Seidenstadt-Schweigen. Ulrike RenkЧитать онлайн книгу.
in Duisburg gesprochen. Die Leiche ist eindeutig ermordet worden. Eine Neun-Millimeter-Waffe, Schuss in den Hinterkopf, die Kugel steckte noch. Der Mann ist nur teilweise skelettiert, er war in eine mit Wachs beschichtete Plane eingehüllt und die Sandschicht, die wohl über ihn geschüttet worden war, hat ihn gut abgedeckt. Dadurch ist er ausgetrocknet und mumifiziert.«
»Das wird aber doch jetzt kein Fall werden, oder doch?« Sabine schüttelte den Kopf.
»Wir werden den Fall aktenkundig machen. Aber das war es auch schon. Heute nachzuforschen, wer den Mann in den Kriegswirren ermordet hat, ist schlicht unmöglich.«
»Und er ist definitiv schon so lange tot?«
»Ja, er trug die schwarze Uniform der Wehrmacht.« Altmann öffnete die Mappe und balancierte sie auf seinen Knien. »Die Rechtsmedizin schreibt in dem Fax: schwarze Uniform, rosa Paspelierung. Ein Zeichen dafür, dass er zur Panzerspähtruppe gehörte. Niemand würde Jahre später noch so herumlaufen. Er hatte Briefe dabei, die auch aus der Zeit stammen. Außerdem wurde er mit einer MP 40 erschossen. Alles Indizien. Er wurde neben dem Blindgänger gefunden und ich bezweifle, dass jemand dort freiwillig ein Loch buddelt und eine Leiche ablegt. Da das Gelände zum Zoo gehört, wäre es nicht unbemerkt geblieben, wenn die Leiche erst in letzter Zeit dort abgelegt worden wäre.«
»Und wie verfahren wir jetzt?«, fragte Sabine.
»Durch seine Marke und die Feldpostnummer kann er identifiziert werden. Die Unterlagen sind schon unterwegs zu den entsprechenden Stellen in München und Potsdam. Wir werden dann sehen, wer er war und ob es noch Angehörige oder Nachfahren gibt. Die werden informiert und können ihn beisetzen. Akte geschlossen, Fall beendet.«
»Wenn es nur immer so schnell ginge.« Alle lachten.
»Da nichts weiter anliegt, können wir die Besprechung beenden.« Fischer streckte sich. Durch das ungewohnte Schleppen der Kartons hatte er Muskelkater. »Und wenn heute Nacht nichts weiter passiert, bitte ich euch, auf meine Anwesenheit bei der Frühbesprechung zu verzichten. Morgen kommt der Umzugswagen … Ich bin natürlich telefonisch erreichbar, sollte etwas sein.«
Erleichtert verließen alle das kleine Büro. Obwohl der Raum nur morgens von der Sonne beschienen wurde und das Fenster weit geöffnet war, stand jetzt die Luft im Raum.
»Darf ich die Akte haben?«, fragte Fischer, als Altmann an ihm vorbeiging.
»Aber natürlich. Doch warum?«
»Die Details interessieren mich einfach. Wer weiß, ob ich Zeit habe, darin zu lesen, aber vornehmen kann ich es mir ja mal.«
Altmann nickte. »Ich wünsche Ihnen einen guten Umzug. Mein letzter ist Jahre her, aber ich erinnere mich noch an das Chaos. Fürchterlich.«
»Spaß macht es nicht, das stimmt. Aber meine neue Herberge ist wesentlich gemütlicher als das Wohnklo, in dem ich bisher gehaust habe.« Fischer wunderte sich über den freundlichen Ton des Staatsanwalts. In der Vergangenheit waren sie öfters aneinandergeraten.
»Und die nette Mitbewohnerin bekommen Sie obendrauf.« Altmann zwinkerte Fischer zu. »Schönen Gruß an die Kollegin.«
12. Kapitel
»Hast du viel Stress, Jürgen?« Sabine räumte die Gläser zusammen.
»Mit dem Umzug? Ich habe es mir schlimmer vorgestellt.« Er rieb sich nachdenklich über das Kinn. »Wo ist eigentlich Oliver? Auch krank?«
Sabine lachte. »Ja, aber nur heute. Der hat gestern einen über den Durst getrunken. Liebeskummer.«
»Oh je. Er hatte mir erzählt, dass es Streit gab.«
»Und jetzt ist es vorbei. Manchmal ist das so.« Sabine runzelte die Stirn.
