Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric BalmoreЧитать онлайн книгу.
auch nicht mit dir essen gehen oder sonst etwas tun. Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt, Linda! Du hast deine Welt, du hast Holzmann. So wende dich an ihn und lass mich in Frieden! Das ist meine Bitte an dich. Und wenn du sie erfüllst, beweist du mir mehr Freundschaft und Verständnis als durch dauernde Anrufe.“
Eine Weile war es ganz still, und er hatte schon den Verdacht, sie hätte aufgelegt. Es wäre ihm recht gewesen. Aber nichts dergleichen war der Fall.
Er hörte ein merkwürdiges Geräusch, als schluchze sie. Und dann sagte sie, und es klang ihm, als spräche sie unter Tränen: „Mit Jürgen ist es doch aus. Dieser gemeine Kerl. Er hat sich benommen wie ein Schuft ... wie ein hundsgemeiner Schuft ... es tut mir ja so weh! Und ich wollte mit dir über alles sprechen. Ich wollte ...“
Ihm fiel ein, dass die Telefonistin mithören könnte. Also schnitt er ihr das Wort ab und sagte:
„Es ist vielleicht wirklich besser, wenn wir uns dann persönlich über alles unterhalten.“
Er hatte es ganz anders gemeint, als sie es verstand. In ihr regte sich wohl Hoffnung, alles das ungeschehen zu machen, was geschehen war. Ihr Stimme klang befreit, als sie enthusiastisch rief: „Oh, ich freue mich darauf! Ich danke dir! Mein lieber Willi, ich danke dir so sehr! Du hast ja immer noch einen festen, großen Platz in meinem Herzen, weißt du das eigentlich?“
O Gott, dachte er. Jetzt kommt sie mit dieser Platte. Holzmann muss sie ganz schön erwischt haben.
„Ich habe leider zu tun. Wann kommst du?“
„Am Donnerstag.“
„Und was hast du hier zu erledigen?“, wollte er wissen, weil er den Verdacht hatte, dass sie in Wirklichkeit nur zu ihm wollte.
„Eine Freundin besuchen. Aber das ist nicht so wichtig. Wenn du willst, habe ich die drei Tage, die ich dort bin, immer Zeit für dich.“
Nur das nicht, sagte er sich insgeheim und antwortete:
„Meine Zeit ist knapp. Das habe ich dir vorhin gesagt. Wir werden miteinander sprechen, und dabei bleibt es. Sag mir genau, wann du da bist, und ich will sehen, dass ich dafür Zeit habe. Eine Stunde höchstens. Mehr geht nicht.“
Sie widersprach nicht. Er fand es zwar ungewöhnlich, denn sie konnte über die kleinsten Kleinigkeiten diskutieren und alles aufbauschen. Aber diesmal tat sie das nicht. Sie begnügte sich mit seiner Antwort und sagte:
„Also am Donnerstagmorgen. Ich rufe dich vom Bahnhof an. Ich komme mit dem Zug. Es ist einfacher. Ein Zimmer besorge ich mir selbst. Du brauchst dich da um nichts zu kümmern.“
Ihm lag es auf der Zunge, zu sagen, dass er das sowieso nicht getan hätte. Aber er schwieg.
Von ihr aus hätte das Gespräch noch länger gedauert. Aber schließlich wies er sie noch einmal darauf hin, dass er Wichtiges zu erledigen habe, verabschiedete sich kühl und knapp und legte auf.
Anschließend schlug er die Hände vors Gesicht und stützte den Kopf auf die Arme. „Schon wieder Linda. Mein Gott, werde ich sie niemals los? Und jetzt auch noch ihr Desaster mit Holzmann. Jetzt kommt sie wieder bei mir an. Wie werde ich sie denn endgültig los?“ Und er musste an die Beurteilung eines Studienkollegen denken, damals, als Linda und er sich gerade kennengelernt hatten. Damals war nicht abzusehen gewesen, dass er sie heiraten würde. Und der Studienkollege hatte Linda mit einem einzigen Satz beurteilt. „Eine Filzlaus, lieber Wieland, die du nie mehr los wirst.“
Er muss recht gehabt haben, dachte Wieland Graf. Er muss wirklich recht gehabt haben ...
2
Sie trug einen feschen weißen Blouson, darunter ein himmelblaues Hemd und weiße legere Hosen. Ihre Beine steckten in modischen, hellgrauen Stiefeletten. Ihr blondes Haar trug sie offen bis zu den Schultern. Unter dem Arm hatte sie eine College-Mappe geklemmt und ging mit flottem, ausgreifendem Schritt auf das Portal der TANNENHOFKLINIK zu.
Als sie den Park betreten hatte, blieb sie kurz stehen und schaute sich die Gebäude, aber auch den Park selbst an.
