Toni der Hüttenwirt Paket 1 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
Berge waren da vor Tausenden von Jahren. Sie werden auch noch dasein, wenn es uns beide schon lange nicht mehr hier auf Erden geben tut. Wir haben Zeit, viel Zeit.«
Dann saßen sie noch eine Weile zusammen. Victor hatte seinen Arm um Karin gelegt und drückte sie fest an sich. Sie fühlte sich geborgen. Im Stillen dachte sie an die Worte, die Meta zu ihr gesprochen hatte.
Karin wußte nun, daß er sie liebte. Er hatte es noch nicht mit Worten ausgesprochen. Doch sie wußte es. Sie liebte ihn auch. Es war eine besondere Liebe. Der Funke war im ersten Blickkontakt, durch die erste Berührung übergesprungen, von Herzen zu Herzen. Trotzdem wollten sie diese zarte Pflanze der Liebe in Ruhe wachsen lassen. Sie waren beide keine Backfische mehr, die sich im Überschwang der Gefühle dem Rausch der Liebe hingeben. Ihre Liebe war eine stille tiefe Liebe. Sie wollten sich Raum geben, sich zu prüfen für ein langes gemeinsames Leben. Nach einer enttäuschten Liebe waren sie sich der Liebe des anderen sicher. Doch sie wollten sich beide sicher sein, daß ihre eigenen Gefühle sie nicht täuschten.
Sie nahmen es ernst. Wenn sie vor den Traualtar treten wollten, um sich einander das Versprechen zu geben, dann sollte alles stimmen. Jeder wollte den anderen achten und ehren, so wie er war. Jeder sollte um den Teil wissen, den er mit in die Ehe einbringen wollte. Dazu gehörte auch, daß jeder einen Raum für Freiheit und Entfaltung innerhalb der Gemeinschaft der Liebe erhielt. Niemand sollte sich bevormundet, unterdrückt fühlen oder werden. Beide hatten das in ihren alten Beziehungen erlebt.
Jeanette hatte versucht, aus Victor einen anderen zu machen. Pierre hatte Karin immer bevormundet und unterdrückt. So hatten beide, Karin und Victor, allen Grund, in der neuen Beziehung vorsichtig zu sein. Ein altes Sprichwort sagte:
Drum prüfe, wer sich ewig bindet!
Das wollten sie tun. Dazu war ihre Seilschaft da.
*
Karin kam Stunden später auf die Berghütte zurück.
»Hier ist das Päckchen, Anna! Was ist drin?«
Anna schmunzelte.
»Nichts!«
»Nichts?« fragte Karin ungläubig.
»Nichts ist vielleicht etwas übertrieben. Es ist schon was drin. Ich habe für Toni ein neues Taschenmesser bestellt. Doch es war nicht eilig mit dem Abholen. Dein Gang zur Oberländer Alm hatte einen anderen Hintergrund.«
Anna blinzelte Karin zu.
»Wenn ich dich so ansehe, dann weiß ich, daß mein kleiner Trick seinen Zweck erfüllt hat. Ist es nicht so? Dir ist doch unterwegs Victor begegnet?«
Karin errötete. Anna erzählte.
»Victor hatte angerufen und gebeten dich auf die Oberländer Alm zu schicken. Er wollte dich unterwegs treffen, um ganz mit dir allein zu sein.«
»Das war eine richtige Intrige, der ich da zum Opfer gefallen bin!« protestierte Karin halbherzig.
»Intrige ist ein starkes Wort, Karin. Es war doch nur ein kleiner Trick, eine winzige List. Es lag bei dir und Victor, was ihr daraus macht.«
Karin wurde erneut rot.
»Aha, dann seid ihr euch näher gekommen?«
»Nun ja! Ich will es so sagen. Wir haben unsere Seilschaft gefestigt. Es ist für uns beide nicht einfach. Wir mögen uns, aber wir haben beide noch die Vergangenheit zu verarbeiten.«
»Verständlich! Wie macht ihr das?«
Karin erzählte Anna, was sie mit Victor abgesprochen hatte. Toni war in die Küche gekommen und hatte zugehört.
»Des is eine gute Idee. Da könnt ihr euch in Ruhe noch näher kennenlernen. Du hast die Freiheit, die du brauchst Karin. I versteh’ das gut. I wünsch dir alles Glück, Karin.«
Karin packte ihre Sachen zusammen und wanderte hinunter zur Oberländer Alm. Von dort aus nahm sie ihr Auto und fuhr zum Reichler Hof.
»Schön, daß du da bist, Karin. Komm mit! I habe dir dein vorläufiges Domizil schon hergerichtet.«
Victor trug den großen Rucksack und ging voraus. Hinten am Bauernhaus war ein Anbau über dem Geräteschuppen. Zu der kleinen Wohnung führte eine Außentreppe.
