Leni Behrendt Staffel 6 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.
mal, Barbe, nun werde ich zuerst einmal zu Herrn Hungold gehen, um ihn von meiner Erbschaft in Kenntnis zu setzen. Von ihm wird es abhängen, wann wir von hier wegkommen. Wenn er es nämlich wünscht, muß ich die vorgeschriebene Zeit noch in seinen Diensten bleiben. Sollte er mich jedoch gleich freigeben, dann siedeln wir sobald wie möglich nach Waldwinkel über.«
Er ging also in das Herrenhaus hinüber, wo er seinen Herrn in nicht gerade rosiger Laune fand.
»Kommen Sie überhaupt mal wieder?« empfing Herr Hungold den Baron in seiner unwirschen Art, die dieser jedoch nie ernst nahm, da er wußte, wie wenig schlimm sie gemeint war.
»Fünf Tage zum Begräbnis eines alten Onkels, ist das nicht ein bißchen lange, mein lieber Hellersen?«
»Haben Sie mein Telegramm nicht erhalten, Herr Hungold?« fragte Swen dagegen.
»Natürlich habe ich das. Aber nun nehmen Sie mal Platz und erzählen Sie!«
Das war nun wieder der alte, gemütliche Papa Hungold. Der Baron kam seinem Wunsch nach, während sein Chef ihm die Zigarrenkiste zuschob.
»Bedienen Sie sich bitte, Hellersen! Und dann beichten Sie mal! Was ist mit Ihrem Onkel? Hat er Ihnen wenigstens einen netten Batzen vermacht?«
»Das will ich meinen«, lächelte Swen. »Seine ganze Herrschaft und noch etwas dazu.«
»Das wird wohl nicht gerade viel gewesen sein, was?«
»Wie man’s nimmt.« Dem Baron fing die Sache an, Spaß zu machen. »Wenn eine Herrschaft wie Waldwinkel – und manches andere noch dazu – nicht viel ist, das ist dann eben Ansichtssache.«
»Was, Waldwinkel?« fragte Herr Hungold, als hörte er nicht recht. »Etwa dieses Waldwinkel, das diesem – diesem Sonderling gehörte?«
»Eben das, Herr Hungold. Wissen Sie denn nicht, daß ich von seiner Beisetzung komme?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich wußte nur, daß ein Onkel von Ihnen gestorben ist. Daß es gleich so ein Krösus wie der Waldwinkler Hellersen sein würde, daran habe ich wirklich nicht gedacht. Aber waren nicht die Verwandten, die früher auf Hirschhufen saßen, als Erben ausersehen?«
»Das haben sie irrtümlich angenommen, Herr Hungold. Tatsache jedoch ist, daß mein Onkel mich schon lange als seinen Erben bestimmt hatte.«
»Also hat der kluge Onkel noch kurz vor Toresschluß eingesehen, daß es doch besser ist, Ihnen statt den Verschwendern seinen Prachtbesitz anzuvertrauen. Werden saure Gesichter geschnitten haben, die andern, wie?
Na, jedenfalls gratuliere ich Ihnen zu diesem Riesendusel, wenn ich mich von Herzen auch nicht darüber mitfreuen kann. Denn jetzt muß ich Sie ja ziehen lassen.«
»Das allerdings ja, Herr Hungold. Aber es wird ja nicht schwer ein Ersatz für mich zu finden sein.«
»Ersatz – höre immer Ersatz«, brummelte der alte Herr vor sich hin. Er sah den Baron an, und in seinen guten Augen stand etwas wie wehe Trauer. »Ersatz für Sie dürfte schwer zu finden sein, mein Lieber. Können Sie mir wenigstens den sogenannten Ersatz für Sie vorschlagen?«
»Ich dachte an Herrn Brall. Er ist tüchtig und zuverlässig.«
»Also dann ziehen Sie in Gottes Namen, mein lieber Baron«, sagte der alte Herr dann sehr herzlich. »Und wenn Ihre reiche Erbschaft Ihnen nicht in den Kopf gestiegen ist, so daß Sie uns, die wir ja nun alle arme Schlucker gegen Sie sind, noch für voll ansehen, so werden wir uns freuen, wenn Sie uns besuchen wollten. Wann wollen Sie in Ihre neue Heimat ziehen?«
»Das hängt ganz von Ihnen ab, Herr Hungold. Wenn Sie mich sofort entlassen…«
»Entlassen? Wenn ich so was schon höre!« knurrte der alte Herr unwirsch. »Dieser Mensch, der uns alle hier ringsum in die Tasche stecken kann, spricht von ›entlassen‹. Ihnen scheint wirklich noch nicht bewußt zu sein, was für eine Persönlichkeit Sie jetzt sind?«
»Kann schon sein, Herr Hungold«, gab Swen lachend zurück. »Ich weiß nur, daß ich mit der Erbschaft auch eine Riesenverantwortung übernommen habe. Mit dem sorglosen Leben, das ich hier geführt habe, wird es nun wohl vorbei sein. Ich habe mich bei Ihnen wirklich wohl gefühlt, Herr Hungold«, schloß er herzlich.
