Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
später von dem Anführer der Weißen adoptiert.«
»Das stimmt«, sagte Billy. »Es waren Modoc-Indianer. Der Zug, in dem er sich befand, muss nach Oregon bestimmt gewesen sein. Aber er wurde vollkommen aufgerieben. Ich möchte wissen, ob Sie etwas über Saxons Mutter wissen. Sie schrieb damals Gedichte.«
»Ist etwas davon gedruckt?«
»Ja«, antwortete Saxon, »in den alten Zeitungen von San José.«
»Erinnern Sie sich einiger davon?«
»Ja, da ist eines, das so anfängt:
Süß wie die luftigen Windharfensaiten,
So konnte deine holde Muse singen,
Und Kaliforniens endlose Weiten,
Sie ließen sanft das Echo wiederklingen.«
»Das kommt mir bekannt vor«, sagte Frau Mortimer sinnend.
»Und ein andres Gedicht fängt so an:
Fort schlich ich von den anderen in den Hain,
Wo nackte Statuen unter kühlen Blättern stehn –
Es sind noch viel mehr von derselben Art. Ich verstehe nicht alles. Es ist an meinen Vater gerichtet.«
»Ein Liebesgedicht!« fiel Frau Mortimer ihr ins Wort. »Ja, jetzt erinnere ich mich«, rief sie, »warten Sie. – Da, da – dah, ja, jetzt hab’ ich es.
Im Gesprüh des Springbrunns, dessen Amethystensaat
Einen Augenblick auf Brust und Hand erzittern –
Den Vers mit der Amethystensaat habe ich nie vergessen, aber an den Namen Ihrer Mutter kann ich mich nicht erinnern.«
»Sie hieß Daisy –« begann Saxon.
»Nein, Dayelle«, berichtigte Frau Mortimer, deren schlummernde Erinnerung jetzt geweckt war.
»Aber niemand nannte sie so.«
»Nein, aber es war der Name, den sie unter ihre Gedichte setzte. Wie weiter?«
»Daisy Wiley Brown.«
Frau Mortimer trat ans Bücherregal und kehrte gleich mit einem großen dunklen Band zurück.
»Das ist ›Die Geschichte der Reihen‹«, erklärte sie. »Unter anderem enthält sie alle guten Verse aus jener Zeit, aus alten Zeitungen gesammelt.« Ihr Blick durchlief das Inhaltsverzeichnis und blieb plötzlich haften. »Ja, es stimmt! Dayelle Wiley Brown. Hier ist es. Und hier sind obendrein zehn Gedichte von ihr: ›Die Suche des Wikings‹, ›Tage des Goldes‹, ›Treue‹, ›Der Caballero‹, ›Gräber am Little Meadow‹ –«
»Dort schlugen wir die Indianer«, fiel Saxon ihr eifrig ins Wort. »Und Mutter, die damals erst ein kleines Mädchen war, ging und holte Wasser für die Verwundeten. Die Indianer wollten nicht auf sie schießen. Alle Menschen sagten, dass es ein Wunder war.« Sie riss sich von Billy los, streckte die Hände nach dem Buch aus und rief: »Ach, lassen Sie mich sehen! Lassen Sie mich sehen! Das ist etwas ganz Neues für mich. Ich kenne die Gedichte nicht. Darf ich sie mir abschreiben? Ich will sie auswendig lernen. Denken Sie – meine Mutter!«
Frau Mortimer merkte plötzlich, dass ihre Brille geputzt werden musste, und eine halbe Stunde saßen sie und Billy schweigend da, während Saxon sich eifrig mit den Gedichten ihrer Mutter beschäftigte. Zuletzt stand sie da und starrte das Buch an, das sie über dem Finger geschlossen hatte, und in Verwunderung und Ehrfurcht konnte sie nur wiederholen:
»Und das habe ich nie gewusst! Das habe ich nie gewusst!«
