Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
»Wart einen Augenblick!« sagte er. »Du willst doch nicht, dass ich dir das Kinn ganz zerschlage. Ich will es dir zeigen. Ich kann es mit einem viertel Zoll tun.«
Und aus einer Entfernung von einem viertel Zoll traf er ihr Kinn mit einem winzigen Stoß.
Im selben Augenblick kam ein weißer Funke; es war, als spränge etwas in ihrem Hirn, während ihr ganzer Körper erschlaffte, gefühllos, schwach und willenlos wurde und ihre Augen sich verschleierten und ihre Sehkraft verloren. Im nächsten Augenblick aber kam sie wieder zu sich, und ein entsetzter, verständnisvoller Ausdruck war in ihren Augen.
»Du trafst ihn aus einer Entfernung von einem Fuß«, murmelte sie mit Andacht in der Stimme.
»Ja, und mit meinem ganzen Schultergewicht obendrein«, lachte Billy. »Ach, das ist gar nichts! – Jetzt will ich dir etwas anderes zeigen.«
Er suchte und fand ihren Solar Plexus, den er leicht mit dem Mittelfinger antippte. Dieses Mal war es, als würde sie am ganzen Körper gelähmt, und ihr Atem stockte, wohingegen ihr Gehirn und ihre Sehkraft vollkommen klar blieben. Und ungefähr im selben Augenblick waren auch diese ungewohnten Gefühle schon verschwunden.
»Ja«, meinte Billy, »jetzt kannst du dir vielleicht denken, wie es ist, wenn der andere von den Knien aus stößt, das war der Stoß, der Bob Fitzsimmons seine Weltmeisterschaft verschaffte.«
Saxon schauderte, ließ es sich aber doch gefallen, dass Billy scherzend alle Schwächen der menschlichen Anatomie an ihr selbst demonstrierte. Er presste die Spitze eines Fingers an eine Stelle mitten an ihrem Unterarm, und sie fühlte einen wahnsinnigen Schmerz. Zu beiden Seiten des Halses, unterhalb der Stelle, wo er begann, drückte er ganz leicht mit seinem Daumen, und sie fühlte ihr Bewusstsein schwinden.
»Das ist einer von den Todesgriffen der Japaner«, sagte er und fuhr fort, wobei er die verschiedenen Griffe und Stöße andauernd mit Kommentaren begleitete. »Dies ist der Zehenstoß, mit dem Gotch Hackenschmidt erledigte. Den habe ich von Farmer Burns gelernt. Und dies ist ein halber Nelson, ja, und denk dir jetzt, du machst Skandal in einem Ballsaal, und ich bin Festleiter und soll dich hinauswerfen.«
Mit der einen Hand griff er um ihr Handgelenk, und mit der anderen um ihren Unterarm, worauf er wieder sein eigenes Handgelenk packte. Bei dem geringsten Druck hatte sie das Gefühl, dass ihr Arm ein Pfeifenrohr war, das zerbrechen wollte.
»Das nennt man: ›Komm mit!‹ und hier ist der ›starke Arm‹. Ein Junge kann mit diesem Griff einen Mann werfen. – Und wenn jemand sich mit einem anderen prügelt, und seine Nase gerät ihm zwischen die Zähne, und man will ja nicht gern seine Nase verlieren, nicht wahr? Ja, dann macht man das hier, so schnell wie der Blitz.«
Sie schloss unwillkürlich die Augen, als Billy die Daumenspitzen darauf drückte. Sie konnten den fliegenden Schmerz fühlen, der einer dumpfen, furchtbaren Qual vorausging.
»Und wenn er dann noch nicht loslässt, dann presst man hart zu, und seine Augen fallen ihm aus dem Kopf, und er wird stockblind für den ganzen Rest seines Lebens. Ach, er soll schon loslassen.«
Er ließ sie los, und sie lehnte sich lachend zurück.
