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Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.

Gesammelte Werke - Джек Лондон


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Bil­ly nur aus Be­schei­den­heit ge­sagt, dass er nicht mehr auf­trat. Und doch – die har­te Haut in sei­nen Hän­den – sie sag­te ihr, dass er auf­ge­hört hat­te.

      *

      An der Pfor­te nah­men sie von­ein­an­der Ab­schied. Bil­ly war sicht­bar ver­le­gen, und das tat Sa­xon wohl. Er war kei­ner der jun­gen Män­ner, die das als et­was Selbst­ver­ständ­li­ches hin­nah­men. Eine Pau­se trat ein, in der sie tat, als woll­te sie hin­ein­ge­hen, wäh­rend sie in Wirk­lich­keit mit ge­hei­mer Un­ge­duld auf die Wor­te war­te­te, die sie von ihm wünsch­te. »Wir se­hen uns doch wie­der, nicht wahr?« frag­te er, ihre Hand in der sei­nen.

      Sie lach­te ein­wil­li­gend.

      »Ich woh­ne in der Ge­gend von Ost-Oa­k­land«, er­klär­te er. »Dort liegt der Stall, wis­sen Sie, und wir fah­ren haupt­säch­lich in dem Vier­tel, so­dass mein Weg ja nicht oft hier vor­bei­führt. Aber hö­ren Sie mal –« Sei­ne Hand griff fes­ter um die ihre. »Wir müs­sen noch ein­mal eben­so gut zu­sam­men tan­zen. Mitt­woch ist Ball im Orin­do­re-Klub. Wenn Sie nichts an­de­res vor­ha­ben – oder ha­ben Sie?«

      »Nein«, sag­te sie.

      »Dann sa­gen wir also Mitt­woch. Wann soll ich Sie ab­ho­len?«

      Und als sie al­les ver­ab­re­det hat­ten und er ein­ge­wil­ligt hat­te, dass sie ein paar Tän­ze mit an­de­ren tan­zen dürf­te, und sie sich noch ein­mal Gu­te­nacht sag­ten, fass­te er ihre Hand und zog sie an sich. Sie wehr­te sich, schwach, aber mit ehr­li­chem Wil­len. Es war üb­lich so, aber sie hat­te das Ge­fühl, dass sie es lie­ber las­sen soll­te, aus Furcht, miss­ver­stan­den zu wer­den. Und doch wünsch­te sie, ihn zu küs­sen, wie sie noch nie ge­wünscht hat­te, einen Mann zu küs­sen. Als es kam und sie das Ge­sicht zu ihm hob, stell­te sie fest, dass es sei­ner­seits ein Kuss in Ehren war. Nichts lag da­hin­ter. Un­be­hol­fen und freund­lich, wie er sel­ber war, wirk­te er fast jung­fräu­lich und ver­riet kei­ne große Er­fah­rung in der Kunst des Gu­te­nacht­sa­gens. Es sind also doch nicht alle Män­ner wie Tie­re, dach­te sie.

      »Gute Nacht«, mur­mel­te er. Die Pfor­te kreisch­te un­ter sei­ner Hand. Er eil­te den en­gen Weg hin­ab, der zur Ecke des Hau­ses führ­te.

      »Mitt­woch«, rief sie ihm lei­se nach.

      »Mitt­woch«, ant­wor­te­te er. Aber in dem dun­keln Gang zwi­schen den zwei Häu­sern blieb sie ste­hen und lausch­te froh auf das Geräusch sei­ner Schrit­te auf dem ze­men­tier­ten Bür­ger­steig. Erst als sie ver­hall­ten, ging sie hin­auf. Sie schlich sich die Hin­ter­trep­pe hin­auf und durch die Kü­che in ihr Zim­mer, von Her­zen dank­bar, dass Sa­rah schla­fen ge­gan­gen war.

      Sie zün­de­te das Gas an, und wäh­rend sie ih­ren klei­nen Samt­hut ab­nahm, spür­te sie noch, wie ihre Lip­pen nach dem Kuss zit­ter­ten. Selbst­ver­ständ­lich hat­te der nichts zu be­deu­ten. Es war un­ter jun­gen Leu­ten so üb­lich. Alle ta­ten es. Aber ihr Gu­te­nacht­kuss hat­te ihr nie die­ses zit­tern­de Ge­fühl im Ge­hirn und auf ih­ren Lip­pen ge­ge­ben. Was war das? Was be­deu­te­te das? Eine plötz­li­che Ein­ge­bung ließ sie sich im Spie­gel be­trach­ten. Die Au­gen strahl­ten glück­lich. Die Röte, die so leicht in ih­ren Wan­gen kam und ging, ver­lieh ih­nen im Au­gen­blick Far­be und Glut. Es war ein schö­nes Spie­gel­bild, das sie froh und selbst­be­wusst lä­cheln ließ, und das Lä­cheln ver­tief­te sich noch beim An­blick der zwei star­ken, wei­ßen und ganz eben­mä­ßi­gen Zahn­rei­hen. Wa­rum soll Bil­ly das Ge­sicht nicht ge­fal­len? frag­te sie sich. An­de­ren Män­nern hat­te es ge­fal­len. Selbst die an­de­ren Mäd­chen ga­ben zu, dass sie gut aus­sah. Char­ley Long muss­te es doch ge­fal­len, sonst wür­de er ihr das Le­ben nicht so zur Qual ma­chen.

