Heimatkinder Staffel 3 – Heimatroman. Kathrin SingerЧитать онлайн книгу.
In diesem Tonfall setzten sie ihr Geplänkel noch eine Weile fort. Björn ließ sich ohne große Umstände ins Gras sinken, als Julia sich auf ihre Decke setzte. Er war offensichtlich entschlossen, die Gesellschaft der »Waldfee« zu genießen, solange es möglich war.
Julia musste sich eingestehen, dass ihr der Bruder des Försters gefiel – sehr sogar. Besonders seine offene Art war es, die ihr Herz im Sturm eroberte. Hinterhältige und undurchsichtige Menschen waren ihr zuwider.
Björn Hartmann erzählte beiläufig von seinem abwechslungsreichen Leben. Schon seit Jahren durchreiste er die halbe Welt, ohne festes Ziel. Von Beruf war er Bauingenieur, doch er hatte sich unterwegs in den verschiedensten Jobs versucht und deutete sogar an, dass er sein Geld mitunter auf nicht ganz legale Weise verdient hatte, zum Beispiel durch Schmuggeln.
»Ihr Bruder würde so etwas aber nie tun«, meinte Julia lächelnd und musterte den Abenteurer mit gespielter Entrüstung.
»Bestimmt nicht!«, pflichtete er ihr sofort bei. »Man sagt, dass früher die Beamten nie auf die Idee gekommen wären, auch nur einen Bleistift aus dem Büro zu entwenden. Zu dieser Sorte Mensch gehört Matthias irgendwie. Er ist durch und durch ehrlich – aber auf der anderen Seite ein Stockfisch. Trotzdem habe ich ihn gern, wenn wir auch selten einer Meinung sind.«
Julia senkte den Blick. »Sagen Sie, Herr Hartmann …«
»Nennen Sie mich doch Björn!«, fiel er ihr ins Wort und lächelte jungenhaft.
»Sagen Sie, was war die verstorbene Mutter der Kinder für eine Frau?«
Sie blickte nicht auf, sah daher nicht, wie sich die Wangenmuskeln des Mannes spannten, wie seine Mundwinkel zuckten.
»Tja …« Björn holte tief Luft. »Isabell war ein fabelhafte Frau, irgendwie hatte sie Ähnlichkeit mit Ihnen.«
»Mit mir?« Julias Herzschlag stockte einen Moment lang.
»Genau. Isabell war – wie soll ich es sagen? Sie war fast zu schade für diese Welt. Vielleicht musste sie deshalb so früh sterben. Sie kam mir manchmal vor wie ein Engel. Nicht, dass sie weltfremd oder lebensuntüchtig gewesen wäre, nein, aber geduldig und sanft, dabei trotzdem ein patentes Mädchen. Für Heidi und Carsten wäre sie sicher eine phantastische Mutter gewesen. Es ist jammerschade, dass die Kinder ohne ihre Mutti aufwachsen müssen. Wer kann Kindern die Mutter ersetzen?«
Björn Hartmann war ernst geworden, und ein wehmütiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht.
Julia starrte in das Gewirr von Grashalmen, durch das sich ein metallisch grünschimmernder Käfer kämpfte.
»Was sind Sie von Beruf, Frau Julia?«, hörte sie den Mann an ihrer Seite fragen. »Oder studieren Sie?«
»Ich bin Sekretärin.«
»Macht Ihnen die Arbeit Spaß? Oder besser, füllt dieser Job Sie aus, wie man so schön sagt?«
Julia seufzte. »Das habe ich mich so manches Mal schon selber gefragt. Ich weiß es nicht.«
Björn umspannte jäh ihre Oberarme. Seine Augen glühten eindringlich, und seine Stimme klang beschwörend, als er fortfuhr: »Vielleicht bin ich verrückt, aber ich muss Sie etwas fragen, Julia.« Er holte tief Luft, fuhr dann fort: »Könnten Sie sich nicht vorstellen, zwei Kinder zu betreuen? Zwei kleinen Kindern die Mutti zu ersetzen?«
Julias Augen weiteten sich. »Sie sprechen von Heidi und Carsten?«
»Genau. Die alte Frau Jahnke, die Haushälterin meines Bruders, ist siebenundsechzig Jahre alt und will aufhören. Das kann ihr niemand verdenken – sie hat ihr ganzes Leben lang gearbeitet und ihren Feierabend redlich verdient. Aber es ist heutzutage schwer, eine Haushälterin zu finden. Wäre das nicht eine Aufgabe für Sie, Julia? Wenigstens für einige Zeit?«
»Aber – aber ich kann nicht kochen!«, stieß Julia hervor und wurde flammend rot. »Jedenfalls nicht besonders gut.«
»Na und? Eine Kochkünstlerin ist das Letzte, was mein Bruder sucht. Er stellt in dieser Hinsicht keine Ansprüche, und für die Kinder sind Liebe und Zärtlichkeit doch wohl erheblich wichtiger als gutes Essen. Oder?«
»Natürlich«, murmelte sie.