»Wie fühlst du dich?« fragte er. »Das sind zwar keine richtigen Boxertricks, aber sie kommen einem sehr zu statten, wenn man mal in eine Schlägerei gerät.«
»Ich fühle, dass ich mich rächen muss«, sagte sie und versuchte, den ›Komm-mit‹-Griff an seinem Arm anzuwenden.
Als sie aber zudrücken wollte, schrie sie laut vor Schmerz, denn sie tat sich nur selber weh. Billy grinste über ihre fruchtlosen Anstrengungen. Sie grub ihre Daumen in seinen Hals, um einen japanischen Todesgriff auszuführen, und sah mit tiefstem Bedauern ihre gebogenen Nägel. Sie klopfte ihn hart auf die Spitze des Kinns und schrie wieder laut, dieses Mal, weil sie sich ihre Knöchel geschlagen hatte.
»Das kann mir aber jedenfalls nicht weh tun«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen, und schlug mit der geballten Faust auf seinen Solar Plexus.
Billy brüllte direkt vor Lachen. Unter dem Überzug von Muskeln, der wie ein eiserner Panzer wirkte, war das verhängnisvolle Nervenzentrum vollkommen unzugänglich.
»Nur weiter, nur immer weiter!« spornte er sie an, als sie, vor Anstrengung stöhnend, den Kampf aufgab. »Es ist ein so komisches Gefühl, als ob du mich mit einer Feder kitzeltest.«
»Na ja, Verehrtester!« sagte sie drohend. »Du kannst, so viel du willst, von deinen Griffen, Totschlägen usw. reden, aber das tun die Männer alle. Ich weiß etwas, das mehr ist als alles andere, und das einen starken Mann so hilflos wie ein Kind macht. Warte nur einen Augenblick. So! Mach die Augen zu. Fertig? Es dauert nur einen Augenblick.«
Er wartete mit geschlossenen Augen, und so weich wie Rosenblätter, die zu Boden fallen, berührten ihre Lippen seinen Mund.
»Ich gebe mich besiegt«, sagte er ernst und begeistert und schloss sie in seine Arme.
*
Am Morgen ging Billy zum Pferdehändler und erlegte den Preis für Hazel und Hattie. Saxon war so ungeduldig, sie zu sehen, dass er ihrer Meinung nach für ein so einfaches Geschäft furchtbar lange brauchte. Aber sie verzieh ihm, sobald er sich mit den beiden Pferden vor dem Wagen einstellte.
»Das Geschirr musste ich mir leihen«, sagte er. »Reich mir Possum herauf, und klettere selbst neben mich, dann will ich dir die beiden H’s zeigen – und es ist ein flottes Gespann, darauf kannst du Gift nehmen.«
Saxons Freude war unbegrenzt und machte sie beinahe stumm, als sie hinter den flammenden, kastanienbraunen Pferden mit den weißgelben Schweifen und Mähnen zur Stadt hinausfuhren. Der Kutschbock war gepolstert, hochlehnig und bequem, und Billy war ganz außer sich vor Begeisterung über die prachtvolle, kräftig wirkende Bremse. Er ließ das Gespann auf der harten Landstraße traben, um die Durchschnittsgeschwindigkeit, die sie leisten konnten, zu zeigen, und fuhr sie einen steilen Feldweg hinan, obwohl der Schlamm fast bis zu den Radnaben ging, um zu zeigen, dass sie nicht umsonst von einem leichten Belgier abstammten.
Als Saxon schließlich in völliges Schweigen versank, beobachtete er sie besorgt mit hastigen Seitenblicken. Sie seufzte und fragte:
»Wann, glaubst du, können wir reisen?«
»Vielleicht in zwei Wochen – vielleicht in zwei bis drei Monaten.« Er seufzte, ernst und nachdenklich. »Wir sind wie der Irländer, der einen Koffer hat und nichts hineinzutun. Wir haben Wagen und Pferde, aber nichts zu fahren. Ich kann eine kleine Büchse kriegen – ein Prachtstück, sage ich dir. Aber denk