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Ägypten. Juergen StryjakЧитать онлайн книгу.

Ägypten - Juergen Stryjak


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anderem auf Kamelen und Pferden. Was dann beginnt, wird fortan Mawqat al-gamal, Schlacht der Kamele, genannt, obwohl die Reiter mit ihren Tieren schnell wieder verschwinden. Einen ganzen Tag lang versuchen die Schlägertrupps, die Regimegegner vom Platz zu vertreiben, vor allem abends, in der Nacht und am darauffolgenden Morgen. Sie bewerfen die Demonstranten mit Steinen und schleudern von Hausdächern Brandbomben mitten in die Menge. Hinter dem Ägyptischen Museum reihen sich Schlägertrupps in der Dunkelheit mit Fackeln in den Händen in Marschordnung auf. Die Demonstranten holen große Bleche von einer nahen Baustelle, mit denen sie sich vor den Steinen schützen und die Schlägertrupps daran hindern, auf den Platz vorzudringen. Im Rhythmus klopfen sie auf die Bleche und bewerfen die Angreifer ebenfalls mit Pflastersteinen. Bäume geraten in Brand, kurz vor Mitternacht sehe ich, wie ein Mensch brennend über die Straße läuft. Vom Hilton Ramsis Hotel aus kann ich das Geschehen aus nächster Nähe beobachten. Wir hatten am Nachmittag aus dem nahen ARD-Studio dorthin fliehen müssen, weil ein Mubarak-treuer Mob unser Gebäude stürmen wollte. Im Hotelrestaurant blubbert am Abend ein Schokoladenbrunnen, Gäste sitzen beim Abendessen, während sich draußen vor dem Hotel apokalyptische Szenen abspielen.

      Die Schlägertrupps, die damals auch die Tahrir-Demonstranten angriffen, nennen Ägypter Baltagiyya. Es sind rohe, skrupellose Männer, die bereit sind, für ein paar ägyptische Pfund politische oder andere Gegner zu attackieren. Ein Baltagi stammt oft aus einem Armenviertel. Rekrutiert wird er von Günstlingen des Regimes, zum Beispiel von wohlhabenden Geschäftsleuten, von Parlamentsabgeordneten oder sogar von der Polizei. Bei der Schlacht der Kamele wurde ihr Einsatz gegen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz offenbar auf höchster Ebene beschlossen. Am Nachmittag ruft mich ein ägyptischer Freund an, um mir zu berichten, was er kurz zuvor erlebte. Aus seinem Fahrzeug heraus sah er, wie Polizisten in Uniform Autos anhielten und die Fahrer zwangen, Baltagiyya zum Tahrir-Platz zu bringen. Mein Freund konnte gerade noch rechtzeitig in eine Seitenstraße entweichen. Am nächsten Morgen beobachte ich vom Hotelfenster aus, wie Baltagiyya-Schlägertrupps mit Bussen angekarrt werden. Jedes Mal, wenn ein Bus auf der Brücke am Platz hält, salutiert auf der Straße ein Mann in Zivil in Richtung Fahrer. Der öffnet die Türen, die Baltagiyya steigen aus, laufen geschlossen runter zum Platz – und beginnen dort ihr brutales Geschäft. Das ägyptische Nachrichtenportal Ahram Online berichtet später, dass jeder der Schläger Lebensmittel, Tramadol-Schmerztabletten und zwischen 50 und 500 Ägyptische Pfund erhielt. Das entsprach damals zwischen 6 und 60 Euro. Für den Fall, dass es ihnen tatsächlich gelingen würde, die Demonstranten vom Platz zu vertreiben, hatte man jedem Baltagi eine Erfolgsprämie von umgerechnet 600 Euro versprochen. Aber die Schlägerbanden scheitern. Die Demonstranten können den Tahrir-Platz erfolgreich verteidigen. Polizei und Sicherheitskräfte ziehen sich zurück, nicht nur in Kairo, sondern im ganzen Land. Was danach auf dem Tahrir-Platz beginnt, ist ein Art Volksfest, das mehr als eine Woche lang andauert, bis zum Rücktritt Mubaraks. Der Platz wird zum Schauplatz einer riesigen Werbeaktion für die Freiheit.

      Am 8. Februar laufe ich von der Qasr-al-Nil-Brücke hinüber. Am Zugang zum Platz muss ich einen Checkpoint der Sicherheitskräfte passieren, dann kommen Drahtzäune, ein paar Spanische Reiter und ein schmaler Streifen Niemandsland. Dahinter kontrollieren Demonstranten die Ausweise und die Taschen von jedem, der auf den Platz möchte, andere begrüßen die Neuankömmlinge mit Beifall und Musik. Ein Mann spielt die Oud, die arabische Laute. Eine kleine Aktivistengruppe singt dazu: »Gebt uns die Ehre, leistet uns Gesellschaft. Das ist unsere und eure Freiheit.« Der Platz wird gefegt und geschmückt. Er ist alles zugleich, Protestcamp und Politkirmes, Kulturfestival und Sozialstation. An einer Ecke sind Plakate, Bilder und Revolutionskunst zu sehen, an der nächsten Standup-Comedians. Ärzte behandeln Bedürftige kostenlos, auf einer Bühne treten Musiker auf – und Redner, denn jeder, der möchte, darf zu den Menschen sprechen. Sie sollten abends heimkehren und schwärmen: »Ihr müsst euch das unbedingt angucken, der blanke Wahnsinn.«

