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Expedition Antarctica. Evelyne BinsackЧитать онлайн книгу.

Expedition Antarctica - Evelyne Binsack


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ein unbeschreibliches Glücksgefühl, für das ich tief dankbar bin.

      Doch leise, und erst fast unbemerkt, stieß ich an andere Grenzen. Eine wirklich neue, andere Erfahrung konnte mich der Berg nicht mehr lehren. Der Aufwand, um noch höher hinaus zu gelangen, würde das Verhältnis von Aufwand und Ertrag aus dem Gleichgewicht kippen. Ich fühlte mich in der Vertikalen gefangen. Irgendwie weltfremd. Neue Dimensionen lockten. Weite Horizonte, Steppen und Wüsten. Ich spürte die Lust, die Welt zu erfahren, so wie es andere nach der Schule tun. Meine Lehr- und Wanderjahre nachholen, um die Wahrheit zwischen den Menschen zu finden. Weltgewandtheit, könnte man sagen, nach zweiundzwanzig Jahren im Schutz der Berge, unbehelligt vom Gewimmel, Gezappel, Gestrampel, Geheul und Gejauchze dieser Welt.

      Ich bin süchtig nach Bergen, und ich weiß um meine Sucht nach diesem Erleben der Erlösung, der Befreiung und eines unbeschreiblichen Glücks im Ausgesetztsein auf der Bergspitze. Der Berg bedeutet mir fast alles. Ich habe ihn als Subjekt erfahren, mit einem Willen und der Fähigkeit, mit mir in Beziehung zu treten. Er ist mein Lehrer, mein Meister, oder mein Feind und mein Freund, manchmal auch bloß ein Kumpel, zu dem ich mal Du sagen darf. Mehr als eine geologische Unregelmäßigkeit im platten Erdenrund erkenne ich in ihm eine Persönlichkeit mit einem reichen Charakter. Mal schön, mal hässlich, mal verlockend, mal abschreckend. Er hat tausend Gesichter, aber wo immer ich ihm begegne, in den Alpen, im Himalaja, in den Rockies oder in den Anden, hänge ich von seinem Wohlwollen ab – und kann mir seine Gunst nur durch mein persönliches Rüstzeug und meine aufrichtige Haltung ihm gegenüber erwirken. Die Begegnung mit ihm findet im Dialog statt. Wie das in der Liebe so ist, wenn sie größer und tiefer wird. Der Berg lässt mich nur auf den Gipfel, wenn wir füreinander bereit sind.

      »Die Berge« sind damit nicht zu vergleichen. Sie sind zahllos, schön und beliebt und oft mit der Seilbahn erreichbar. »Der Berg« sprengt dieses Postkartenformat. Er ist das Ganze, die Seele gleichsam, die das Leben in »den Bergen« ausmacht. Vom Berg kannst du dir kein Bildnis machen. Er ist in dir drin. Er ist deine Liebe. Du kannst Bilder machen von deinen Geliebten, den Bergen. Aber nicht vom Berg. Deiner Liebe. So ist das.

      Und nun nahm ich Abschied von der Liebe zu diesem Berg. Das war schmerzhaft. Ich wusste, wie schwer es würde, mich von einer unwiderstehlichen Liebe zu lösen. Die Lösung vom Berg hatte ich selber gewollt. Ich hatte ein Ziel und die Erwartung eines Geschenks, das ich mir am Ende in die Hosentasche stecken könnte, und niemand wird es mir dann noch nehmen können. Doch der Erwartung folgte die Ungewissheit vom Start bis zum Ziel. Sechzehn Monate sollte ich unterwegs sein. Mit dem Aufwand hätte ich gut und gern ein Dutzend Achttausender finanziert. Und vielleicht zwei oder drei auch zeitlich bewältigen können. Da beginnt man schon zu rechnen – und hie und da auch mit sich zu rechten.

      EUROPÄISCHER PROLOG

      Von Innertkirchen nach Porto

      1. September bis 17. Oktober 2006

      2400 Kilometer

      Start auf der Grimsel

      Was ich zum Gelingen von Antarctica tun konnte, hatte ich mit bestem Wissen und Gewissen getan. Vor mir lag die Ungewissheit. 484 Tage Ungewissheit. 25 000 Kilometer Ungewissheit. Evelyne gegen den Rest der Welt. Nicht ganz, aber es fühlte sich so an im Augenblick, als ich mich aufs Rad schwang.

      Der Starttag war nicht mein Tag. Das zeigte sich bereits morgens um sechs vor meinem Chalet auf dem geliebten Hubel ob Innertkirchen im Berner Oberland. Mein Lebenspartner Sandro war eigens aus Kanada gekommen. Umarmungen, Abschiedsküsse, beste Wünsche. Seine Anwesenheit zerriss mir ein bisschen das Herz. Gedankenverloren stand er in der Eingangstür.

      Ich schwang mich auf den Sattel, zupfte mir nochmals die Hosen zurecht, schlüpfte in die Handschuhe, riegelte an den Kettenblättern, fädelte mich mit den Füßen in die Klickpedale ein, schwankte etwas hin und schwankte etwas her, fragte mich, will ich das wirklich, mache ich mir etwas vor, und wie wird das enden? Ich winkte und winkte noch mal, und bevor mein Hexenhäuschen hinter der Kurve verschwand, die mich in die weite Welt hinaustragen sollte, drehte ich mich noch einmal um, verlor das Gleichgewicht, blieb in diesen Klickpedalen hängen – und, zack, fiel ich bereits auf den ersten dreißig Metern auf den Asphalt. Evelyne, willst hoch hinaus – und fällst so tief, noch bevor es losgeht.

