Der Tempel der Drachen. Frank RehfeldЧитать онлайн книгу.
jedoch wartet eine Aufgabe auf dich, die noch viel bedeutungsvoller ist", sprach Maziroc weiter. "Und sie ist gefährlich. Es hätte keinen Sinn, dir etwas vorzumachen." Er deutete auf die Mauer vor ihnen. "Hinter dieser Wand liegt eine Kammer. Charalon selbst, der Gründer unseres Ordens, versiegelte sie vor langer Zeit, während des großen Krieges gegen die Damonen, damit kein Unbefugter sie betreten kann, denn sie birgt eine Kostbarkeit von unschätzbarem Wert. Anschließend machte er sich auf, um die Dämmerschmiede zu erforschen, doch er kehrte niemals von dort zurück. Die Götter bestraften ihn hart für seinen Frevel und verwehrten ihm die Rückkehr nach Arcana. Deshalb rief er zwölf seiner engsten Vertrauten zu sich und gründete den Inneren Zirkel. Sogar diese zwölf sind sich untereinander fremd und erscheinen zu ihren Zusammenkünften in den Masken von Tieren, sodass es niemals geheime Absprachen oder gar Intrigen gegeneinander geben kann."
"Aber wenn niemand sie kennt, wie können sie dann Aufträge erteilen?", wandte Aylon ein.
"Charalon schickt einen Ssiraq, ein künstliches, seelenloses Geschöpf aus Eis, das nur zu diesem Zweck geschaffen wird und sich anschließend wieder in Nichts auflöst. Wichtig ist jetzt nur, dass Charalon die Dämmerschmiede nicht mehr verlassen und so auch nie das Siegel entfernen konnte. Nicht einmal die Mächtigsten unseres Ordens vermochten es zu brechen. Du hingegen ..."
"Ich?", stieß Aylon ungläubig hervor. "Wie sollte ich etwas schaffen, was nicht einmal du kannst?"
"Charalon glaubt, dass es dir gelingen könnte. Er gab mir durch den Inneren Zirkel den Auftrag, dich hierherzubringen. Zwar wirst auch du das Siegel nicht brechen können, es aber vielleicht umgehen, denn es reagiert auf mentale Impulse. Selbst die eines normalen Menschen wären zu stark. Bei dir jedoch besteht die Chance, dass es dich überhaupt nicht wahrnimmt."
"Und ... wenn doch?"
Maziroc zögerte mit der Antwort. "Dann wirst du sterben. Ich sagte ja, dass es nicht ungefährlich ist. Die Entscheidung, ob du es wagen willst, liegt allein bei dir. Ich werde dir weder dazu raten, noch dich davon abzubringen versuchen."
Aylon schluckte schwer. "Was befindet sich denn überhaupt in der Kammer, das so wertvoll sein soll?", erkundigte er sich.
"Charalons Reif, ein Skiil, dem gewaltige Kräfte innewohnen. Es ist mächtiger als alle Runen, Amulette und Kristalle, die ich dir je vererben könnte. Wenn es dir gelingt, den Reif zu holen, so gehört er gemäß Charalons Willen dir."
Aylon senkte den Kopf. Widersprüchliche Empfinden stritten in seinem Innern. Erst Skiils verliehen einem Magier besondere Fähigkeiten, doch es gab nur eine begrenzte Zahl von ihnen, und die meisten besaßen nur eine geringe Kraft. Sie wurden sorgsam gehütet und von den Eltern auf ihre Kinder vererbt. Solange er aber nicht einmal wusste, wer seine Eltern waren, ob sie noch lebten oder ihm etwas hinterlassen hatten, war seine Chance gering, jemals eines zu erhalten, denn Maziroc, der mehrere derartige Kleinode besaß und sie ihm möglicherweise vererben würde, war zwar alt, doch das hatte nicht viel zu besagen. Nicht umsonst war er ein Magier, und allem Anschein nach besaß er ein Skiil, das ihn vor dem Altern schützte.
Umso aufgeregter war Aylon aufgrund der sich ihm nun überraschend bietenden Aussicht, schon jetzt nicht nur irgendein Skiil von geringerer Macht zu bekommen, sondern sogar eines, das einst dem legendären Charalon gehört hatte.
"Ich gehe", sagte Aylon er nach nur kurzem Zögern. "Sag mir, was ich zu tun habe."
Mit keiner Reaktion gab Maziroc zu erkennen, wie er die Entscheidung aufnahm. "Du brauchst nur durch diese Wand zu treten."
"Aber sie besteht aus massivem Stein!"
