Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
Sie führte Saxon an eine große Schiffskiste im Schlafzimmer und hob den Deckel. Ein feiner Duft, wie von Rosenblättern, stieg aus der Kiste auf. »Sehen Sie, das ist meine Begräbnisausstattung. So werde ich mit dem Staub vereinigt werden.«
Saxons Erstaunen stieg, als die alte Frau ihr Stück für Stück den leichtesten, feinsten, entzückendsten Brautstaat mit allem, was dazu gehörte, zeigte. Mercedes hielt ihr einen Elfenbeinfächer vor die Augen.
»Den bekam ich in Venedig, Kindchen. – Sehen Sie diesen Schildpattkamm – den verfertigte Bruce Anstey für mich eine Woche, bevor er seine letzte Flasche trank und sich eine Kugel durch den Kopf schoss – ein tüchtiger und toller Kerl war er – eine Revolverkugel schwersten Kalibers. – Und dieser Schal: La la, echt Liberty –«
»Und all das soll mit Ihnen begraben werden?« sagte Saxon nachdenklich. »Ach, welche Verschwendung!«
Mercedes lachte.
»Warum nicht? Ich will sterben, wie ich gelebt habe. Das ist nun einmal mein Vergnügen. Wie eine Braut will ich in die Erde gesenkt werden. Ich will kein schmales, kaltes Bett. Ich wünschte, es wäre ein breites Lager, bedeckt mit allen weichen Teppichen und Kissen des Orients – unbegrenzten Mengen von Kissen.«
»Aber mit dem hier könnten Sie doch zwanzig Begräbnisse und Gräber bezahlen«, protestierte Saxon, ganz entsetzt über diese gotteslästerliche Auffassung vom Tode – vom Tode, der für alle gleich war. »Das ist doch direkt sündig.«
»Ja, dann entspricht es meinem Leben«, sagte Mercedes ruhig. »Und es wird eine feine Braut sein, die neben dem alten Barry liegt.« Sie schloss die Kiste und seufzte. »Nun, ich möchte, es wäre Bruce Anstey oder einer meiner stolzen jungen Männer, der in der Dunkelheit neben mir läge und mit mir zusammen zu dem Staub verwitterte, der der eigentliche Tod ist.«
»Aber fürchten Sie sich denn nicht vor dem Tode – nicht im geringsten?«
Mercedes schüttelte eifrig den Kopf.
»Der Tod ist stark und gut und mild. Ich fürchte den Tod nicht. Die Menschen sind es, die ich nach dem Tode fürchte. Deshalb treffe ich meine Vorbereitungen. Sie sollen mich nicht haben, wenn ich tot bin.«
Saxon sah sie verständnislos an.
»Aber dann brauchen die Sie doch nicht mehr!«
»Die brauchen viele«, lautete die Antwort. »Wissen Sie, was aus armen alten Menschen wird, die kein Geld für die Beerdigung haben? Sie werden nicht begraben. Lassen Sie mich Ihnen erzählen. Wir standen vor großen Türen. Er war ein merkwürdiger Mann, ein Professor, der Räuber hätte sein sollen, ein Mann, der Studenten Vorlesungen hielt, während er befestigte Städte hätte stürmen oder Banken plündern sollen. Er war schlank wie Don Juan. Seine Hände waren stark wie Stahl und seine Seele auch. Und er war toll, ein klein wenig toll, wie alle meine jungen Liebhaber es waren. ›Komm, Mercedes‹, sagte er, ›wir wollen unsere Brüder ansehen und uns in Demut freuen, dass wir nicht sind wie sie – jedenfalls noch nicht. Und nachher werden wir noch mehr Appetit für unser Mittagessen haben, und wir wollen ihnen in goldenem Wein zutrinken, der doppelt golden wird, weil wir sie gesehen haben. Komm, Mercedes.‹
Er öffnete die großen Türen, nahm mich bei der Hand und führte mich in den Saal. Es war eine traurige Versammlung. Vierundzwanzig Stück, die auf Marmorplatten lagen oder halb saßen, mit einer Stütze im Rücken, während viele junge Leute mit funkelnden Augen und funkelnden kleinen Messern in den Händen neugierig von ihrer Arbeit aufblickten.«
»Sie waren tot?« unterbrach Saxon sie atemlos.
