Tod in Amsterdam. Ben KossekЧитать онлайн книгу.
Als sie wenig später mit ihrem Dienstwagen auf das Gelände der Metallhandel Stoll AG einbogen, hatten beide das Gefühl, dass dies wohl kein gewöhnlicher Morgen werden würde. Zumindest regnete es im Augenblick nicht mehr, was die Kollegen der Spurensicherung wohlwollend zur Kenntnis genommen haben dürften. Die erfolgreiche Sicherung von Spuren an einem Tatort im Freien war wesentlich vom Wetter abhängig. Bei Regen waren viele Spuren nicht mehr erkennbar oder zumindest unbrauchbar.
Vor einem flachen Gebäudekomplex gleich neben der Firmeneinfahrt standen mehrere Polizeifahrzeuge. Auch ein Notarztwagen war vor Ort, in dem ein Mann mit einem dunkelblauen Overall saß. Die beiden Kommissare stiegen aus und gingen auf zwei Polizeibeamte von der Streife zu, die gerade vor dem Eingang des Gebäudes standen.
„Guten Morgen. Hauptkommissar Berger, mein Kollege Jan Scheuer, Mordkommission. Wo befindet sich die Leiche? Dort entlang?“ Alex Berger zeigte mit seinem Dienstausweis nach links in die Richtung, wo er einige Beamte damit beschäftigt sah, etwas sicherzustellen, dass sie offenbar dort auf dem Boden gefunden hatten.
„Ja, und dann gleich nochmal nach links“, erwiderte einer der Beamten.
Berger und Scheuer folgten der angegebenen Richtung und schlüpften unter dem rotweißen Absperrband hindurch, welches den Bereich des Tatorts kennzeichnete. Die Kollegen der Spurensicherung untersuchten gerade mit der für sie unerlässlichen Sorgfalt eine vor einem Müllcontainer liegende Leiche und deren näheres Umfeld.
„Guten Morgen, Köster, alter Schnüffler. Was haben wir?“ fragte Berger etwas unlustig, während er sich das nähere Umfeld aufmerksam ansah.
Einer der Männer im weißen Overall der Spurensicherung drehte sich zu ihnen um. Arndt Köster war ein erfahrener Spezialist auf dem Gebiet der Rechtsmedizin. Er blickte fast etwas mitleidig auf den am Boden liegenden Toten. Ohne auf die Nettigkeiten des Kollegen Berger einzugehen, begann er seinen kurzen Bericht.
„Männliche Leiche, etwa Mitte bis Ende dreißig. Sieht eindeutig nach einer Hinrichtung aus“, antwortete er, ohne auf die erstaunten Gesichter der beiden Kommissare zu achten. „Ein aufgesetzter Schuss von oben in den Hinterkopf. Die Kugel trat unterhalb des Kinns wieder aus, mit relativ kleiner Austrittswunde. Außerdem Blutspuren an der Leiche selbst und auch hier auf dem Boden, des Weiteren einige Blutspritzer außen am Container. So wie es aussieht, wurde er hier an Ort und Stelle in knieender Haltung erschossen und dann einfach in den Container geworfen. Die haben sich nicht viel Mühe mit ihm gemacht. Das Projektil suchen wir gerade noch. Einer der Arbeiter hat ihn heute Morgen entdeckt, als er etwas in den Container werfen wollte.“ Und nach einer kurzen Pause: „Es gibt wohl schönere Arten zu Sterben.“
„Und wo ist dieser Arbeiter jetzt?“ fragte Berger nach.
„Sitzt vorne beim Hauptgebäude im Rettungswagen.“ Köster deutete mit dem Daumen nach hinten über die Schulter, um die ungefähre Richtung vorzugeben.
„Gut, den schau ich mir mal an“, versprach Jan Scheuer kurz entschlossen und ging den Weg zurück zum Rettungsfahrzeug.
Etwas unschlüssig wanderte Bergers Blick über das vor ihm liegende Gelände. Es war ein auf den ersten Blick unüberschaubares Chaos von Metallabfällen, die man sortiert zu Bergen aufgetürmt hatte, dazwischen Container, Paletten, und ein paar Kabeltrommeln, die sich über das gesamte Areal verteilten. Einige niedrige Betonmauern waren dazu gedacht, das Gelände in verschiedene Bereiche zu unterteilen. Berger fragte sich, warum der Mann ausgerechnet hier erschossen und in einen Container geworfen wurde. Hatten die Täter zum Tatort einen bestimmten Bezug oder war er rein zufällig ausgewählt worden? Für das Gelände als solches sprach, dass es ziemlich unübersichtlich und abgelegen war. Hier musste man nicht damit rechnen, dass des Nachts jemand rein zufällig vorbeikommen.
„Hatte der Tote etwas bei sich, das uns helfen könnte, ihn zu identifizieren?“ brummte Berger, dessen anfangs noch einigermaßen erträgliche Laune sich nun doch langsam aber sicher verschlechterte. Er überlegte, dass ein heißer Kaffee jetzt keine üble Idee wäre.
