Seidenstadt-Schweigen. Ulrike RenkЧитать онлайн книгу.
hatte seine gerade aufgegeben.
Als er auf der Straße stand, klingelte sein Handy erneut. Sabine Thelens Dienstnummer erschien auf dem Display.
»Jürgen? Ich weiß, du hast Urlaub.« Sie hörte sich verlegen an.
»Stimmt.« Fischer fuhr sich durch das raspelkurze Haar.
»Zwei Dinge.« Sabine räusperte sich, zögerte dann.
»Ja?« Jürgen wurde ungeduldig. Er wollte nach Traar, wollte zu Martina, überlegte, wo er einen großen Strauß Blumen kaufen könnte.
»Zum einen hat ein Kollege von dir aus Münster angerufen. Irgendein Hansi Soundso … er wollte dich persönlich sprechen.«
»Hans-Jürgen Müller? PHK Schupo Münster?«
»Ja, ich glaube schon. Dienstgruppenleiter der Berta?« Es war eine Frage, keine Antwort.
»Ein alter Freund von mir. Was wollte er?«
»Keine Ahnung, das wollte er persönlich klären.«
»Er hat meine Handynummer.« Jürgen wurde immer ungeduldiger.
»Mag ja sein, er hat trotzdem hier angerufen und nach dir gefragt. Ich überbringe nur Nachrichten.« Sie schluckte hörbar.
»Was ist noch? Du hast von zwei Dingen gesprochen.«
»Nun ja.« Wieder zögerte Sabine. »Da ist noch was, richtig.« Sie hielt inne, versuchte die passende Formulierung zu finden.
»Spucke es aus, Mädchen.«
»Es geht um Guido. Er ist verunglückt.«
»Was?«
»Er hatte einen Autounfall und ist in der Uni-Klinik in Köln.«
»Oh mein Gott!«
Beide schwiegen. Jürgen vor Entsetzen und Sabine, weil sie nicht wusste, wie sie fortfahren sollte.
»Wie geht es ihm?«
»Ich habe keine Ahnung. Vor einer Stunde war er noch im OP.«
Fischer suchte nach seinen Zigaretten. Er hatte die letzte aus der Schachtel vorhin geraucht, fiel ihm ein.
»Gibt es irgendetwas, was wir tun können? Weiß es Sigrid schon?«
»Ja, sie weiß es, natürlich. Tun … nun ja … ich weiß, du hast Urlaub …« Sabine stockte.
»Urlaub hin oder her, wenn ich etwas tun kann, dann mache ich das.«
»Du bist als seine Vertretung eingetragen, Jürgen.«
Das hatte er vergessen.
»Stimmt.« Der Drang nach einer Zigarette wurde immer größer. Fischer stieß die Luft aus. »Und das heißt? Ich habe Urlaub, Sabine.« Die letzten Worte hätte er am liebsten wieder zurückgenommen, als ihm klar wurde, weshalb seine Anwesenheit gefordert wurde. »Was ist mit Roland?«
»Der leidet unter Montezumas Rache. Ein heftiger Magen-Darm-Virus mit Fieber scheint umzugehen. Fast die Hälfte der Belegschaft ist schon krank.«
Fischer schnaubte. »Na gut. Kann man nicht ändern. Liegt etwas an?«
»Nicht wirklich. Nur der Tote im Zoo. Altmann will deswegen zur Abendbesprechung kommen.«
»Der Tote im Zoo? Doch nicht etwa der tote Soldat aus dem Krieg? Eine über 60 Jahre alte Leiche? Und Altmann will ein Verfahren einleiten oder was? Wissen wir denn, wer es war?«
»Ich hab keine Ahnung, weshalb der Staatsanwalt mit uns reden will, aber es geht um den Soldaten, ja.« Sabines Stimme war ganz hoch und dünn. Sie tat Fischer auf einmal leid. Schließlich konnte sie nichts dafür.
»Halb sechs, wie immer?«, fragte er und bemühte sich sachlich zu klingen.
»Hmm.« Sabine brummte nur.
Fischer beendete das Gespräch und schaute auf die Uhr. Es war ein Uhr mittags.