Fischer sah sie nachdenklich an. Etwas anderes lag ihm noch auf der Seele, aber er wusste nicht, wie er anfangen sollte. Die beiden hatten ein sehr enges, freundschaftliches Verhältnis zueinander, seit Fischer sie vor zwei Jahren aus den Händen eines Entführers befreit hatte. Dieser Mann, ein Kollege, war auch für den Tod ihres Lebensgefährten verantwortlich. Durch die brutale Gewalttat verlor Sabine ihr Baby. Seitdem war Jürgen eine Art väterlicher Freund für sie.
Ob ihm das aber das Recht gab, einige Fragen zu stellen, wusste er nicht sicher.
»Hast du irgendetwas, Jürgen?«
»Nun ja, ich wollte dich etwas fragen.« Er räusperte sich.
Sabine warf einen Blick auf ihre Uhr. »Lass uns zusammen einen Kaffee trinken. Drüben im BarCelona.«
Sie hatten Glück, dass gerade einer der Tische auf dem Platz vor dem Café frei wurde. Fischer nahm die Zigaretten hervor, hielt sie in der Hand, steckte sie dann wieder in die Tasche.
»Na, wie klappt es mit dem weniger Rauchen?« Sabine lächelte.
»Es geht so.« Er stockte.
»Komm, spucke es aus. Was hast du?«
»Es geht um Martina. Ist ein wenig kompliziert. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das Recht habe, dich das zu fragen.«
»Das weiß ich auch erst dann, wenn du fragst.«
»Es ist alles nicht so ganz einfach für sie. Ich meine, wir wollten beide zusammenziehen, das war klar. Meine Wohnung war natürlich absolut indiskutabel.«
»Ihr habt euch doch ein Haus gemietet?«
»Ja, in Traar. Ich wollte nicht in ihr Haus ziehen. Wegen ihrem verstorbenen Mann.«
Sabine senkte den Kopf und starrte auf ihre Hände.
»Sie hat ihren Partner verloren. So wie du.« Nun nahm Fischer doch eine Zigarette, steckte sie an. »An ihrem Haus hängen alle ihre Erinnerungen. Dort waren sie glücklich. Ich konnte nicht dahin ziehen. Martina hatte mir angeboten alles zu ändern, zu renovieren, zu streichen. Ich konnte es trotzdem nicht. Deshalb haben wir ein neues Haus gesucht. Sie nimmt viele Möbel mit, ich keine. Das stört mich nicht.« Er zog an der Zigarette, inhalierte tief.
»Was stört dich dann?«
Fischer überlegte. »Stören ist das falsche Wort. Ich möchte einen Neuanfang. Ich habe mit Susanne abgeschlossen. Aber Susanne lebt noch. In Münster.«
»Und ihr Mann lebt nur noch in ihren Erinnerungen.« Sabine nickte. »Gibst du mir eine?«
Wortlos schob Fischer die Zigarettenschachtel über den Tisch, gab ihr Feuer.
»Es ist schwer, Jürgen. Das weißt du.«
»Ich kann es nur ahnen. Erkläre es mir.«
»Ich finde es gut, dass ihr euch zusammen etwas Neues gesucht habt. So kann sein Geist euch nicht heimsuchen.« Sabine lachte leise, zog an der Zigarette, hustete. »Scheiße, ich sollte es lassen. Es schmeckt noch nicht einmal.« Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.
»Sein Geist. Ja, das Gefühl habe ich auch. Irgendwie ist der da. Was mach ich dagegen?«
»Klingt ein bisschen sehr esoterisch für zwei Menschen wie uns.« Wieder lachte Sabine leise. »Aber es ist so. Wenn jemand stirbt, stirbt er nie so ganz. Wir bewahren ihn in unseren Erinnerungen.« Sie holte tief Luft. »Erst wenn wir ihn vergessen, ist er wirklich tot.«
Fischer kniff die Augen zusammen, strich mit der flachen Hand über seine Haare. Er meinte, es knistern zu hören.
»Aber das Leben geht weiter, Jürgen. Ein Stück von einem selbst stirbt mit, ein anderes Stück lebt mit der Erinnerung weiter.«
»Und wo ist Platz?«
»Platz für einen anderen? Das kann ich dir nun wirklich nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Aber ich denke, einen neuen Wohnort suchen, neu anzufangen, das ist schon der richtige Weg.«
»Was ist mit dir, Sabine?«
»In meinem Leben ist noch niemand aufgetaucht, der Raum brauchte.«
»Martina