Die alten hohen Tannen beeindruckten sie. Das Gebäude wirkte modern und sachlich. Der alte Bau linker Hand verriet etwas von dem einst hochherrschaftlichen Gebäudekomplex, der vor zehn Jahren bis auf diesen alten Bau abgerissen und durch die moderne Klinik ersetzt worden war. Aber alles wirkte gediegen und vermittelte mit seiner Ruhe innerhalb der Mauern etwas von Abgeschiedenheit mitten in einer großen Stadt.
Die Amseln jubilierten in den Zweigen der Tannen, und das Rauschen des Springbrunnens unweit vom Eingang des Hauptgebäudes hatte einen nervenberuhigenden Einfluss auf Doris Fenzing.
Sie ging langsam weiter, und als sie das Haus betrat, war sie verblüfft über das in seiner Modernität doch kostbar wirkende Foyer. Links saß ein grauhaariger bullig wirkender Mann hinter der Glasscheibe der Information. Sie fragte ihn nach Professor Winter, nannte ihren Namen, er telefonierte nach oben, und wenig später sagte er in brummiger Art, sie solle zum ersten Stock hinauf. Linker Hand, am Ende des Flurs läge das Zimmer des Herrn Chefarztes.
Die respektvolle Art, wie er von seinem Chef sprach, bedeutete Doris nichts Neues. So war es an allen Krankenhäusern.
Sie nahm die Treppe und verzichtete auf den Fahrstuhl für eine einzige Etage. Sie begegnete Schwestern, die hier keine Hauben trugen wie in der Klinik, aus der Doris kam. Alle wirkten freundlich und gar nicht abgearbeitet.
Freundlich war überhaupt die ganze Atmosphäre des Hauses, wie Doris fand. Dennoch war sie gespannt auf den Chef. Irgendwie hatte sie die Vorstellung, einen älteren Herrn anzutreffen. Als sie schließlich vor Professor Winter stand, zeigte sie sich ehrlich überrascht. Er war ein Mann Anfang vierzig, sehr gut aussehend, wie sie fand, und, wie sie beiläufig am Ehering feststellte, verheiratet. Nicht, dass dies für sie etwas bedeutet hätte oder er ihr unverheiratet lieber gewesen wäre. Ganz im Gegenteil.
Er empfing sie freundlich, bat sie Platz zu nehmen und sagte:
„Ich werde noch Ihren direkten Vorgesetzten, falls Sie diesen Posten übernehmen sollten, hinzuziehen. Es ist Doktor Wieland Graf, unser Internist im Hause.“
Von ihrem Chef wusste sie, dass Professor Winter einen Ruf mit seiner Klinik, aber auch als hervorragender Gynäkologe hatte. Nur den Mann selbst sah sie nun zum ersten Mal und fand ihn sehr sympathisch. Und schließlich kam Dr. Wieland Graf.
Im ersten Augenblick sah sie nur den Mann in ihm, nicht den Arzt. Ein Mann, der ihr gefiel. Aber das löste in ihr Abwehrreaktionen aus. Sie hatte sich geschworen, nie mehr ein Bündnis mit einem Arzt einzugehen. Das Dilemma, das sie hinter sich hatte, schreckte sie vor allem zurück, was Männer betraf. Sie musste mit ihnen arbeiten, und dazu war sie bereit. Aber darüber hinaus sah sie sich noch nicht dazu imstande. Dass es Dr. Wieland Graf mit den Frauen aus dem gleichen Grunde so erging wie ihr mit den Männern, ahnte sie nicht einmal. Aber es erleichterte sie, dass er sie nur beiläufig musterte, knapp begrüßte und dann auf Winters Aufforderung hin ebenfalls Platz nahm. Sie saßen etwa eine Armlänge auseinander, der Internist und sie, seine zukünftige Sprechstundenhilfe und rechte Hand.
Winter sagte gerade, dass er sie erst einmal unter dem Wust von Bewerbungen ausgesucht habe, um ein Vorstellungsgespräch zu führen. Er habe sich erkundigt und sehr gute Urteile über sie erhalten. Sie werde ihm das hoffentlich nicht übelnehmen.
Wie geistesabwesend schüttelte sie nur den Kopf, hörte nur mit halbem Ohr zu und blickte immer wieder kurz zu Wieland Graf hin. Der wirkte völlig unbeteiligt, hatte die Beine übereinandergeschlagen, wippte mit dem oberen Fuß und wirkte gelangweilt.
Dass er sich so gar nicht für sie interessierte und Winter reden ließ, ohne eine Zwischenbemerkung zu machen oder eine Frage zu stellen, war ihr nur recht.
Schließlich lancierte Winter das Gespräch aber in eine Richtung, wo sich Wieland Graf am Gespräch beteiligen musste, ob er nun wollte oder nicht.
Aber Graf entschied sich, nur sehr wenige das Fach betreffende Fragen zu stellen, und die beantwortete Doris ebenso knapp wie präzise.
Durch