Er hatte noch jede Menge Zeit bis zur Besprechung. Die Straße herunter neben dem Bari-Videoverleih war ein Kiosk. Dort hatte er schon oft Zigaretten geholt. Jetzt war es vermutlich das letzte Mal.
Dann ging er zu seinem Wagen, der bis oben hin vollgepackt war, setzte sich hinein und nahm wieder das Handy hervor. Er wählte Ermters Nummer. Es klingelte bestimmt 15-mal, bevor endlich der Anrufbeantworter ansprang. Fischer legte auf. Natürlich, Sigrid, die Frau des Polizeichefs, war in Köln bei ihrem Mann.
11. Kapitel
Um kurz nach fünf machte Fischer sich auf den Weg zum Präsidium.
Er hatte ein langes Gespräch mit Martina geführt. Sie hatte sich noch mal entschuldigt.
Leise fluchend stieg er die Steintreppe in den vierten Stock hoch. Gestern erst hatte er sich in den Urlaub verabschiedet und heute war er wieder da. Wenn er mit Martina auf die Malediven geflogen wäre, hätten sie ihn auch nicht erreichen können.
Die Tür des Besprechungszimmers stand auf. Die pralle Sonne beschien den Raum und trotz weit aufgerissener Fenster war es so heiß wie in der Sauna. Zwei Mechaniker schraubten an den Rollladenkästen.
Sabine Thelen trug einen Stuhl aus dem Raum.
»Jürgen, schön, dass du da bist.« Sie biss sich auf die Lippe, grinste dann schief. »Wir treffen uns in meinem Büro.«
»Was ist denn mit dem Rollladen?«
»Kaputt. Ich hoffe, sie bekommen es schnell in den Griff oder das Wetter schlägt um. Ist ja kaum auszuhalten da drin. Mein Büro liegt im Schatten.«
»Dein Büro ist winzig.«
»Richtig, aber wir sind ja auch nur wenige. Dieter hat sich gerade krankgemeldet.«
»Schon wieder?« Sobald irgendjemand der Kollegen krank war, konnte man davon ausgehen, dass Dieter es auch bekam.
»Ja, allerdings bildet er es sich diesmal nicht ein. Es hat ihn hier erwischt und wir waren froh, als er es nach einer Stunde endlich aus dem WC schaffte.«
»Erspare mir die Details.«
Fischer nahm einen der unbequemen Plastikstühle und folgte Sabine in ihr Büro. Sie schob die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zusammen und jemand stellte zwei Flaschen Wasser und ein paar Gläser hin.
Werner Altmann saß in der Ecke. Er hatte den Schlips abgenommen und die Ärmel seines Hemdes aufgerollt.
»Sind alle da?«
»Alle, die den heutigen Tag überstanden haben.« Sabine lachte leise.
»Fischer, es tut mir leid um Ihren Urlaub.«
»Ich dachte, ich wäre nur pro forma hier.« Fischer nahm sich ein Glas Wasser.
»Solange nichts weiter los ist, ja. Hoffen wir, dass es so bleibt.« Altmann schlug die Beine übereinander. »Ich habe vorhin mit Sigrid telefoniert. Guido hat die Operation überstanden, aber es ist immer noch kritisch.«
»Was ist denn überhaupt passiert?«, fragte Fischer.
»Ein Lastwagen ist auf Autos aufgefahren, die an einer Ampel standen. Der Fahrer war wohl eingeschlafen und hatte auch Alkohol im Blut. Es gab einen Toten und mehrere Schwerverletzte. Einer davon ist Guido. Er hat eine Beckenfraktur und einen Schädelbasisbruch. Die Milz ist gerissen und musste entfernt werden.«
»Ach du Scheiße!«
»Es wird eine Weile dauern, bis er wieder arbeiten kann.«
»Können wir irgendetwas für die Familie tun?«, fragte Fischer.
»Im Moment wohl nicht. Julia, seine Tochter, wohnt momentan bei uns. Sie ist mit meiner Tochter befreundet. Nächste Woche wissen wir sicherlich mehr und wenn Ermters Familie Unterstützung braucht, wird sie die von uns bekommen.«
Da sie sich alle wie eine große