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Schopenhauer. Kuno FischerЧитать онлайн книгу.

Schopenhauer - Kuno  Fischer


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das System erst zu einem Ganzen macht und zusammenschließt. Wenn der Wille unabhängig ist vom Intellekt, so ist er auch unabhängig von Zeit, Raum und Kausalität, als welche die Formen des Intellekts sind; so ist er auch unabhängig von aller Vielheit und Mannigfaltigkeit, als welche nur in Zeit und Raum sein können: demnach hat der Wille, der allen Erscheinungen zugrunde liegt, dieselben trägt und bewirkt, den Charakter der All-Einheit. Was unser eigenstes innerstes Selbst ausmacht, ist auch das innerste Selbst in jeder anderen Erscheinung, ist die alles durchdringende Urkraft, das Wesen der Welt, das All-Eine, »Ἕν ϰαὶ πᾶν«. Jetzt heißt das Thema: »Die Welt als Wille«. Die Ausführung desselben ist nicht Erscheinungs- und Erkenntnislehre, sondern Wesens- oder Prinzipienlehre, d. h. Metaphysik.

      6. Die Erkenntnis aber, dass wir nicht, wie es den Anschein hat, getrennte Individuen, deren jedes für sich besteht, sondern in Wahrheit ein einziges Wesen sind, bricht den Einzelwillen, den Egoismus, die Selbstsucht, mit einem Worte die Bejahung des Willens zum Leben, und hat die Verneinung desselben zu ihrer Folge: die Selbstverleugnung, die völlige Weltentsagung, mit einem Worte diejenige Umwandlung des Charakters, welche das Wesen aller echten Moral und Religion ausmacht. Erst dadurch kommt das Heil und die Heiligkeit in die Welt. Vorher herrschen in ihr Unheil und Übel. Hier ist die Stelle, welche in der Lehre Schopenhauers den Pessimismus begründet. Die Erkenntnis des Guten gründet sich auf die des Wahren; die Ethik auf die Metaphysik.

      7. Die pantheistische Lehre von dem All-Einen und dessen Entfaltung in der Welt und dem Stufengang der Dinge ist uralten Stammes: es ist die altindische Lehre vom Brahma (Brahm) als dem Ursein, welches identisch ist mit der Weltseele (Âtman) und unserem eigenen innersten Wesen. In dieser Lehre besteht die Religionsphilosophie des Brahmanismus, die Vedântaphilosophie, enthalten in den Upanischaden, den theosophischen Abhandlungen in den vier Teilen des Veda: die Einheitslehre ist ihr Kern und Geheimnis, der auserlesenste Inhalt der Upanischaden. Als solcher findet sich die Einheitslehre dargestellt in dem »Oupnek’hat«, welches ein persischer Fürst, der nach Indien gekommen war, um die heiligen Bücher kennen zu lernen, im Jahre 1640 unserer Zeitrechnung aus dem Sanskrit in seine Sprache übersetzen ließ. Aus dem Persischen hat der französische Sprach- und Altertumsforscher Anquetil du Perron, der Übersetzer des Zendavesta, jenes Werk ins Lateinische übertragen, in den unheilvollen Zeiten des Terrorismus, unter Entbehrungen aller Art, sich zum Trost und zur Erbauung. Die beiden Quartanten erschienen in den beiden ersten Jahren unseres Jahrhunderts.148

      Dieses Werk hat Schopenhauer, der schon in Weimar zum Studium des indischen Altertums angeregt war, in Dresden studiert, er ist tief davon ergriffen und in dem pantheistischen Charakter seiner Willenslehre bestärkt worden. Als er später in den Besitz des seltenen Werkes gelangt war, hat er es stets auf seinem Tische aufgeschlagen gehabt, täglich darin gelesen und oft gesagt, dass es sein Trost im Leben gewesen sei und im Sterben sein werde.

      8. Aus dem Brahmanismus und im Gegensatz zu ihm, unabhängig von aller vedischen Gelehrsamkeit und Philosophie, entsprang der Buddhismus, die Religion des Buddha, d. i. des Erweckten oder Wissenden, »des Allerherrlichst Vollendeten«, wie seine Gläubigen sagen: es ist der Glaube, dass in der Welt das Unheil herrsche und im Dasein wurzle, dass es eine Erlösung von der Qual des Daseins, von dem rastlosen Wechsel der Geburten und Wiedergeburten gebe, und zwar eine Erlösung für alle, dass dieselbe einzig und allein in der völligen Abwendung von der Welt, in der völligen Verneinung des Willens zum Leben, in der vollkommensten Selbstverleugnung mit allen ihren Tugenden bestehe, dass nur auf diesem Wege aus der Welt des Verlangens und der Gelüste in die des Nichts und der Stille, aus dem Sansara in das Nirwana gelangt werde. Der Stifter dieser Religion, nach der Legende ein Königssohn, in Wahrheit der Sprössling eines aristokratischen Geschlechts (Çakja), heißt als der Einsiedler dieses Geschlechts »Çakja muni«, als Büßer und Asket »Gautama«, als der Wissende und siegreich Vollendete »Buddha«. Aus seinen Schülern ist eine Gemeinde, aus dieser mit der Zeit eine Kirche, eine Hierarchie, eine Weltreligion, die der ostasiatischen Völker geworden, die heute den dritten Teil der Menschheit zu ihren Bekennern zählt.

