Dr. Norden Staffel 3 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
das Stäbchen zur Seite und tastete den Hals seiner Nichte ab. Die geschwollenen Lymphknoten brachten den letzten Beweis seinen Verdacht.
»Was heißt das?«, fragte Anneka.
»Du hast dir eine akute Tonsillitis eingehandelt, auch eitrige Mandelentzündung genannt.« Unwillig schüttelte der Arzt den Kopf. »Da hast du schon zwei Ärzte zu Hause und keiner stellt diese Diagnose. Ich glaube, ich muss mal ein ernstes Wort mit deinen Eltern sprechen.«
»Mum und Dad haben mich untersucht. Aber da war von belegten Mandeln noch nichts zu sehen«, verteidigte Anneka ihre Eltern fast ärgerlich. »Die Halsschmerzen kamen ganz plötzlich heute Morgen.«
Mario lachte und winkte ab.
»Schon gut. Ich wollte ihre Kompetenzen nicht in Frage stellen«, erklärte er beschwichtigend und maß Fieber. Als er einen Blick auf das Thermometer warf, erschrak er. »Du liebe Zeit. Du glühst ja wie ein Hochofen.« Er dachte einen Moment über die geeignete Therapie nach, dann traf er eine Entscheidung.
»Am besten wir verabreichen dir intravenös ein Antibiotikum. Das beschleunigt den Heilungsverlauf und du musst nicht länger als unbedingt nötig leiden. Außerdem bekommst du Schmerzmittel, damit du heute Nacht schlafen kannst.«
Doch Anneka hörte ihm kaum zu.
»Hat Leon auch Mandelentzündung?«, fragte sie ängstlich und sah ihrem Onkel dabei zu, wie er hinüber zum Schreibtisch ging und den Telefonhörer hob, um bei einer Schwester die Infusionslösung zu bestellen.
»Eine Tonsillitis ist hochansteckend«, gab er statt einer eindeutigen Antwort zurück und erläuterte der Schwester, was er brauchte.
Aber Anneka verstand auch so.
»Aber er ist doch frisch operiert. Wird er denn dann überhaupt wieder gesund werden?«
Kopfschüttelnd kehrte Mario Cornelius ans Krankenbett seiner Nichte zurück. Er legte eine Manschette um ihren Arm, um das Blut zu stauen und legte einen Venenzugang in ihre Hand. Das tat er so geschickt, dass Anneka kaum etwas davon merkte.
»Mädchen, du solltest dir jetzt nicht den Kopf über deinen Freund zerbrechen. Leon ist bei uns in den besten Händen. Mal abgesehen davon, dass er nicht halb so krank ist wie du«, beschwor er sie eindringlich.
Die Tür öffnete sich, und eine Schwester kam mit dem Infusionsbeutel herein.
»Du bist jetzt die Hauptperson in deinem Leben«, erklärte der Arzt noch. »Wenn du wieder gesund bist, kannst du dich gerne um deine Lieben kümmern. Aber nicht jetzt. Versprichst du mir das?« Er schickte Anneka einen eindringlichen Blick, der sie selbst in ihrem schlechten Zustand erreichte.
»Also gut, ich versprech’s«, erklärte sie krächzend.
Das war es, was Mario hören wollte. Er nickte lächelnd, bedankte sich bei der Schwester und hängte den Beutel an die Haltevorrichtung über dem Bett.
Dann befestigte er den durchsichtigen Plastikschlauch am Zugang und regelte über einen Schieber die Menge an Flüssigkeit, die in die Vene tropfen sollte. Er war gerade fertig mit seiner Arbeit, als der Piepser an seinem Gürtel wieder einmal einen durchdringenden Signalton von sich gab.
»Hab ich noch nicht mal Ruhe, wenn ich mich mit einer schönen, jungen Frau beschäftigte?«, fragte er in gespielter Verzweiflung und warf einen Blick auf das Display. »Tut mir leid, Süße, ich muss los«, entschuldigte er sich dann bei seiner Nichte. »Die Schwester bringt dich gleich auf dein Zimmer. Und spiel bloß nicht den tapferen Indianer, sondern drück auf die Klingel, wenn irgendwas nicht in Ordnung ist«, mahnte er sie zum Abschied.
Anneka nickte folgsam und sah Mario nach, wie er den Behandlungsraum mit eiligen Schritten verließ. Seine tröstende Stimme im Ohr schloss sie erschöpft die Augen und tat, wie er sie geheißen hatte: Im Augenblick kümmerte sie sich nur um sich und versuchte, ein bisschen Ruhe zu finden. Doch das Glück war nicht von langer Dauer.
