Expedition Antarctica. Evelyne BinsackЧитать онлайн книгу.
Claim meines Ausstatters Transa habe ich mir zu Herzen genommen. Es hat sich gelohnt. Je besser die Vorbereitungen, umso eher kann eine so große Reise gelingen. Es gibt so viel zu bedenken. Ziele, Zeiten, Routen und Material. Es ist wie beim Malen und Lackieren. Nach der guten Herrichtung des Untergrunds ist der Umgang mit dem Pinsel ein Kinderspiel. So viel wird geredet, so viel behauptet. Manches ist kritisch zu bedenken – und doch ernst zu nehmen. So erklärte mir ein Amerikaner, der am Rand von Mexico City im Luxus seiner Villa schwelgt, eine Fahrt auf dem Rad durch das Land sei für eine Frau tödlich. Riskanter als Gletscherspalten? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, ich habe Glück gehabt und lebe noch. Die Frau des Amerikaners fährt ausschließlich in ihrer Limousine mit Bodyguard zum Einkaufen. Ob sie sich nicht gerade damit gefährdet?
In England gibt es das Sprichwort: »Nur ein schlechter Handwerker tadelt sein Werkzeug.« Das heißt, man soll die Fehler erst bei sich selber suchen. Das finde ich auch. Anderseits ertragen große Unternehmungen keine Halbheiten. Wer sie sich leistet, lebt nicht lange. Das gilt im Alpinismus wie in der Antarktis. Nicht dass ich irdischen Gütern übermäßig Bedeutung zumesse. Wer mich kennt, weiß, wie bescheiden ich lebe. Zu Miete in einem Drei-Zimmer-Chalet, das gerade mal eine Katze als Mitbewohnerin duldet. Aber bei großen Vorhaben ist taugliches Material die erste Bedingung. Da halte ich auch das Beste nicht für Luxus. Egal, was es kostet. Viel oder wenig. Es kann auch mal das Einfachste, Günstigste sein. Fest steht: Niemand geht barfuß zum Südpol. Niemand ohne Schlafsack und Zelt. Draußen in der Natur, wo es um das »survival of the fittest« geht, bist du allein. Wenn du dich auf jemanden verlassen können musst, dann auf dein Material. Und natürlich auf dich.
Vorerst brauchte ich für die Strecke von Innertkirchen bis Punta Arenas ein Fahrrad. Aber was für eines? Es sollte mindestens 25 000 Kilometer fit bleiben, um nicht vielleicht kurz vor Schluss in der Atacama-Wüste liegen zu bleiben. Ich besuchte einen Mechanikerkurs, um Bremsklötze, Bremskabel, Speichen, Plattfüße, Gangschaltung und Kette nach allen Regeln des Handwerks zu warten und zu reparieren – und lernte dabei, dass es Fahrräder und Fahrräder gibt. Welche Kriterien sollte das meine erfüllen? Preis, Größe, Zuverlässigkeit, Sportlichkeit, Bequemlichkeit … Bis ich mir ganz sicher war, verstrichen anderthalb Jahre. Leicht sollte es sein, also Aluminium. Doch Aluminium ist brüchig und lässt sich nicht so leicht schweißen. Also doch lieber der schwerere Stahl. Um das Gewicht gering zu halten, wählte ich eine für meine Länge etwas zu kleine Größe. 56 Zoll statt 59 Zoll. Für eine angenehme, aufrechte Sitzposition fügte ich einen ziemlich hohen Lenker hinzu. Damit handelte ich mir zwar mehr Luftwiderstand ein, aber Nacken und Handgelenke brauchten nicht so zu leiden.
Beim Sattel griff ich zu Brooks, dem englischen Jahrhundertklassiker. »Weiche das Leder drei viertel Stunden in Seifenwasser ein«, riet mir der Aarios-Fahrradbauer Arnold Ramel, »dann schmiere es gleich tüchtig mit Lederfett ein, pack das Ganze in eine Plastiktüte und geh einen halben Tag fahren.« Klingt wie ein Großmutterrezept, funktioniert aber prima. Mein Sattel passt unter meinen Hintern, perfekt nach Maß. Die Form hat er nicht mehr verloren. Das ist Brooks. Ist er mit dieser Patina nicht schöner als neu?
Bei der Schaltung lernte ich: Ein Rohloff-Getriebe bewährt sich besser als eine Kettenschaltung. Die Kette nützt sich nicht ab, und wenn man die Nabe schön schmiert und stets unbelastet schaltet, läuft es ein Leben lang. Ebenso gut haben sich die Reifen gehalten. Mit ihren Stahleinlagen und ihren fetten Stollen überstanden sie manche Steine, Scherben und Nägel. Der erste Satz hielt von der Grimsel bis Chile. Doch was ich mir da zusammengestellt hatte, war nicht das leichtfüßige Ding, mit dem man zum Picknick ans nächste Waldrändchen fährt oder mit dem Rennfahrer Bergpreise ersprinten. Mein Fahrrad musste schließlich nicht nur mich, sondern auch mein ganzes Gepäck tragen können. Vierzig Kilo wog es mit den sechs Packtaschen an Vorder- und Hinterrad und auf dem Gepäckträger. Zelt, Schlafsack, Kocher, Apotheke, Kleider und Ersatzmaterial. Auf den längsten, durstigsten Strecken kamen noch gut fünfzehn Kilo Wasser und Lebensmittel dazu – und die wachsende Angst an heißen, einsamen Nachmittagen, das Wasser könnte vor der nächsten Quelle ausgehen.