      In seiner pantheistischen Lehre von dem Einen, welches in allem lebt (Brahm = Âtman), ist Schopenhauer völlig einverstanden mit der Vedântaphilosophie und dem Oupnek’hat. In seiner pessimistischen, darum auch atheistischen Weltansicht, in dem Weg wie in dem Ziel der Erlösung stimmt er mit dem Buddhismus überein und fühlt sich in seiner Lehre wesentlich dadurch bestärkt, dass er die zahlreichste der Weltreligionen für sich hat.

      Der eine Grundgedanke aber, in welchem die Ideen Schopenhauers als in ihrem Zentrum zusammentreffen, lässt sich in kürzester Fassung so aussprechen: Das Thema der Welt ist »die Selbsterkenntnis des Willens«. Dieser Grundgedanke teilt sich in zwei Hälften: »Die Welt als Vorstellung« und »Die Welt als Wille«. Daher nennt sich das Ganze: »Die Welt als Wille und Vorstellung«. Jedes der beiden Grundthemata teilt sich wiederum in zwei Betrachtungen; daher sich das Ganze in vier Bücher gliedert: »1. Der Welt als Vorstellung erste Betrachtung: die Vorstellung, unterworfen dem Satze vom Grunde: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft. 2. Der Welt als Wille erste Betrachtung: die Objektivation des Willens. 3. Der Welt als Vorstellung zweite Betrachtung: die Vorstellung, unabhängig vom Satz vom Grunde: Die platonische Idee: das Objekt der Kunst. 4. Der Welt als Wille zweite Betrachtung: bei erreichter Selbsterkenntnis Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben«. Diese vier Bücher lassen sich auch bezeichnen als Dianoiologie (Erkenntnislehre), Metaphysik, Ästhetik und Ethik.

      Das erste Buch gründet sich auf die Kritik der reinen Vernunft, die Schopenhauer, wie schon erwähnt, damals nur in der zweiten Auflage kannte. Hier aber hatte er eine Reihe Mängel und Fehler gefunden, welche dargelegt und berichtigt werden mussten, um die idealistische Grundansicht in ihrer vollen und folgerichtigen Geltung festzustellen. Dies geschah in seiner »Kritik der kantischen Philosophie«, die er als »Anhang« dem System hinzufügte. So entstand sein Hauptwerk.

      Alle bisherigen Schriften greifen ineinander und bilden eine zusammenhängende Gruppe. Die Abhandlung »über die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde« dient zur Einleitung in das Ganze, das sich ohne dieselbe nicht verstehen lässt; die Schrift »über das Sehn und die Farben« gehört in das erste Kapitel des ersten Buchs und darf nicht so abgesondert genommen werden, wie der Verfasser später gewollt hat; der Anhang bezieht sich auf das erste Buch in seinem ganzen Umfange. So hat Schopenhauer selbst in seiner Vorrede (August 1818) den Zusammenhang jener Schriften bestimmt.

      Die kantische Philosophie bezeichnet er in eben dieser Vorrede als die wichtigste Erscheinung seit zwei Jahrtausenden; ihre Wirkung auf den menschlichen Geist und dessen Weltansicht vergleicht er der Staroperation eines Blinden, sein Werk verhalte sich zu dem kantischen, wie die Starbrille zu der Staroperation. Um seine Lehre zu verstehen, müsse man seine beiden ersten Schriften gelesen, die Hauptwerke Kants studiert, womöglich auch »die Schule des göttlichen Plato« kennen gelernt und die Wohltaten der Vedas empfangen haben. Er vermute, dass die Sanskritliteratur sich zum neunzehnten Jahrhundert verhalten werde wie die griechische zum sechzehnten, eine Vorhersagung, welche in diesem Umfange sich weder erfüllt hat noch erfüllen konnte. Seine Vorrede schloss mit den Worten: »Das Leben ist kurz und die Wahrheit wirkt ferne und lebt lange: sagen wir die Wahrheit«.

      Wo die Vorrede in die ironische Tonart fällt, indem sie den Lesern, die das Buch nicht zu verstehen imstande sind, andere Arten der Verwendung empfiehlt, da spürt man den Einfluss der Lektüre Tiecks und ist an den Traum des Diplomaten in »des Lebens Überfluss« erinnert.

      Schon den 28. März 1818 hatte Schopenhauer dem Buchhändler Arnold Brockhaus, der kurz vorher von Altenburg nach Leipzig übergesiedelt war, den Verlag seines Werkes angetragen, das er als eine im höchsten Grade zusammenhängende Gedankenreihe kennzeichnete, die bisher noch nie in irgendeines Menschen Kopf gekommen sei, fern von dem hochtönenden, leeren, sinnlosen Wortschwall der neueren philosophischen Schule. Die Bedingungen, nach welchen das Buch in einem Umfang von vierzig Bogen in achthundert Exemplaren zur Michaelismesse erscheinen und der Verfasser einen Dukaten für den Bogen erhalten sollte, wurden ohne weiteres angenommen, da der Verleger von befreundeter Seite schon auf das Werk aufmerksam gemacht und günstig gestimmt war. Als aber in der Druckerei zu Altenburg Hemmungen eintraten, an denen der Verleger nicht die mindeste Schuld trug, wurde Schopenhauer nach seiner gewohnten Art von Ungeduld, Misstrauen


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