      Sie warf einen Blick nach dem Spie­gel, wo sei­ne Fo­to­gra­fie steck­te, schau­der­te und schnitt eine klei­ne Gri­mas­se vor Ab­scheu und Ekel. Grau­sam­keit lag in den Au­gen und Bru­ta­li­tät. Er war eine Bes­tie. Ein gan­zes Jahr lang ty­ran­ni­sier­te er sie jetzt. Er ver­scheuch­te die an­de­ren. Es war gleich­sam eine Art Skla­ve­rei, wie er ihr auf­pass­te. Sie muss­te an den jun­gen Buch­hal­ter in der Wä­sche­rei den­ken – der war kein Ar­bei­ter, nein, son­dern ein fei­ner Herr mit wei­chen Hän­den und wei­cher Stim­me – ihn hat­te Char­ley an der Stra­ßen­e­cke über­fal­len, nur, weil er ge­wagt hat­te, sie zum Thea­ter ein­zu­la­den. Und sie hat­te nichts tun kön­nen. Um sei­net­wil­len hat­te sie nie ja zu sa­gen ge­wagt, wenn er sie ein­ge­la­den hat­te.

      Und nun soll­te sie Mitt­woch abend mit Bil­ly aus­ge­hen. Das Herz hüpf­te ihr. Es gab wohl Krach, aber Bil­ly wür­de sie von ihm be­frei­en. Er soll­te nur ver­su­chen, Bil­ly zu über­fal­len.

      Mit ei­ner schnel­len Be­we­gung warf sie die Fo­to­gra­fie her­un­ter und ließ sie mit der Bild­sei­te auf die Kom­mo­de fal­len. Dort lag sie jetzt ne­ben ei­nem klei­nen vier­e­cki­gen Etui aus dunklem Le­der, das vom Zahn der Zeit ziem­lich mit­ge­nom­men war. Mit dem Ge­fühl, dass es eine Pro­fa­na­ti­on war, er­griff sie wie­der die un­se­li­ge Fo­to­gra­fie und warf sie in eine Ecke des Zim­mers. Hier­auf nahm sie das Le­de­re­tui, drück­te auf eine Fe­der, dass es auf­sprang, und be­trach­te­te die Da­guer­reo­ty­pie ei­ner klei­nen ab­ge­ar­bei­te­ten Frau mit fes­ten grau­en Au­gen und mit ei­nem Mund mit zu­ver­sicht­li­chem, rüh­ren­den Aus­druck. Auf dem Samt des Etu­is stand mit Gold­buch­sta­ben: Carl­ton von Dai­sy. Sie las es an­däch­tig, denn es war der Name ih­res Va­ters, den sie nie ge­kannt hat­te, und das Bild stell­te die Mut­ter dar, die sie nur so we­nig ge­kannt, wenn sie auch nie ver­ges­sen hat­te, dass die­se klu­gen trau­ri­gen Au­gen grau ge­we­sen wa­ren.

      Ob­wohl Sa­xon kei­ne Re­li­gi­on im üb­li­chen Sin­ne hat­te, war sie doch von Na­tur aus tief re­li­gi­ös. Ihre Ge­dan­ken von Gott wa­ren vage und ver­schwom­men und wirk­ten fast ver­wir­rend. Sie konn­te Gott nicht vor sich se­hen. Hier auf der Da­guer­reo­ty­pie war das Kon­kre­te. In die Kir­che ging sie nicht. Dies war ihr Hochal­tar, ihr Hei­lig­tum. Hier­zu nahm sie ihre Zuf­lucht in Not und in Ver­las­sen­heit. Hier such­te sie Rat, gute Ein­ge­bun­gen und Stüt­ze. Sie hat­te das Ge­fühl, dass sie an­ders war als die jun­gen Mäd­chen ih­rer Be­kannt­schaft, und in dem ab­ge­bil­de­ten Ant­litz ver­such­te sie die Ei­gen­tüm­lich­keit ih­res ei­ge­nen We­sens zu fin­den. Ihre Mut­ter war auch an­ders ge­we­sen als an­de­re Frau­en. Die­sem Bild ge­gen­über be­müh­te sie sich, wahr zu sein, an­de­ren kein Un­recht zu tun oder Är­ger zu be­rei­ten. Und was sie in Wirk­lich­keit von ih­rer Mut­ter wuss­te, und wie viel sie ra­ten und ver­mu­ten muss­te, mach­te sie sich nicht klar. Denn seit vie­len Jah­ren form­te sie an ih­rer Mut­ter­my­the.

      Aber – war es nur eine My­the? In plötz­li­chem Zorn über ih­ren ei­ge­nen Zwei­fel zog sie die un­ters­te Kom­mo­den­la­de her­aus und ent­nahm ihr eine alte ab­ge­grif­fe­ne Map­pe. Ver­gilb­te Ma­nu­skrip­te fie­len her­aus und ver­brei­te­ten einen schwa­chen, sü­ßen Duft von fer­nen Zei­ten. Die Schrift hat­te die fei­ne ver­schnör­kel­te Zier­lich­keit, die vor ei­nem hal­b­en Jahr­hun­dert all­ge­mein war. Sie las eine Stro­phe:

       Süß wie der Äols­har­fe luf­ti­ge Sai­ten,

       So lern­te dei­ne hol­de Muse die Ge­sän­ge,

       Und Ka­li­for­ni­ens end­lo­se Wei­ten

       Be­wah­ren noch im Echo die­se Klän­ge.

      Sie frag­te sich, wie tau­send Male zu­vor, was eine Äols­har­fe war,


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