Finnische Träume | Roman. Joona LundЧитать онлайн книгу.
bis ihm ein Anlass bewies, dass sie ihn herausforderte.
Abends quälte er sich im Wohnzimmer durch das langweilige Lehrbuch, während sich Inku genüsslich auf dem Sofa gegenüber räkelte und eins ihrer geliebten Kitschromane las. Sie hatte sich halb zur Seite gedreht, ihr kurzer Rock war nach oben gerutscht, die Schenkel lagen weit hinauf frei, ein Bein hatte sie über das andere gelegt. Er merkte, dass sie ihn verstohlen musterte, warf einen Blick zu den Eltern, die sich von einem Krimi fesseln ließen, starrte auf ihre hellen Schenkel. Sie senkte das Buch und grinste, als könnte sie seine Gedanken lesen, drehte sich langsam, wobei der Rock spannte und Jan bis zum Zwickel sehen konnte. Einige Sekunden blieb sie in dieser Position, hob den Po, ehe sie gemächlich den Rock glatt strich und dabei grinste, als wüsste sie genau, was in ihm vorging. Es bereitete ihr offensichtlich Vergnügen, seine Verwirrung zu beobachten, sie hob das Buch und lachte, als hätte sie eine witzige Stelle gelesen.
Manchmal ärgerte sie ihn aus purem Übermut, bis er zornig wurde. Mit einem Gummiband schoss sie Papierkugeln auf ihn und ignorierte seine Warnung, das zu unterlassen und ob sie nicht sehen könnte, dass er lernte. Sie kicherte und schoss weiter auf ihn, bis er aufstand, sie mit einer schnellen Bewegung am Arm fasste.
Sie schrie auf. »Au, nicht so fest, du tust mir weh.«
»Dann lass mich in Ruhe!«
»Uh, der Herr ist heute aber schlecht gelaunt.« Sie entwand sich, nahm das Plastiklineal vom Schreibtisch, ließ es auf seine Hand sausen und lief los.
»He, was fällt dir ein!«, rief er, setzte ihr nach, packte sie fest, presste sie an sich. Er spürte ihre Brüste durch den dünnen Pullover, erschrak, als sich in seiner Hose etwas rührte.
Sie regte sich nicht, flüsterte: »Tut mir leid.«
Verlegen ließ er sie los, es war so schnell gegangen, dass sie kaum bemerkt haben konnte, was ihm geschehen war, nahm sich aber vor, nicht mehr mit ihr zu raufen. Der Vorfall hinderte sie nicht daran, ihn weiterhin zu reizen und hinterher so zu tun, als wäre nichts gewesen.
Waren dreizehnjährige Mädchen schon so raffiniert, fragte er sich. Tatsache war, dass sie häufiger versuchte, ihn aus der Reserve zu locken, als wollte sie zeigen, dass er nicht mehr der große Bruder war, der sie beschützte oder ihr Anweisungen gab, das zu holen oder jenes zu lassen, sondern dass ihre Beziehung eine andere Basis erhalten hatte. Versuchte er, seine alte Rolle wieder aufzunehmen, ignorierte sie seine Aufforderungen mit jenem Lächeln, das ihn abstieß, weil es berechnend wirkte, das ihn gleichzeitig anzog, weil es etwas enthielt, was als Verheißung ausgelegt werden konnte.
Des Öfteren ließ sie ihm Zeichen von Zuneigung zukommen und es schien ihr gleichgültig zu sein, wenn es Dritte mitbekamen. Zuerst deutete er sie als Zufälligkeiten, bis deutlich wurde, dass sie Aufforderungscharakter hatten. Es war ihre Art, ihn zu erinnern, dass sie etwas von ihm erwartete. Und beim Versuch, zu erraten, was sie meinen könnte, verspürte er zwar ein angenehmes Kribbeln im Bauch, ermahnte sich aber, gelassen zu reagieren, er konnte ja nicht beurteilen, ob er die Situation realistisch einschätzte.
Jahre später verstand er, ihre starke Bindung war weniger eine Folge mangelnder Gelegenheiten, sondern beruhte vielmehr auf der Tatsache, dass sich früh eine tiefe Zuneigung entwickelt hatte, die sich durch die sexuelle Anziehung verstärkt hatte. Und er hatte dem Gefühl nichts entgegengesetzt, als noch Zeit zur Umkehr gewesen wäre. Seine spontanen kurzlebigen Bemühungen, sich aus der inneren Bindung zu lösen, waren halbherzig gewesen und mussten ins Leere laufen, weil er im Grunde nie ernsthaft erwogen hatte, auf Distanz zu gehen oder die Bindung aufzulösen. Derlei Überlegungen stellte er erst an, als es für eine Umkehr zu spät war.