»So, da kannst di einrichten. Eine kleine Küche gibt es hier auch. Aber wie die Mutter gesagt hat, kannst gerne ihre benutzen. Die Wohnung wurde bis vor einigen Jahren von einer alten Tante bewohnt. Seither steht sie leer.«
»Danke, Victor! Sag deinen Eltern auch ein herzliches Dankeschön.«
Bevor Victor Karin allein ließ, hauchte er ihr einen Kuß auf die Wange. Er schaute sie an, und Karin las die Sehnsucht in seinen Augen. Sie verstand ihn gut. Zwischen ihnen bestand ein Band der Liebe, ein Seil, das sie verband auf einen gemeinsamen Weg in die Zukunft. Doch wie bei einem Aufstieg zum höchsten Berggipfel, wollten sie nicht hasten und unvorsichttig sein. Unausgesprochen wußten sie, daß ein langsamer und stetiger vorsichtiger Aufstieg, gebaut auf gegenseitigem Vertrauen, die beste Grundlage war.
Karin schmiegte sich einen kleinen Augenblick an Victor und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange.
»Geh nur! Wirst noch was zu tun haben. Ich packe aus und dann komme ich.«
Die nächsten drei Wochen verliefen voller Harmonie. Karin arbeitete tagsüber bei Martin. Abends und samstags renovierte sie die kleine Wohnung in Alois Häuschen. Sie hatte Zeit und tief im Herzen wußte sie auch, daß sie diese Wohnung nicht lange bewohnen würde. Das stille Band zwischen ihr und Victor wurde von Tag zu Tag enger. Es waren die kleinen respektvollen Gesten, mit denen Victor seine Liebe Karin gegenüber zum Ausdruck brachte. Immer war er freundlich und höflich zu ihr. Niemals verlangte er von ihr Arbeiten oder Gefälligkeiten, die er selbst tun konnte. Sicherlich lebten sie gemeinsam unter dem großen Dach des Reichler Hofes, doch jeder lebte für sich. Sie frühstückten gemeinsam, aßen Abendessen zusammen. Wenn Karin von den Renovierungsarbeiten kam, saßen sie noch zusammen vor dem Haus oder im Garten. Dann hielt Victor zärtlich ihre Hand. Ihre Küsse entbehrten nicht einer gewissen Zurückhaltung. Jeder brachte seine Liebe für den anderen zum Ausdruck, ohne ihn dabei leidenschaftlich zu bedrängen. Gerade darin lag die tiefe Zuneigung verwurzelt.
*
Eines Tages kam Karin von der Arbeit heim. Als sie Victor ansah, spürte sie sofort, daß etwas vorgefallen war. Er war verschlossener als sonst. Diese Stimmung hielt einige Tage an. Auf Karins Frage, ob ihn irgendwelcher Kummer bedrückte, antwortete er nur ausweichend. Victor sprach weniger als sonst. Wenn sie zusammen im Garten saßen, wirkte er oft abwesend, so als wäre er mit seinen Gedanken weit fort. Karin beunruhigte das immer mehr.
Hinzu kam, daß sich die Patienten ihr gegenüber ganz sonderbar benahmen. Mehr als zuvor fragten sie Karin, wie sie sich denn so im Dorf fühlen würde. Sie sprachen immer wieder Einladungen aus und boten ihre Hilfe an, sollte sie solche benötigen. Sehr interessiert erkundigten sie sich danach, wie weit die Malerarbeiten in iher Wohnung fortschritten.
Karin spürte deutlich, daß irgendetwas in der Luft lag. Es kam ihr so vor, als würde Martin sie auch anders behandeln. Wenn sie nach der Sprechstunde die anfallende Verwaltungsarbeit noch erledigen wollte, schickte er sie fort.
»Laß das liegen. Die Arbeit frißt kein Brot. Das kannst auch noch morgen machen. Es ist wichtiger, daß du mit deiner Wohnung vorankommst.«
Als Karin immer unsicherer wurde, rief sie Anna an. Diese kam am nächsten Tag herunter ins Dorf. Es war Mittwoch und die Praxis am Nachmittag geschlossen. Karin und Anna hatten sich am See verabredet.
Anna wartete schon, als Karin mit dem Fahrrad kam. Sie stellte ihr Rad an einen Baum. Die beiden Frauen setzten sich auf den Bootsteg und ließen ihre Füße im klaren und kühlen Wasser baumeln.
Karin schüttete ihr Herz aus.
»Mein Gefühl sagt mir, daß etwas nicht stimmt. Victor ist so merkwürdig still. Alle behandeln mich wie ein rohes Ei. Anna weißt du etwas?«
Anna atmete durch.