„Nein, Fehlanzeige. Keine Brieftasche, kein Handy, nur die Klamotten, die er auf dem Leib trägt. Die sind allerdings nicht von der Stange, alles Markenware der gehobenen Preisklasse. Alleine diese Schuhe, sind von Salvatore Ferragamo“, Köster verdrehte die Augen, „im Handel nicht unter achthundert Euro zu bekommen. Und von seinem ebenso teuren Anzug fehlt uns das Jackett.“
„Das Jackett fehlt?“ Alex Berger blickte sich verwundert um, als könne er es hier irgendwo finden.
„Genauso. Es fehlt.“
„Ihr habt alles abgesucht?“
„Natürlich. Was denkst Du?“ Köster bedachte Berger mit einem Blick, als hätte der ihn gerade gefragt, ob er in seiner Freizeit Damenunterwäsche trage.
„Seltsam. Gibt‘s auffallende Verletzungen an seinem Körper?“
„Ja. Er hat vor seinem Tod mehrere heftige Schläge ins Gesicht abbekommen, die Prellungen belegen das. Genaueres aber erst nach der Obduktion. Du weißt ja, Alex, so manches Mal kommen bei einer Obduktion noch die merkwürdigsten Sachen zum Vorschein. Wäre nicht das erste Mal.“
Das stimmte zweifellos, da musste er dem Kollegen Köster Recht geben. Er würde nie vergessen, wie Arndt Köster bei der Obduktion einer Frauenleiche einen kleinen Wundhaken zum Vorschein brachte. Der war offenbar bei einer zuvor stattgefundenen OP der Frau nicht einmal vermisst worden und hatte über einen längeren Zeitraum unbemerkt in ihrem Körper für stetiges Unbehagen gesorgt. Die Frau hatte sich immer wieder über undefinierbare Schmerzen im Bauchbereich beklagt, jedoch wurde dem seitens der behandelnden Ärzte keine besondere Beachtung geschenkt.
„Könnt ihr schon etwas über den Todeszeitpunkt sagen?“ Mit dieser Frage versuchte Alex Berger, seine Gedanken wieder in die richtigen Bahnen zu lenken und sich auf den vorliegenden Fall zu konzentrieren.
„Der liegt mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen 23 Uhr 40 und 2 Uhr morgens. Aber auch da genaueres erst nach der Obduktion“, erklärte Arndt Köster. Berger stutzte erneut.
„23 Uhr 40? Wie kommt ihr auf diese Uhrzeit? Gibt es dafür etwa einen konkreten Anhaltspunkt?“
„Ja. Die Reifenspuren, die wir sichergestellt haben, sind erst nach dem starken Regen heute Nacht entstanden …“
„Ihr habt Reifenspuren?“ platzte Berger in die Ausführungen des Kollegen und war plötzlich auch ganz ohne Kaffee hellwach. „Nun, das ist doch schon mal ein verdammt guter Anfang.“
Berger wusste, dass die Reifenspur eines jeden Fahrzeugs ein einzigartiges Muster aufwies, ähnlich wie bei einem Schuhabdruck. Durch die Art, wie eine Person sich beim Gehen bewegt, nutzen sich die Schuhsohlen auf eine unverwechselbare Weise ab. So konnte man zwei verschiedene Personen, die exakt die gleiche Schuhmarke und Schuhgröße trugen, anhand ihres Gehverhaltens am Schuhabdrucks klar voneinander unterscheiden. Ebenso verhält es sich bei Autoreifen. Zwei Fahrzeuge gleichen Fabrikats mit identischer Bereifung können verschiedene Reifenspuren durch unterschiedliche Abnutzung des Profils hinterlassen, die wiederum bedingt ist durch eine ganze Reihe von weiteren Faktoren.
„Allerdings, haben wir, Kollege. Und jetzt wird‘s interessant.“ Arndt Köster grinste zufrieden. „Wir haben einen einwandfreien und vollständigen Reifenabdruck dort vorne direkt hinter der Absperrung gefunden. Das Gelände ist zwar durchgehend asphaltiert, jedoch hat sich in diesem Bereich eine dicke Schicht Erde angesammelt, die sich dort möglicherweise durch verschmutzte LKW-Reifen in Verbindung mit dem starken Regen abgelagert hat. In der nassen Erde fanden die Jungs den gut ausgeprägten Abdruck, und zwar nicht vom Regen verwischt. Demnach ist er erst entstanden, nachdem der Regen aufgehört hat. Das war so gegen 23 Uhr 40. Soviel können wir schon mit ziemlicher Gewissheit sagen. Was den Abdruck selbst angeht, weist er unverwechselbare Merkmale im Profil auf. Das könnte uns entscheidend weiterhelfen. Wir können zwar noch nicht genau sagen, zu welchem Fahrzeugtyp er gehört. Aber spätestens heute Nachmittag wissen wir es.“
Alex Berger blickte sich nach allen Richtungen um. „Könnte der auch von einem anderen Fahrzeug stammen, vielleicht von einem Privatfahrzeug der Mitarbeiter