Kältetest
Für Antarctica ist das Material noch wichtiger – und schwierig zu finden. Wo suchen und wem vertrauen? Die Informationen zusammenzutragen und praktische Erfahrungen zu machen, bedeutete für mich eine über vier Jahre verteilte, kostspielige, anstrengende und herausfordernde Arbeit. Suchen, suchen, suchen. Zuerst einmal Beratung. Pol-Abenteurer, die Ratschläge zur Ausrüstung geben können und wollen, kann man an einer Hand abzählen. Die erfahrensten Pol-Abenteurer sind schon tot, und die wenigen zeitgenössischen leben auf dem ganzen Globus verstreut. Der Schweizer Mike Horn war ein Glücksfall für mich. Mike hatte als erster Mensch den Äquator und den nördlichen Polarkreis aus eigener Körperkraft umrundet; und er zählt zu den ganz wenigen, die zu Fuß mit Skis und Schlitten von der Küste bis zum Nordpol gelangten. Seine erfolgreiche Nordpolbegehung, zusammen mit dem Norweger Børge Ousland, geriet jedoch wegen der medienwirksamen Rettungsaktion jenes gescheiterten Sologängers nicht gebührend in den Fokus der Öffentlichkeit. Als weltoffener, positiver und fröhlicher Mensch gab mir Mike gerne einige nützliche Tipps zur Auswahl des Schuhwerks. Dass mir gerade die Schuhe Sorge bereiten sollten, betrachte ich als eine Laune des Schicksals.
Tests in geeignetem Gelände zeigten, dass kaum ein Gegenstand den Anforderungen standhält. Zu schwer, zu zerbrechlich, zu empfindlich … Material, das minus vierzig Grad Celsius ausgesetzt ist, verhält sich anders, brüchiger als Material, das sporadisch bei minus zwanzig Grad eingesetzt wird. Zudem muss das Handling bei so eisiger Kälte einfach sein, weil die Finger innert Kürze abzufrieren drohen, wenn man zum Hantieren die Fäustlinge ausziehen muss. Fast jedes Stück, das ich bei mir hatte, verlangte Anpassungen.
Trittsicher
Die erste Frage lautete: Was brauche ich unbedingt? Ski und Schuhe. Zuallererst Schuhe. Beides ist unverzichtbar zum Laufen, beides kauft man nicht schnell um die Ecke bei einem Bergsportgeschäft. Jedenfalls nicht so, dass es den harten Ansprüchen der Antarktis genügt. Zum Schutz ist ein Zelt unerlässlich, das bei Windstärke elf und zwölf (über 103 beziehungsweise 118 km/h) stehen bleibt. Als Drittes braucht es Kleidung nach Maß. Die muss sitzen, damit der Wind nicht durch die Ritzen um den nackten Körper pfeift und sich die Kälte, dieses lähmende Gift, nicht bis in die Knochen einfrisst.
Kein anderes Land lebt so nah zu einem Pol wie Norwegen. Was sich in Norwegen bewährt, hat den Kältetest schon fast im Voraus bestanden. Die Erfahrung ist in jedem Detail zu erkennen. Und wenn es um Skis geht, hat Norwegen mit seiner Langlauftradition ohnehin das Vertrauen verdient. Meine Madshus liegen in Breite und Länge irgendwo zwischen Langlaufski und Telemarkski. Wanderskis mit Kanten. In den Belag habe ich Felle geklebt und geschraubt. Ich wollte gleiten, ohne zu rutschen. Wie groß oder klein die Felle sein müssen und dürfen, galt es auszuprobieren. Doch was Sastrugis bedeuten, konnte ich im alpinen Testgelände nicht ahnen.
Die Bindung hat Rottefella in Norwegen für Expeditionen gebaut. Sie gleicht einer Langlaufbindung. Zwei kleine Klammern halten eine kleine Achse wie Scharniere an der Spitze des Schuhs und geben ihm auf der ganzen Fläche Bewegungsfreiheit.
Als Pièce de Résistance sollten sich die Schuhe erweisen. Wie rasch sich Schmerzen an den Füßen entwickeln, können die meisten Sankt-Jakobs-Pilger schon nach den ersten Tagen aus eigener Erfahrung berichten. Antarktis-Pilger erwartet unter der stärkeren Belastung auf Skis eine vielfach größere Pein. Die Härte des Klimas potenziert jeden Schmerz. Fragt sich, wie man ihn am besten umgeht. Es gibt zwei Möglichkeiten. Starr oder weich. Ein starrer Schuh belastet die Achillesferse, ein weicher muss hart geschnürt werden und birgt die Gefahr, auf dem Rist die Durchblutung abzudrücken. Das kann innert kurzer Zeit zu Qualen und unter polaren Verhältnissen zu unheilbaren Erfrierungen führen. Am besten kauft man jeden Schuh für die Kälte zwei, drei Nummern zu groß, um Platz für genügend Socken zu haben. Aber das löst die Probleme nicht. Es gibt keine schmalen Frauenmodelle zu kaufen. Um in den klobigen und breiten Männermodellen trotzdem Halt zu finden, muss ich umso satter zuschnüren.
Deswegen entschied ich mich entgegen Mikes Rat für ein starres Modell mit guter Isolation. Sie ist so üppig, dass sich der Innenschuh im starren Gehäuse angenehm abrollen lässt. Weil man stets