Mami Staffel 6 – Familienroman. Claudia TorweggeЧитать онлайн книгу.
enttäuschter Blick entging ihr nicht, aber sie rief sich selbst zur Ordnung.
Nein, ich will nichts mit ihm anfangen – und dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens habe ich mein Kind, meine Amelie, zweitens ist er bestimmt jünger als ich, drittens wäre es wahrscheinlich nichts Dauerhaftes und viertens – liebe ich ihn nicht.
»Was nicht ist, kann noch werden«, sagte Friedhelm neben ihr. Sie erschrak, denn ihr war, als hätte er eben ihre Gedanken gelesen. Sie sah ihn aus großen erschrockenen Augen an.
»Warum sehen Sie mich so an, Nina?« fragte er lächelnd. »Ich bin doch kein Geist!«
»Nein, das sind Sie nicht«, sagte sie mühsam.
»Was nicht ist, kann noch werden!« wiederholte er. »Wenn erst meine übrige Wohnung so aussehen wird, wie diese wunderschön gesäuberte Küche… Danke für Ihre Hilfe, liebe, gute Nina-Fee.«
Er beugte sich herunter und küßte sie auf die Wange. Es war ein freundschaftlicher, ein brüderlicher Kuß, und irgendwie war Nina deswegen erleichtert.
»Bitte sehr, Friedhelm, es war mir eine Freude, Ihnen zu helfen. Sie müssen nur noch die Spülmaschine anstellen«, antwortete sie. »Aber nun muß ich wirklich gehen. Wir müssen beide morgen früh raus. Sie, um in Urlaub zu fahren, und ich, um ins Büro zu gehen. Gute Nacht und schlafen Sie gut!«
Als sie schon bei der Tür war, lief er ihr nach und händigte ihr seine Ersatzschlüssel aus.
»Sie wissen schon, wegen der Blumen. Es sind nicht viele, hoffentlich macht es Ihnen nicht allzu viel Mühe«, sagte er. »Die Spülmaschine stelle ich erst morgen früh an, dann kann ich noch mein Frühstücksgeschirr hineinräumen. Wenn Sie vielleicht so nett wären und dann den Wasserhahn abstellen würden?«
»Das mache ich doch gerne. Also Wasserhahn abstellen und Blumen gießen. Ist sonst noch was? Briefkasten ausleeren vielleicht?« fragte sie. »Ach, übrigens, Ihre Rohre in der Küche scheinen verstopft zu sein. Das Spülbecken läuft schlecht ab.«
»Ja, das habe ich gemerkt. Es gluckert immer so verdächtig«, gab er zu. »Wenn ich zurück bin, bestelle ich einen Handwerker, der das in Ordnung bringt.«
»Also dann, gute Nacht – und gute Reise«, sagte Nina und machte sich daran, die Treppe zu ihrer Wohnung hinunter zu gehen. Drunten im Parterre wurde vorsichtig eine Wohnungstür aufgemacht. Friedhelm grinste und legte mit Verschwörermiene den Finger auf die Lippen. Nina verbiß sich das Lachen. Beide blieben mucksmäuschenstill stehen, bis die Tür unten fast lautlos wieder geschlossen wurde.
»Die alte Meyer, die neugierige Hexe«, flüsterte Friedhelm und zwinkerte Nina zu. »Wer weiß, was die jetzt von uns denkt…«
»Wer weiß«, antwortete sie und konnte sich kaum halten vor unterdrücktem Lachen.
*
Friedhelm Brückner war zu seinem Urlaubsziel abgereist und hatte als letzte Handlung vor dem Verlassen seiner Wohnung noch die Spülmaschine angestellt. Nina hörte das Rauschen und Pumpen in ihrer Wohnung – und da war noch ein verdächtiges Geräusch. Ein Geräusch, das anders war als die normalen Geräusche, die man in einem Mietshaus hörte. Es war – Wasser, tropfendes, rinnendes Wasser…
Sie legte die Bürste beiseite, mit der sie eben Amelies Locken gebändigt hatte und eilte ins Badezimmer. Und wirklich, von der Decke des Badezimmers troff das Wasser, lief in hellen Bächen die Wände entlang.
»Ach, um Himmels willen!« rief sie erschrocken aus. Sie holte Friedhelms Schlüssel hervor und rannte, so schnell sie nur konnte, zur Wohnung im Obergeschoß. Sie schloß die Tür auf, eilte durch den Flur in die Küche. Die Spülmaschine pumpte gerade ihr Wasser ab, Mengen von Wasser, das gluckerte und irgendwohin ablief.