»Wenigstens ein Trost. Also, dann reisen Sie mit Vergnügen, Baron. Der Brall kann ja jeden Tag an Ihre Stelle geschoben werden. Und einen zweiten Inspektor finde ich mit Handkuß.«
»Vielen Dank, Herr Hungold – für alles.« Hellersen verneigte sich. »Wenn Sie und Ihre werten Angehörigen mich mal in Waldwinkel besuchen wollten, würde ich mich sehr freuen. Wollen Sie mich bitte den Damen empfehlen!« bat Hellersen und erhob sich. »Und Ihnen, Herr Hungold, möchte ich nochmals danken.«
»Da ist nichts zu danken«, wehrte er unwirsch ab. »Wir sehen uns ja wohl noch, bevor Sie Lorren verlassen? Packen Sie nur schon heute Ihre Sachen zusammen! Wenn Sie schon von hier fortgehen, dann schnell und schmerzlos.«
Die Herren schüttelten sich die Hände – und der Baron ging erleichterten Herzens davon. Er hatte sich vor dieser Unterredung mehr gefürchtet, als er sich selbst eingestehen wollte.
In Waldwinkel hatte man alles zum Einzug des neuen Herrn festlich gestaltet. Der Baron konnte mit Rührung feststellen, wie sehr die Beamten und Arbeiter ihm jetzt schon zugetan waren. Mit solchen Leuten zu arbeiten würde natürlich eine Freude sein.
*
»Wie ich sehe, Mama, hast du nichts erreichen können«, fragte Gerswint ihre Mutter, die von einem Gang zum Rechtsanwalt zurückkehrte. Frau Elisa schüttelte den Kopf und ließ sich müde in einen Sessel sinken.
Doch nur einen Augenblick war sie mutlos, dann straffte sich ihre Gestalt, vielleicht noch etwas selbstbewußter als sonst. Ihr Blick streifte ihre Kinder, die sie erwartungsvoll ansahen.
»Nein, ich habe nichts erreichen können«, sagte sie hart. »Vom rechtlichen Standpunkt aus ist das Testament unanfechtbar; das ist mir heute restlos klargeworden. Man behauptet, daß Swen den Onkel kurz vor dessen Tode kennengelernt hat. Der Arzt, Sanitätsrat Melch, hat geschworen, daß Leopold von Hellersen bis zu seinem Tode bei klarem Verstand gewesen ist. Man gab mir noch den guten Rat, nichts weiter in der Sache zu unternehmen, weil ich nur Geld ausgeben und doch nichts erreichen würde. Und das glaube ich nämlich auch; Swen hat alles bis ins kleinste ausgetüftelt.«
»Also müssen wir wirklich in das öde Waldhaus ziehen?«
»Das müssen wir, Gerswint, wenn wir nicht verhungern wollen.«
»Und die Summe, die auf deinen Antrag hin für mein Studium freigegeben werden sollte?« fragte Bolko.
»Ist abgelehnt, mein Sohn. Du kannst also Schuhe putzen gehen, wenn du Lust dazu hast, während der Herr Baron…«
Sie lachte auf. Es war ein bitteres Lachen, das ihren Kindern durch und durch ging.
»Hat Alf etwas von sich hören lassen?« fragte sie dann kurz. Und als Gerswint verneinte, nickte sie vor sich hin.
»Ja, ja, Kinder, das ist nun das Ende. Begrabt nur all euer Wünschen und Hoffen, auf etwas mehr oder weniger kommt es wirklich nicht mehr an.«
Sie fuhr herum und starrte Edna an, die den Kopf auf die verschränkten Arme warf und bitterlich weinte. Sie wollte das Mädchen schroff anfahren, seufzte jedoch nur tief auf und verließ das Zimmer.
In den nächsten Tagen gab es viel Arbeit in der eleganten Stadtwohnung. Der ganze Haushalt mußte aufgelöst werden, was gewiß keine Kleinigkeit war. Um so mehr noch, da Frau Elisa sich nie um etwas gekümmert, sondern alles den Dienstboten überlassen hatte. Die überflüssigen Möbel mußten verkauft werden. Da es sich durchweg um kostbare Stücke handelte, brachten sie noch eine Summe, die Frau Elisa als Notgroschen zurücklegte.
Müde und erschöpft von der ungewohnten Arbeit von dem Wirrwarr, in dem sie seit Tagen gelebt, verdrießlich und verbittert, verließen sie an einem unfreundlichen Regentage in einem Mietsauto Königsberg, um nach dem Waldhause