, die umfassendste Bildung besitzen, sondern von solchen, die die Macht haben, plötzlich aufzuhören für sich


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