»Es waren die armen Toten, mein liebes Kind. ›Komm, Mercedes‹, sagte er. ›Ich will dir noch mehr zeigen, dass wir uns richtig unseres Lebens freuen können.‹ Und er nahm mich mit – zu den Trögen. Zu den Salztrögen, Kindchen. Ich fürchtete mich nicht, als ich sie aber sah, dachte ich daran, wie es mir wohl nach meinem Tode gehen würde. Da lagen sie wie tote Schweine. Und es kam eine Bestellung auf, eine Frau, eine alte Frau, und der Mann, der dort arbeitete, griff in die Tröge. Das erste, was er zu fassen bekam, war ein Mann. Da fischte er wieder und rührte in dem Trog herum. Es kam noch ein Mann. Er wurde ungeduldig und verfluchte sein Pech. Dann zog er wieder etwas aus der Salzlake heraus; es war eine Frau, und an ihrem Gesicht konnte er sehen, dass sie alt war, und da freute er sich.«
»Das ist nicht wahr!« rief Saxon.
»Ich habe es gesehen, mein Kind, und ich weiß es. Und ich sage Ihnen, Sie brauchen Gottes Zorn nicht zu fürchten, wenn Sie tot sind. Fürchten Sie nur die Salztröge. Und während ich das sah und er mir alles zeigte, betrachtete er mich lächelnd und fragte mich aus und machte mich ganz toll mit seinen irrsinnigen, schwarzen Augen, die müde vom vielen Studieren waren, und da wusste ich, dass es mit meinem teuren Leib nicht so gehen sollte. Mir ist er teuer, dieser Leib, teuer, wie er den anderen gewesen ist. La la, der Salztrog ist nicht der rechte Ort für diese Lippen, die so oft geküsst wurden, und für diesen Leib, an den so viel Liebe verschwendet wurde.« Mercedes hob den Kistendeckel und warf einen langen, zärtlichen Blick auf ihren Begräbnisstaat. »Und deshalb will ich mir mein Lager bereiten, und bald werde ich darin ruhen. Ein alter Philosoph hat gesagt: ›Wir wissen, dass wir sterben sollen, aber wir glauben es nicht.‹ Aber alte Leute glauben es. Ich glaube es.
Mein liebes Mädel, denken Sie an die Salztröge und seien Sie mir nicht böse, weil ich mir eine gute Provision berechnet habe. Es gibt nichts, das ich nicht tun würde, um den Salztrögen zu entgehen – ich würde das letzte Scherflein der Witwe, die Brotrinde der Waise und den Spargroschen eines Toten stehlen.«
»Glauben Sie an Gott?« fragte Saxon plötzlich, und trotz der Angst, die sie durchschauerte, hielt sie sich tapfer.
Mercedes ließ den Deckel fallen und zuckte die Achseln.
»Wer weiß? Ich werde weich ruhen.«
»Und die Strafe?« fragte Saxon.
»Unmöglich, mein Kind! Wie ein alter Dichter sagt: ›Gott ist ein braver Bursche!‹ Gott brauchen Sie nicht zu fürchten. Fürchten sie nur die Salztröge und alles das, was Menschen Ihrem schönen Körper antun können, wenn Sie tot sind.«
Billy schien es fast, als ginge es ihm bald zu gut. Er hatte das Gefühl, im Verhältnis zu dem Lohn, den er verdiente, zu wohlhabend zu sein. Bei dem Geld, das immer auf die Sparkasse gebracht wurde, bei der Miete und der Abzahlung auf die Möbel, bei dem reichlichen Taschengeld und der ausgezeichneten Kost konnte er nicht verstehen, wie Saxon sich noch das Material für all ihre feinen Dinge anschaffen konnte. Er hatte mehrmals erklärt, dass er nicht begreifen könnte, wie sie es machte, und jedes Mal hatte Saxon gelacht, ein geheimnisvolles Lachen,