Aber Frau Mortimers Gehirn war in dieser halben Stunde nicht untätig gewesen, und kurz darauf legte sie ihnen ihren Plan dar. Sie glaubte an wissenschaftlichen Meiereibetrieb so gut wie an wissenschaftliche Landwirtschaft, und es war ihre Absicht, gleich nach Ablauf des Pachtvertrages auf den anderen zehn Morgen eine derartige Meierei einzurichten. Wie alles, was sie anfing, sollte auch die nach allen Regeln der Kunst betrieben werden, und das hieß, dass sie mehr Hilfe brauchte. Billy und Saxon waren für diese Arbeit wie geschaffen. Noch vor dem nächsten Sommer konnte sie sie in dem kleinen Hause, das sie zu bauen gedachte, unterbringen, bis dahin musste sie irgendwie versuchen, Billy Arbeit zu verschaffen. Sie wollte ihnen gern für den ganzen Winter Arbeit garantieren, und sie wusste, dass am Ende der Straßenbahnlinie ein Häuschen zu vermieten war. Unter ihrer Aufsicht konnte Billy den Bau von Anfang an überwachen. Auf die Weise konnten sie Geld verdienen und sich auf den selbstständigen Betrieb eines Gehöfts vorbereiten, während sie sich gleichzeitig umsehen konnten.
Aber ihre Überredungskünste waren fruchtlos. Zunächst erklärte Saxon kurz und bündig, was sie dazu meinte.
»Wir können nicht an der ersten Stelle bleiben, wo wir hinkommen, wenn auch Ihr Haus und dieses Tal noch so schön und gut sind. Wir wissen ja nicht einmal, was wir selber wollen. Wir müssen weiter wandern und uns alle möglichen Orte und Methoden ansehen, um herauszufinden, wie alles zusammenhängt. Wir haben gar keine Eile. Wir wollen unserer Sache sicher sein – ja, ganz sicher! Und außerdem –«, sie bedachte sich ein wenig, »– außerdem machen wir uns nichts aus Flachland. Billy will am liebsten etwas Berge. Und ich auch.«
Als sie sich verabschiedeten, wollte Frau Mortimer ihr Exemplar von der »Geschichte der Reihen« Saxon schenken, aber Saxon schüttelte den Kopf und bat Billy um zwei Dollar.
»Hier steht, dass es zwei Dollar kostet«, sagte sie. »Wollen Sie ein Exemplar für mich kaufen und aufbewahren, bis wir eine Stelle finden, wo wir wohnen können? Dann schreibe ich Ihnen, dass Sie es mir schicken können.«
»Ach, ihr Amerikaner!« schalt Frau Mortimer und steckte das Geld ein. »Aber ihr müsst mir versprechen, mir, ehe ihr einen Entschluss fasst, hin und wieder zu schreiben.«
Sie brachte sie bis auf die Landstraße.
»Ihr seid zwei mutige junge Seelen!« sagte sie beim Abschied. »Ich wünschte nur, ich könnte mit euch in die Welt hinaus wandern, mein Gepäck auf dem Rücken. Ihr seid prachtvoll, ihr beiden! Wenn ich je etwas für euch tun kann, so lasst es mich nur wissen. Ihr werdet sicher Glück haben, und ich möchte meinen Anteil an euerm Erfolg haben. Lasst mich wissen, wie es mit dem Staatsboden geht, wenn ich auch nicht sehr daran glaube. Der liegt sicher viel zu weit vom Markt ab.« Sie drückte Billy die Hand, schloss aber Saxon in ihre Arme und küsste sie.
»Seid nur guten Mutes«, sagte sie leise und mit tiefem Ernst in der Stimme. »Ihr werdet schon durchkommen. Ihr fangt die Sache richtig an. Und ihr habt recht, dass ihr nicht auf meinen Vorschlag eingehen wollt. Aber vergesst nicht, dass dies – oder etwas Besseres – euch immer