      Sherif Mekkawi gehört zu jenen Aktivisten, die den Platz besetzt halten. Er organisiert die Infrastruktur und führt mich durch die Behelfstoiletten, die in einem Untergeschoss des Platzes installiert wurden. Gerade sei man dabei, Duschen einzubauen. Niemand weiß, wie lange die Besetzer auf dem Platz noch ausharren müssen. Das Regime führt bereits Gespräche mit handverlesenen Oppositionellen, unter anderem von der Muslimbruderschaft, aber diese Oppositionellen haben nicht wirklich etwas mit den Protesten auf dem Platz zu tun. Das Regime versucht zu retten, was zu retten ist, ein allerletzter Versuch, diesmal mit pseudodiplomatischen Mitteln statt mit Gewalt. Sherif Mekkawi hat dafür nur Spott übrig: »Das ist doch nur die Karikatur einer ›Opposition‹. Von uns ist keiner dabei. Die echte Opposition ist hier auf dem Platz. Wer mit uns reden will, muss herkommen.« Dann sagt er etwas, an das ich in den Jahren danach immer wieder denken sollte: »Das Militär hat bereits damit begonnen, die Macht zu übernehmen und seine Leute in hohe Ämter zu bringen. Aber wir werden nicht aufgeben, wir sind bereit, hier zu sterben.«

      In der Erinnerung wirken jene Revolutionstage auf dem Tahrir-Platz wie ein romantischer Traum, wie eine Illusion so grell, dass sie blind macht und später immer mehr verklärt wird. Aber diese Tage sind real. Sie zeigen einen kurzen Moment lang, was möglich ist, sobald die Leute das Gefühl haben, dass sie sich ihr Land endlich zurückholen können. Wenn ägyptische Christen auf dem Platz Messen zelebrieren, dann bilden Muslime zum Schutz eine Menschenkette um die Betenden. Und umgekehrt genauso. Freundschaften werden geschlossen zwischen Leuten, die sich sonst nie begegnet wären. Freiwillige räumen den Müll weg. Apotheker versorgen Menschen kostenlos mit Medikamenten.

      Der junge Lyriker Mostafa Ibrahim, damals Mitte 20, erzählt mir später, wie er während der Revolution in den Räumen des kleinen, unabhängigen Merit-Verlags unweit des Tahrir-Platzes übernachtete, zusammen mit Dutzenden anderen. »Wir schliefen auf Matratzen. Da drüben steht noch der Schrank, in dem wir alle unsere Sachen hatten«, er zeigt in eine Ecke des Raumes und lacht, »der Revolutionsschrank gewissermaßen. Mohamed Hashem, mein Verleger, hat Unmengen an Lebensmitteln und Decken herbeigeschafft. Wir halfen ihm, das alles zum Platz zu bringen. Wahrscheinlich hat er fast sein gesamtes Geld dafür ausgegeben.«

      Mostafa Ibrahim schrieb damals ein Gedicht, das mehr als hunderttausend Mal im Internet angeklickt wurde. Es heißt »Safinet Noh«, auf Deutsch »Arche Noah«. Damit ist der Tahrir-Platz während der Revolution gemeint, der damals 2011 gewissermaßen all jene aufnahm, die nach dem Untergang des Mubarak-Regimes ein neues Leben und ein neues Land aufbauen wollten:

      »O Volk das nicht länger verharrte / Nimmst das Recht in Deine Hände / O Heimat die uns keinen Platz bot / Wir sind es, die Dich nun aufnehmen / Das Blut ist von einer einzigen Farbe / kennt weder Knecht noch Herrn / Verratet Ihr das Blut des Märtyrers / Habt Ihr Euch morgen selber verraten.«

      Das klingt pathetisch, spiegelt aber genau das wider, was viele empfanden. Damals begegneten mir ständig Ägypterinnen und Ägypter, die sich zum ersten Mal im Leben nicht mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt und fremd im eigenen Land fühlten.

      Drei Tage später, am 11. Februar 2011, treffe ich abends kurz nach 17 Uhr am Präsidentenpalast im Stadtteil Heliopolis ein, wo sich rund 20 000 Demonstranten versammelt haben. Ich spreche mit Leuten, schaue mir das Treiben an, als plötzlich um 18.02 Uhr die Menschen unruhig werden. Langsam braust Jubel auf, der immer lauter wird. Eine junge Frau neben mir greift zum Handy und ruft eine Freundin an. »Was? Er ist zurückgetreten?«, schreit sie ins Telefon. »Mubarak ist nicht mehr Präsident? Ägypten, endlich ist Ägypten frei – nachdem uns dieser Verbrecher 30 Jahre lang fast erstickt hat!«

      Die rund zehn Kilometer zurück ins ARD-Studio unweit des Tahrir-Platzes muss ich laufen. Der Verkehr ist zusammengebrochen, auf allen Straßen feiern Leute. Aus einem Hotel bringen Kellner Tabletts voller Gläser mit Zitronensaft raus auf die Straße und verschenken ihn. Alle paar Meter klopft mir einer auf die Schulter oder umarmt mich. »Ich bin so froh, dass Mubarak endlich weg ist«, schwärmt eine Ägypterin, »ich erwarte, dass jetzt erstmal die Armee übernimmt und für etwas Ordnung sorgt.« Als ich gegen 23 Uhr im Studio eintreffe, schickt mir mein ägyptischer Freund ein Selfie. Es zeigt ihn auf einer Nil-Brücke, die zum Tahrir-Platz führt. Im Hintergrund ist mein Bürogebäude zu sehen, auf dem Dach die riesige Leuchtreklame einer Immobilienfirma mit dem Slogan: »Better home«. Unter das Foto schreibt er: »Jetzt ist Ägypten


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