Versonnen schaute er von der Seite auf ihr Gesicht, während sie Bruchrechnen übte. Er hatte es ihr mehrmals erklärt, hegte mitunter den Verdacht, dass sie es längst beherrschte, wischte aber den Gedanken mit ungeduldiger Handbewegung beiseite. Eifrig schrieb, radierte und unterstrich die Kleine. Die Haare fielen ihr ins Gesicht, mit einer raschen Kopfbewegung schüttelte sie die Strähne auf die Seite, dabei öffnete sich jedes Mal ihre Bluse. Sein Blick glitt tiefer und er kam nicht umhin, festzustellen, dass sie so klein nicht mehr war. Unter der dünnen Bluse zeichneten sich ihre Brüste ab, sie trug keinen BH. Er konnte den Blick nicht von den dunklen Höfen wenden, sie zogen ihn an wie ein Magnet die Feilspäne. Sie spürte seinen Blick, hob den Kopf, schaute ihn ruhig an, las in seinen Augen, zog die Bluse straff und lächelte. Das Lächeln und die Erkenntnis, dass sie genau wusste, was er dachte und sich wünschte, versetzten ihn so in Unruhe, dass er sich mit rotem Kopf abwandte, aufstand und in die Küche ging. Der siegessichere Ausdruck entging ihm. Als er den Kopf zum Wasserhahn beugte, um zu trinken – Mutter konnte es nicht leiden, wenn er so trank –, hatte er ihre Augen mit den funkelnden Lichtern, Reflexen des durchs Fenster fallenden Sonnenlichts, vor sich. Sie hatte in seinem Gesicht gelesen wie in einem offenen Buch, hatte die Bluse straffgezogen, um besser zur Geltung zu bringen, was sie vorzuweisen hatte. Obwohl Jahre älter, kam er sich vor wie ein kleiner Junge, als wollte sie ihn mit der Nase darauf stoßen, dass sie heranwuchs. Wieder stiegen Zweifel hoch, ob er sich alles einbildete, vielleicht hatte sie den BH nur ausgezogen, weil es warm war und bequemer, oder sie wollte ihm zu verstehen geben, dass er für sie ein Neutrum war. Oder beabsichtigte sie umgekehrt, ihm zu zeigen, dass sie nicht mehr die Kleine war, die sich Schutz suchend an ihn klammerte, sondern dass zwischen ihnen nichts mehr war wie früher?
Nachdenklich ging er zurück. Sie schrieb, hatte sich die Strickjacke übergehängt. Und gerade als er den Schluss zog, die Fantasie hatte ihm wieder einen Streich gespielt, hob sie den Kopf und er entdeckte in ihren dunkelblauen Augen eine Vertrautheit mit seiner Vorstellungswelt, die ihm für Augenblicke den Boden unter den Füßen wegzog. Kein Wort war gefallen und doch hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie seine Gedankengänge durchschaute. Ihr Lächeln war ein zwiespältiges Geschenk: Nahm er es an, hatte sie gewonnen, nahm er es nicht an, verlor er möglicherweise alles, was ihm wichtig geworden war.
Rechnen erfordere Konzentration, hatte er ihr eingebläut, Radio hören störe. Dennoch hatte sie es aufgedreht, lauter als nötig, summte die Melodie mit, schaute ihn triumphierend an. Schweigend ging er in sein Zimmer, mühte sich mit Hausaufgaben ab, unfähig, sich zu konzentrieren. Sie war nicht mal dreizehn und verhielt sich, als wäre sie eine erfahrene Frau. Sonst tat er sich leicht, eine Aufgabe zu erfassen, jetzt war er nicht bei der Sache und es war nicht nur die Musik, die ablenkte. Gerade überlegte er, sie zu bitten, leiser zu drehen, da kam sie herein, stellte sich neben ihn und fragte, ob er böse sei, beugte sich nieder, um zu sehen, was er las. Wie in letzter Zeit oft sog er ihren Körpergeruch gierig ein, hielt den Atem an, als könnte er so den Duft konservieren. Ihr Geruch – ihm kam es vor, sie roch anders als sonst – war ein nachhaltigerer Sinneseindruck als der optische und akustische es war, als betäubte ihn das Aroma wie eine Droge.
»Nein, warum sollte ich böse sein?«, ging er nun auf ihre Frage ein und bemühte sich, seine Stimme gleichmütig klingen zu lassen, unterdrückte die aufsteigende Hitzewelle.
»Ich dachte nur so«, antwortete sie leichthin.
Ungewollt entschlüpfte ihm: »Du riechst so gut, ich mag deinen Geruch ...«
Der Satz wies keinen Zusammenhang mit dem vorhergehenden Gespräch auf, er hatte dergleichen noch nie zu ihr gesagt, das Blut schoss ihm in die Wangen.
»Was du bloß für Unsinn im Kopf hast!«, sagte sie lachend und tänzelte hinaus.
Alles war anders geworden, das unbeschwerte Miteinander hatte sich in ein gegenseitiges Beobachten und neugieriges Abtasten mit Blicken gewandelt. Er musste mit ihr reden, ihr sagen, dass ihn in ihrer Nähe oft dieses seltsame Kribbeln überkam, das sich nicht deuten ließ. Er beschloss, ihr in aller Ruhe auseinanderzusetzen, dass sie nicht mehr so viel zusammenstecken dürften, verwarf die Eingebung aber bald: Empfand sie nämlich nichts Vergleichbares, wären seine Empfindungen Illusion und er machte sich lächerlich.
Nach außen ließen sie sich nichts anmerken. Die Eltern hatten andere Sorgen, schließlich ging es um die Existenz des Hofs. Erstaunlich fand Jan, dass Inku vor anderen weiterhin das kleine Mädchen spielte, naiv und unverdorben. Wie es Inku gelungen war, sich in seiner Gedanken- und Gefühlswelt einzunisten und in ihr auf beunruhigende Art und Weise präsent