      Es tat mir ziemlich alles weh. Die Hüfte links tut mir heute noch weh, wenn ich daran denke. Man ist ja so dünnhäutig in solchen Augenblicken. Ob das ein gutes Vorzeichen war? Hätte ich mich mit dem Fahrrad und seinen Tücken besser anfreunden sollen? Nicht fragen jetzt, sei tapfer, Evelyne, wenn dir nichts Schlimmeres passiert auf den nächsten vielen Tausend Kilometern während der anderthalb Jahre, hast du Glück gehabt. Also weiterfahren, als sei nichts gewesen. Ich hatte mir ja bloß die Knochenhaut an der Hüfte verletzt. Das sollte ich bis Südamerika spüren – und spürte es noch viel mehr, gleich drei Stunden später, beim offiziellen Start oben auf der Grimselpasshöhe.

      Meine erste Pressekonferenz. Das war ich den Sponsoren schuldig. Radio, Fernsehen und Print. Alle sollten berichten, und alle erschienen auch, um zuzuschauen, wie eine Frau aus Innertkirchen Richtung Südpol in die Pedale trat. Als ob das sehenswert wäre. Die früheren Unternehmungen wie die Expedition zum Dhaulagiri oder den Begehungsversuch der Mount- Everest-Südseite hatte ich ganz allein und ohne Medienrummel gemacht. Doch jetzt, wo die Kosten für mein Abenteuer wieder einzuspielen waren, musste die Öffentlichkeit zuschauen können. Selten aber hatte ich mich so fremd gefühlt in meinen Kleidern. Mir schien das Ganze ein Desaster, die Emotionen schwirrten in alle Richtungen. Gleichzeitig reden und wegen des Hüftschmerzs auf die Zähne beißen, das konnte nicht gut gehen.

      Da saßen wir an einem Tisch im Restaurant Grimselblick, mein Doktor Milan Cermak, Jérôme Strijbis, der Vertreter von SOS-Kinderdorf, der Mann vom Backoffice zu Hause und dazwischen ich, alle mit Namenstäfelchen und Mikrofonen vor uns. Es sollte schließlich professionell aussehen. Im Grunde war mir schon damals klar, was Journalisten wissen möchten, doch fiel ich schon bei der ersten Frage auf die Nase. Also, zum Ersten: »Warum machen Sie das?« Gute Frage. Hmm. Ja. Warum machte ich das? Ich lächelte etwas hilflos durch meinen Schmerz und meinte: »Wenn ich es wüsste, müsste ich es nicht machen. Fragen Sie mich wieder nach meiner Rückkehr.« Und da bin ich jetzt wieder, anderthalb Jahre später, um Erfahrung und Erkenntnis reicher.

      Warum hast du das gemacht?

      Ja, damals, was wollte ich wirklich? Ich nannte es Expedition. Aber war es das? Bin ich in Neuland aufgebrochen, habe ich etwas entdeckt, der Wissenschaft einen Fortschritt gebracht? Es hat mich weitergebracht. Es wurde mein Projekt. Indem ich es entwickelte, habe ich mich entwickelt. Über fünf, sechs Jahre, bis zur Verwirklichung des Schritts zum Südpol, hatte sich meine Sicht der Dinge und meine Befindlichkeit geändert. Die Höchstleistung war aus dem Mittelpunkt des Trachtens gerückt. Sie wurde ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Wie reagieren Körper, Psyche und Seele, wie reagiere ich auf meine Umwelt, wie fühle ich mich so nah zur Natur? Nicht zuletzt das. Das Erlebnis der Nähe zu einer Natur in ihrer Vielfalt, in ihrer Rauheit, ihrer Schönheit und ihrem Schrecken.

      Jetzt habe ich die Gewissheit. Ich bin bereichert wieder hier. Stärker an Körper und Seele. Ich trage etwas in mir, das ich zuvor nicht in mir trug und das ich gerne nach außen vermittle. Gewiss, ich sehe mich nach wie vor als Alpinistin. Bergführerin ist mein Beruf. Aber vielleicht denke ich heute eher in Kategorien der Kunst als in denen des Sports. Die Leistung könnte das Handwerk sein, mein Körper das Werkzeug, mit dem ich an meinem Lebenskunstwerk arbeite. Das wurde mir bewusster, je weiter ich vorstieß. Und es gab auch äußere Zeichen, die mich in die Richtung trugen. Nach den ersten hundert Kilometern auf dem Fahrrad ging der Kilometerzähler kaputt. Ich habe ihn nicht ersetzt. Wozu auch. Verkürzt die Messung die Distanz? Steigern Zahlen die Intensität des Erlebens? In meiner Kindheit hatten wir einen Milchwächter. Ich merkte bald, die Milch kommt nicht früher, sie läuft auch nicht weniger über, wenn der Wächter drin ist. Auf die Achtsamkeit kommt es an. Jeder wacht über seine eigenen Messinstrumente, die sich nicht in Zahlen ausdrücken und weder klappern noch piepsen.

      Das verflixte


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