*
Janine Merck hatte an diesem Abend etwas Besonderes vor.
»Du hast doch nichts dagegen, wenn ich schon gehe?«, fragte sie ihre Freundin und Kollegin Wendy und schaltete den Monitor ihres Computers aus. Ihr prüfender Blick wanderte über den Schreibtisch. »Die Abrechnungen sind fertig und die Laborberichte sortiere ich morgen ein«, erklärte sie, während sie ihre Handtasche nahm und zur Garderobe ging.
Interessiert hob Wendy den Kopf. Es kam nicht oft vor, dass Janine die Praxis vor ihr verließ.
»Nanu, hast du etwa noch was vor heute Abend?«Sie dachte an den Zettel mit der Telefonnummer, den sie ihrer Freundin zugeschoben hatte. »Etwa eine Verabredung mit deinem Galan?«
»Sag mal, hast du eigentlich noch was von deinem Verehrer gehört? Wie hieß er doch gleich?«, konterte Janine mit einer Gegenfrage.
Ihre geröteten Wangen und die leuchtenden Augen täuschten aber nicht darüber hinweg, dass Wendy ins Schwarze getroffen hatte. Doch sie insistierte nicht und lachte nur von einem Ohr zum anderen. Janine winkte ihr und verließ mit eiligen Schritten die Praxis, um sich auf den Weg in das Restaurant zu machen, in das Dr. Roland Holzapfel sie spontan eingeladen hatte.
Der Bandscheibenspezialist hatte sie schon durchs Fenster gesehen und war von dem verschwiegenen Tisch in der Ecke des romantischen Restaurants aufgesprungen, um ihr entgegen zu eilen.
»Ich hätte nie damit gerechnet, dass Sie sich so schnell bei mir melden!«, begrüßte er Janine freudestrahlend.
»Ich ehrlich gesagt auch nicht«, entfuhr es ihr. Das war die Wahrheit. Sie war nicht auf der Suche nach einem Mann und hätte sich im Normalfall noch ein paar Tage Zeit gelassen. Doch die Tatsache, dass sich ein so viele Jahre älterer Mann für sie interessierte, schmeichelte ihr und sie hatte die erste freie Minute genutzt, um ihn anzurufen.
Roland Holzapfel, der nichts von ihren Gedanken wusste, fasste sie sanft am Ellbogen, um sie zum Tisch zu führen.
»Haben Sie gleich her gefunden? Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier. Ich mag kleine Restaurants mit dem gewissen Etwas.« Während Roland sie an den Tisch brachte, sah sich Janine um. Auch ihr gefiel das stilvolle Ambiente, das trotz seiner Schlichtheit gemütlich wirkte. Kerzen flackerten auf den dunklen Holztischen. Bunte Kissen auf den Stühlen und Künstlerbilder an den Wänden lockerten die strenge Nüchternheit auf.
»Sie haben genau meinen Geschmack getroffen«, lobte Janine und nahm Platz auf dem Stuhl, den Roland galant für sie zurecht rückte. Er war ein Kavalier alter Schule und beeindruckte sie nicht zuletzt mit seinen hervorragenden Manieren.
»Sie meinen auch«, gab er ihr Kompliment umgehend zurück und sah sie bewundernd an. »Sie sehen wunderschön aus.«
»Sie schmeicheln mir«, bemerkte Janine verlegen und blickte an sich hinab. Sie trug einfache, dunkelblaue Jeans, die sie mit einer schlichten Bluse und einem kurzen Blazer kombiniert hatte.
»Nein wirklich, es ist perfekt.«
Als sie sich gegenüber saßen, entstand eine kurze, gespannte Stille.
»Was …«, begannen beide plötzlich wie auf Kommando gleichzeitig zu sprechen, hielten inne und lachten sich nervös an.
»Sie zuerst«, wollte Janine ihrem Tischherrn den Vortritt lassen, doch natürlich wusste Roland, was sich gehörte.
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, wehrte er ab und sah sie aufmerksam an. »Was wollten Sie mich fragen?«
Verlegen senkte sie den Kopf. Während sie mit dem leeren Wasserglas spielte, das auf dem Tisch stand, sah sie ihn von unten herauf an.
»Eigentlich wollte ich Sie fragen, ob Sie mich auch zum Golfspielen überreden wollen. Herrn und Frau Dr. Norden haben Sie ja förmlich um den kleinen Finger gewickelt.«
Als Janine seine Passion erwähnte, leuchteten die Augen des Arztes auf.
»Hätten Sie denn Interesse daran, diesen Sport zu lernen?«
Abwehrend hob Janine