"Das scheint nur so. Geh einfach hindurch. Wenn es dir gelingt, wirst du im Inneren der Kammer eine Schatulle sehen. Öffne sie und nimm ohne zu zögern den Reif. Streif ihn über dein Handgelenk, und kehr so schnell wie möglich zurück."
Zweifelnd trat Aylon bis dicht vor die Mauer. Er atmete noch einmal tief durch, schloss dann die Augen und tat einen beherzten Schritt nach vorne. Das Gefühl war ähnlich wie beim Betreten der verbotenen Zone. Erneut verspürte er ein Kribbeln und meinte, in einen mit brodelnder Schwärze angefüllten Schacht zu stürzen, doch auch diesmal verging das Schwindelgefühl so schnell, wie es gekommen war.
Als er die Augen wieder öffnete, befand er sich innerhalb der Kammer. Erleichterung überwältigte ihn, gepaart mit einem wilden Triumphgefühl. Er war durch das Siegel gegangen, und er lebte noch.
Die Kammer war klein und bis auf einen roh zusammengezimmerten Tisch leer. Darauf stand die Schatulle, von der Maziroc gesprochen hatte. Es handelte sich um ein schlichtes Holzkästchen ohne die geringste Verzierung oder irgendetwas, das ihrem Inhalt angemessen schien. Mühelos klappte Aylon den Deckel auf. Der Behälter war mit rotem Samt ausgeschlagen, auf dem der Reif lag. Fast war Aylon bei seinem Anblick ein wenig enttäuscht. Der Reif bestand aus Gold, und in seine Oberfläche waren ihm unbekannte, vielfach ineinander verschlungene Runenzeichen eingraviert, ansonsten sah er jedoch wie ein ganz gewöhnliches Schmuckstück aus.
Wie befohlen nahm Aylon ihn an sich und streifte ihn über sein Handgelenk. Er passte, als wäre er eigens für ihn angefertigt worden. Das Metall fühlte sich warm an und schien von innen heraus sanft zu pulsieren, als würde es leben. Vor Überraschung vergaß Aylon für einen Moment die Mahnung des Magiers und verharrte erstaunt, um das seltsame Phänomen zu ergründen. Einige Sekunden lang versuchte er, den Reif an seinem Gelenk zu drehen, doch dieser saß so fest, als wäre er mit seiner Haut verwachsen.
Gleich darauf erschütterte ein harter Stoß den Boden und riss Aylon fast von den Beinen. Er taumelte. Mit knapper Not entging er einem Sturz. Scheinbar aus dem Nichts fauchte ein eisiger Windstoß durch die Kammer und löschte seine Fackel aus, aber trotzdem wurde es nicht dunkel. Ein kränklicher grüner Schein sickerte plötzlich aus der immer noch geöffneten Schatulle und strahlte rasch heller. Ein unheimliches Stöhnen und Wispern erfüllte die Luft. Aylon fuhr herum. Die Wand hinter ihm fühlte sich unter seinen Fingern hart wie normales Gestein an. Fieberhaft tastete er sie nach der unsichtbaren Öffnung ab. Das Stöhnen wurde lauter und klang bedrohlicher.
Irgendetwas kam ...
Ein wuchtiger Fußtritt brachte den Boden erneut zum Erbeben. Fauliger, ekelerregender Gestank breitete sich aus. Aylon glaubte, heißen Atem in seinem Nacken zu spüren. Er wagte nicht, sich umzudrehen, um zu sehen, was sich ihm näherte und sich inzwischen bereits in der Kammer befinden musste. Das Etwas war da, dicht hinter ihm, das wusste er, und es hob bereits die Klauen, um ihn packen. Er konnte nicht einmal schreien. Wie besessen suchte er nach dem Ausgang, schürfte sich an dem rauen Gestein die Finger blutig, ohne den Schmerz zu spüren. Endlich stieß seine Hand ins Leere. Etwas Hartes, Scharfes streifte seinen Rücken, zerfetzte sein Hemd und ritzte seine Haut, doch mit einem verzweifelten Satz sprang er vor, durch die Wand hindurch und in Sicherheit.
Nächtlicher Kampf
In aller Frühe brachen sie am nächsten Morgen auf und machten sich auf den Weg nach Maramon. Einige wenige - hauptsächlich ältere - Ishar waren gekommen, um sie zu verabschieden, doch Aylon machte sich keine Illusionen: Sie waren allein Maziroc zu Ehren hier, keinesfalls aber seinetwegen. Das kam deutlich in den Blicken zum Ausdruck, mit denen sie ihn bedachten.
Wenn sie wenigstens Hass gezeigt hätten, dachte er bitter, damit könnte er leichter fertigwerden als mit dieser Verachtung, dem stummen Vorwurf, nicht zu ihnen zu gehören, obwohl er in ihrer Mitte