»… in mein Badezimmer«, sagte Nina angstvoll. »Es läuft in mein Badezimmer…«
Die Rohre – das hatte sie ja gestern abend schon bemerkt – die Rohre waren verstopft. Im Spülbecken stand zwar gestautes Wasser, aber nicht allzuviel. Das Wasser, das aus der Spülmaschine ablief, suchte sich einen Weg, floß, da die Rohre verstopft waren, offensichtlich wegen einer undichten Muffe durch Friedhelm Brückners Fußboden und ihre Badezimmerdecke hindurch. Sie drückte auf den Schalter der Spülmaschine, um das Gerät erst einmal auszuschalten.
»Du meine Güte, was mach’ ich denn nur?« sagte sie hilflos. Amelie war hinter ihr die Treppe heraufgekommen und lugte gespannt um die Ecke.
»Was ist denn, Mami, was ist denn?« fragte sie aufgeregt. Nina fuhr sich über die Stirn.
»Wasser. Wir haben einen Wasserschaden«, stellte sie fest. »Und irgendwas muß geschehen…«
Als erstes rief sie von ihrer Wohnung aus im Büro an, um Bescheid zu sagen, daß sie später kommen würde. Als zweites verständigte sie den Hausverwalter, der versprach, einen Installateur zu schicken. Dann brachte sie Amelie, die natürlich liebend gerne zu Hause geblieben wäre, in den Kindergarten. Wann erlebte man denn so was schon – Wasser, das in Strömen durch die Badezimmerdecke lief! Widerstrebend ging sie neben ihrer Mutter her und fragte sie nach allem möglichen aus, nach dem Handwerker, der bald kommen würde, und wie denn der nasse Fleck im Badezimmer wieder wegzubekommen wäre.
»Fällt uns jetzt die ganze Decke auf den Kopf?« fragte sie.
»Um Himmels willen, bloß nicht!« sagte Nina. »Schrecklicher Gedanke. Dann hätten wir ja eine Baustelle…«
»Baustelle? Wie bei uns in der Straße, wo das neue Haus gebaut wird? Mit Ziegelsteinen und Sand und Wasser und einer Mischmaschine und so?« erkundigte sich Amelie. Sie fände das toll, aber nach dem Gesicht ihrer Mutter zu urteilen, war die ganz anderer Ansicht.
»Das Zeug in der Spülmaschine von Herr Brückner – ist das schon sauber?« fiel es Amelie ein. Nina seufzte.
»Ich weiß es nicht, ich glaube nicht«, sagte sie. »Aber auch darum werde ich mich kümmern müssen.«
Sie beugte sich hinunter, um ihrer Tochter einen Abschiedskuß zu geben.
»Bis heute nachmittag, Kleines. Ich glaube, ich werde heute vielleicht doch nicht mehr ins Büro gehen können. Und dabei habe ich soviel Arbeit auf meinem Schreibtisch liegen!«
»Dann holst du mich heute nachmittag ab, Mami?«
»Nein, Liebling, ich fürchte, das geht nicht. Ich werde Frau Meyer bitten müssen, dich abzuholen.«
»Warum geht es nicht, Mami? Wenn du doch sowieso nicht ins Büro gehst, dann bist du doch zu Hause!«
»Ich weiß ja nicht, wann die Handwerker kommen und wie
sie fertigwerden«, antwortete Nina.
»Ooch«, sagte Amelie enttäuscht, doch bei dem Gedanken, daß, wenn sie nachmittags nach Hause käme, sicherlich immer noch Handwerker da sein würden, war sie schnell versöhnt.
»Ich habe eine tolle Idee, Amelie. Was hältst du davon, wenn wir beide heute abend in die Eisdiele gehen?« schlug Nina vor. Amelie strahlte. Das war natürlich noch etwas ganz Besonderes.
»Au ja«, sagte sie fröhlich. »Ich esse ein Spaghetti-Eis. Das sieht immer so schön aus, Vanille-Eis mit roter Himbeer-Soße!«
»Und ich werde Schokolade, Nuß und Zitrone nehmen und ein kleines bißchen Sahne«, entgegnete Nina. Sie war froh, daß sie Amelie so schnell ablenken und auf andere Gedanken bringen konnte. Es tat ihr immer wieder von neuem leid, daß sie nicht uneingeschränkt für ihr Kind dasein konnte und es so oft vertrösten mußte. Das machte ihr Kummer und Schuldgefühle.
Wenn wir doch eine richtige Familie wären – mit einem Vater, der sich um uns kümmert und für uns sorgt, mußte sie oft denken. Aber tapfer schob sie diesen Gedanken dann immer weit weg.
»Es ist eben so und nicht anders«, sagte sie laut, und Amelie sah ihre Mutter verwundert an.
»Meinst du, mit dem Wasser durch die Decke ist es so und nicht anders?« fragte sie, und Nina nickte.