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Expedition Antarctica. Evelyne BinsackЧитать онлайн книгу.

Expedition Antarctica - Evelyne Binsack


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Welt bin ich damit geradelt, aber es ist keine Liebe daraus gewachsen. In Europa hoffte ich, meiner Klettersucht davonzuradeln. Aber man wird nicht in einem Tag von der Bergführerin zur Radfahrerin. Bis zum Ziel in Punta Arenas habe ich mich nie ganz als Radlerin gefühlt. Schon gar nicht als Extremradlerin. Je heftiger ich dem Berg davonradeln wollte, umso heftiger packte er mich wieder. Ich war in mein Projekt verliebt: in die Idee, aber nicht in die Ausführung.

      Das Rad war bloß ein Mittel zum Ziel. Das einzig mögliche Mittel, denn aus eigener Kraft – was wäre außer Wandern sonst noch möglich gewesen? Mein einziges Ziel, das mein Tun definierte, war: aus eigener Kraft Punta Arenas erreichen, diese äußerste größere Stadt der südlichen Hemisphäre. Darüber hinaus kein Programm, kein Leistungstest. Es ging allein ums Erlebnis, und was ich erlebte, nahm ich als Geschenk. Dafür war das Bike am besten geeignet. Ich ahnte, es könnte eine große Erfahrung daraus werden, aber ich wusste nicht, welche.

      Die Faszination, die ich beim Klettern empfinde, diese elektrisierende Hellwachsamkeit, bei der es tausend Dinge gleichzeitig wahrzunehmen gilt, diese geistige Vorwegnahme aller Möglichkeiten, aus denen sich die richtigen Entscheide ergeben, das alles hat mir die Radlerei selten gebracht. Am Morgen erwachen und wissen, jetzt sitzt du dann wieder auf diesem Caballo, deinem »Pferd«, und hoffst, du findest Lebensmittel und Wasser, und suchst dir wieder ein verborgenes Plätzchen zum Schlafen. Radfahren droht oft mit etwas Öde und Leere: Man ist in der Tretmühle und gleichzeitig die Tretmühle selbst, schlägt sich den Tag um die Ohren, um müde zu werden und schlafen zu können. Und dann dreht sich immer viel um diesen technischen Kram. Wer hat die schicksten Bremsen, den leichtesten Kettenwechsel, die neueste Federung? Beim Klettern zählt die sorgfältige Vernachlässigung von modischem Tand. Cool ist der Typ mit dem abgewetzten, ausgebleichten T-Shirt, der wie eine Eidechse die Wände hochgeht.

      In guten Phasen strömen die Gedanken, die Zeit geht vergessen, und aus dem Stumpfsinn des Strampelns fallen Ideen vom Himmel, für die ich mich beim lieben Gott, der sie mir schenkt, für den Rest meines Lebens bedanke. Ich kam auf Dinge, die mir im Traum nicht eingefallen wären. Schließlich hat mir mein Fahrrad vieles näher gebracht. Ich fand die Nähe zur großen, weiten Welt um mich herum fast mehr, als ich sie suchte: einen Einblick in die Häuser im Dorf, den Duft nach Brot und Kaffee am Morgen, den Duft von Heu an den langen Chausseen, in den Wüsten den Geschmack von Sand auf den Zähnen. »Hi« oder »Hola«, je nachdem, wo ich gerade war. Auf dem Fahrrad fährst du mitten durchs tägliche Leben hindurch, du erlebst einen Querschnitt durch eine Landschaft, eine Stadt, eine Kultur. Je länger ich fuhr, desto deutlicher wurde mir das.

      Ach, Europa

      Die Strecke von der Grimsel bis Portugal verdränge ich gerne. Sie schenkte mir nur wenige Sternstunden. Zweieinhalbtausend Kilometer. Bis Südfrankreich blieb ohnehin nicht viel hängen. Ich hatte mir da etwas vorgemacht. Das war mehr als ein harmloser Prolog.

      Das Fahrrad zeigte mir seine Tücken. Hätte ich üben sollen? Fahrradfahren kann jeder, nicht wahr? Wie im Flug war ich jeweilen von meinem Hubel hinunter nach Innertkirchen gesaust, und leichtfüßig strampelte ich danach die umliegenden Alpenpässe hoch. Reichte das nicht? Wenn nicht, dachte ich, ist der Weg bis zum Südpol lang genug, da würde ich genug zum Üben kommen. Irrtum. Kaum hatte ich den Sturz zu Beginn in den Klickpedalen halbwegs bewältigt, machte mir die Haltung zu schaffen. Der Buckel, der Knick im Nacken, um den Blick zum Horizont zu erheben, und dann der Druck auf die Handgelenke. Vielleicht hätte ich einen noch höheren Lenker wählen sollen. So oder so. Schon nach ein paar Kilometern krabbelten mir Ameisen die Arme hoch. Die Arme wollten sich bewegen. Ich hängte mich an Bäume, machte Klimmzüge, um wieder den Tonus der Muskeln zu spüren, und fragte mich: Warum hänge ich nicht am Berg? Die Erinnerungen hingen wie Banderillas im Fleisch.

      In den Bergen wurde es bald ziemlich nass und kalt. Natürlich wusste ich, dass ich in den Herbst hineinfuhr und dass die Herbststürme von Westen her über das Land sausen. Fast täglich einmal luden sie ihre nasse Fracht über mich ab. Immer bei Gegenwind. Ich hatte mit einigem gerechnet, aber mich da drin wiederzufinden, war noch mal etwas anderes. Wenigstens abends hätte ich mich gerne ein bisschen verwöhnt. Mit dem Duft von Seife und einer warmen Dusche vielleicht. Aber die Campingplätze waren schon fast alle geschlossen, sodass ich mich manche Nacht in die Büsche schlug.