»Na also! Was sagen Sie zu meiner Idee?« Erwartungsvoll sah er sie an.
»Aber ihr Bruder kann mich nicht leiden«, gab sie zu bedenken.
»So etwas gibt es doch nicht.«
»So etwas gibt es wohl. Er hielt mich für eine verzogene Göre, der man was hintendrauf geben müsste.«
»Nein!« Björn schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Also, das ist wieder typisch Matthias. Aber Sie können ihm doch aus dem Weg gehen, Julia. Den ganzen Tag über ist er sowieso im Wald. Abends zieht er sich am liebsten mit einem Glas Rotwein und einem sogenannten guten Buch zurück. Ja, mein Bruder ist ein Einzelgänger. Sie würden ihm sein Essen auf den Tisch stellen, aber ansonsten wären Sie nur für die Kinder da.«
Julia kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe.
»Ich muss mir das Ganze in Ruhe überlegen.«
»Ja, denken Sie gründlich darüber nach. Wie schön, dass Sie nicht gleich entsetzt abgewinkt haben. Sie sind ein fantastisches Mädchen, Julia.«
Langsam neigte er sich zu ihr. In seinen Augen war ein Glanz, der Julia irritierte und zugleich bezauberte. In dieser kurzen Zeit hatten sich zwischen ihr und dem fremden Mann Schicksalsfäden gesponnen. Björn Hartmann hatte gezeigt, dass er ein Draufgänger war, aber diesmal versuchte er nicht, sie zu überrumpeln. Diesmal stellten seine Augen stumm eine Frage, und erst als sie ebenso wortlos ihre Zustimmung gab, küsste er sie.
Ein Kuss wie ein Abenteuer!
Julia schloss die Augen. In diesem Kuss schmeckte sie den Zauber unendlicher Weiten und geheimnisvoller Ruinenstädte, das Leuchten des Nordlichts war in diesem Kuss ebenso wie das Brausen des Meeres. Hatte ein Pirat sie in die Arme genommen, ein Freibeuter der Ozeane, der sie bezwang und willenlos machte? Julia war wie verzaubert.
Heißer wurden die Lippen des Mannes, so heiß wie ein Brandeisen, das sie zeichnete und zu seinem Eigentum machte …
Ich bin verrückt!, schoss es ihr durch den Sinn. Mit einer sanften, aber nachdrücklichen Bewegung machte sie sich aus seinen Armen frei.
Er, der vor Kurzem noch so selbstherrlich gewirkt hatte, musterte sie unsicher.
»Hoppla«, sagte sie.
»Was heißt das?« Er lächelte verzerrt.
»Hoppla, jetzt komme ich! Ich, Björn Hartmann, der Unbesiegte, der Unbesiegbare.«
Er lachte. »Ich bin gar nicht so von mir eingenommen, wie du vielleicht glaubst.«
»Aber zu den Schüchternen im Lande zählst du auch nicht«, konterte sie.
Er legte seine gebräunte Hand auf die ihre. »Schön, dass du mir nicht böse bist, Julia.« Er sah auf seine Uhr. »So leid es mir tut, aber für mich wird es jetzt Zeit. Wenn ich ein so leichtsinniger Hund wäre, wie mein Bruder immer behauptet, würde ich meine geschäftlichen Verabredungen jetzt sausen lassen, um bei dir zu bleiben.«
»Auf keinen Fall! Ich brauche jetzt Zeit – Zeit zum Nachdenken. Und das kann ich am besten, wenn ich allein bin.«
»Gut. Du hast eine Woche Zeit. Bis dahin kannst du auch Heidi und Carsten noch näher kennen lernen. Du ziehst also wenigstens in Erwägung, die Stellung im Forsthaus möglicherweise anzunehmen, ja? Lass mir die Hoffnung, bitte.«
Julia lächelte vage.
»Wir werden sehen.«
»Danke.« Björn hauchte einen Kuss auf ihre Lippen und sprang auf. »Das wird eine lange Woche – für mich.«
»Mach’s gut, Björn. Viel Glück.«
Sie verabschiedete sich von diesem Mann, als kenne sie ihn bereits