      Bei dem Wetter schienen die langen, geraden Straßen durch Frankreich noch länger, als sie sowieso sind. Lastwagen, Lärm, Abgase, so weit das Auge reichte, und jenseits des Horizonts vielleicht noch mehr davon. Arme Evelyne. Wollte ich das wirklich? Und hatten vor mir nicht Tausende, wenn nicht Hunderttausende diese Strecken gefahren? Und zwar nicht nur Pilger, für die es Programm war, auf dem Zahnfleisch zu gehen. Kurz, Selbstmitleid war kein Erfolgsrezept.

      Das Blümchen

      Es war irgendwo zwischen Frankreich und Spanien, am Fuß der Pyrenäen, auf einer dieser Routes Nationales, auf denen die Fernfahrer rollen, um sich den Mautzoll auf den Autobahnen zu sparen. Wind, Kälte, Regen, einmal mehr. Jeder Truck wehte in seinem Heckwirbel den ganzen Dreck der Straße fein zerstäubt auf die Velos am Rand. Auf zwei Rädern hat man auf der Straße stets zu nehmen, was übrig bleibt. An diese Wehrlosigkeit gegenüber dem Recht des Stärkeren hatte ich mich wohl zu gewöhnen. Aber mit dieser Dreckschicht auf der Brille ließ sich beim besten Willen nicht fahren. Und ohne Brille schon gar nicht. Vielleicht hatte ich mich mit einer rosa Brille auf die Reise gemacht?

      Seit ich in die Berge gehe, lasse ich mich von Schönheit, Ruhe, Raum, Harmonie und Farben berühren. Sie lassen die Saiten in mir schwingen. Doch seit ich unterwegs war, schrie die Seele auf und ließ sich nicht mehr beruhigen. Dabei braucht es so wenig, um Qualität zu erzeugen. Etwas Kontrolle: Was denke ich, was sage ich, was tue ich. Umso härter traf mich die Wirklichkeit außerhalb des geschützten Raums im Gebirge. Trostlose Industriequartiere, die Hektik, der Lärm und die schmutzige Luft auf den Straßen widersprachen meinen Vorstellungen von Harmonie und Schönheit zutiefst. Ich hatte daran zu nagen, dass die Waage, in deren Schalen die Eigenschaften der Welt verteilt sind, aus dem Gleichgewicht geraten ist. Meine Abenteuerlust verkam zu Frust und stürzte mich in eine persönliche Krise. Ich erlebte eine Art Apokalypse.

      Ich hätte auf Nebenstraßen ausweichen und im Zickzack aufkreuzen können, wie einst die Segelschiffe, doch das kann die Länge mancher Strecke gut und gerne verdoppeln. Wollte ich den ganzen Winter durch strampeln? Lieber nicht. Überdies hatte ich Hunger. Nach Stunden unterwegs – Pause. Ich setzte mich an die Böschung und aß eine Banane. Als ich die Brille ablegte, fiel der Blick auf ein Blümchen. Es war vom gleichen Bananengelb, aber unscheinbar klein, und jedes Mal, wenn ein Truck vorbeidonnerte, wuschsch, drückte ein Luftstoß das wehrlose Geschöpfchen zu Boden. Dann kam es wieder hoch, rein und schön wie zuvor, immer aufs Neue. Ich bedauerte das Blümchen wegen seines Standplatzes und weil es keine Beine hatte wie ich, um von hier zu flüchten. Als Nächstes überlegte ich mir, dass es einer kostbaren Demut bedarf, sich den täglichen Demütigungen zu stellen und trotzdem derart als Blume leuchten zu können. Kaum ein Mensch vor mir hat dieses Blümchen wahrgenommen, kein Mensch ihm gesagt, wie schön es sei. Trotzdem gibt es sein Bestes und blüht, solange ihm die Zeit gegönnt ist.

      »Evelyne«, sagte ich unversehens zu mir, »wenn du jetzt nicht in Sentimentalitäten versumpfen willst, nimmst du dir das Blümchen zum Vorbild.« Magst du noch so übersehen, missachtet und mit Dreck eingedeckt werden: Machs wie das Blümchen. Komm wieder hoch. Jedes Mal, wenn es dich umhaut, stehst du wieder auf. Das Blümchen lehrte mich, dass Demut nicht bedeutet, gesenkten Hauptes durch das Leben zu wandeln, sondern dass sie es ermöglicht, die Egozentrik zu regulieren und zu akzeptieren, dass große Ziele immer auch Verzicht verlangen. Das ist die Lektion des gelben Blümchens, die ich meiner Krise an der Böschung am Fuß der Pyrenäen verdanke.

      Die Botschaft der Zufälle

      Bald nach der Grenze in Spanien wurde ich krank. Eine Grippe oder so was. Mitten auf der Fahrt erwischte sie mich. Ich weiß nicht mehr, wo. Aber ich sehe vor mir noch das Tal. Ein langes, einsames Tal, und dort, wo es sich öffnete, verschlossen Wolken den Ausgang. Schwarz und schwefelgelb. Schon wieder Regen? Nein, das sah nach Hagel aus. Nicht auch das noch, bitte, bitte, nicht! Wie weit


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