Physikalische Chemie. Peter W. AtkinsЧитать онлайн книгу.
Arten von Kristalldefekten ist der so genannte Punktdefekt, eine Stelle, an der ein Atom im Kristall fehlt oder an einer falschen (unregelmäßigen) Position im Kristall vorliegt. Je nach der genauen Art der Unregelmäßigkeit spricht manauchvon Fehl- oder Leerstellen, Dotieratomen, Zwischengitter- oder Substitutionsatomen. Viele Edelsteine beruhen auf substituierten Festkörpern, z. B. Rubinen oder Saphiren, bei denen Al3+-Ionen in der Korundstruktur von Aluminiumoxid durch Cr3+-bzw. Fe3+-Ionen ersetzt sind. Festkörper mit Zwischengitteratomen entstehen z.B. durch Diffusion von Dotieratomen in Leerstellen oder in ionischen Kristallen auch durch Selbstdiffusion, bei der ein Gitterion von seinem Platz zu einer Zwischengitterposition wandert und dafür an seinem vorherigen Platz eine Leerstelle zurücklässt, die man auch als Frenkel-Defekt bezeichnet.
Abb. 3-15 Die Beiträge der Kristalldefekte in Wasserstoff- bzw. deuteriumdotiertem Niob zur molaren Wärmekapazität. Die Flächen unter den jeweiligen Kurven dient zur Berechnung der Entropie aufgrund dieser Defekte. (Nach G. J. Sellers, A. C. Anderson, Phys.Rev. B (1974) 10, 2771)
Abbildung 3-15 illustriert die Wirkung von Verunreinigungen auf die Wärmekapazität und die Entropie eines reinen Kristalls. Niob ist heutzutage das wichtigste Metall in Tieftemperatursupraleitern, da es sich kostengünstig in der duktilen Form herstellen lässt, die für die hohen kritischen Ströme von Supraleitern erforderlich ist. Die Reinheit des Metalls ist dabei jedoch entscheidend, um supraleitende Eigenschaften zu erhalten. Bei 1 K gehorcht die Wärmekapazität von reinem Niob dem debyeschen T3-Gesetz. Wenn man jedoch bei etwa 700 °C H2 oder D2 über Niob leitet, diffundieren Verunreinigungen in das Metallgitter und seine Wärmekapazität bei tiefen Temperaturen unterscheidet sich deutlich von der des reinen Metalls. Um den Effekt der Verunreinigungen herauszustellen, subtrahiert man die für das reine Metall bestimmten Werte von Cp von denen einer dotierten Probe, dividiert durch T und trägt das Ergebnis gegen die Temperatur auf. Die Fläche unter der so erzeugten Kurve beschreibt dann die Beiträge der Verunreinigungen zur Entropie.
3.2 Die Beschränkung auf das System
Mithilfe des Grundbegriffs „Entropie“ kann man die Richtung realer Zustandsänderungen vorhersagen; dies setzt jedoch voraus, dass wir die Änderungen der Entropie sowohl im System als auch in der Umgebung untersuchen. Wie wir gesehen haben, ist die Berechnung der Entropieänderung der Umgebung nicht kompliziert; als Nächstes werden wir eine einfache Methode entwickeln, um diesen Beitrag automatisch zu berücksichtigen. Dadurch konzentrieren wir uns in Zukunft nur noch auf das System selbst, was unsere Diskussion vereinfacht. Darüber hinaus bilden die folgenden Überlegungen die Grundlage aller Anwendungen der chemischen Thermodynamik, mit denen wir uns später beschäftigen wollen.
3.2.1 Freie Energie und Freie Enthalpie
■ Das Wichtigste in Kürze: (a) Die clausiussche Ungleichung gibt Kriterien für freiwillige Prozesse an, die sich alleine durch Eigenschaften des Systems ausdrücken lassen; zu diesem Zweck werden die Freie Energie und die Freie Enthalpie definiert. (b) Ein bei konstanter Temperatur und konstantem Volumen freiwillig ablaufender Prozess geht mit einer Verringerung der Freien Energie einher. (c) Die Änderung der Freien Energie gibt die maximale Arbeit an, die ein bei konstanter Temperatur ablaufender Prozess verrichten kann. (d) Ein bei konstanter Temperatur und konstantem Druck freiwillig ablaufender Prozess geht mit einer Verringerung der Freien Enthalpie einher. (e) Die Änderung der Freien Enthalpie gibt die maximale Nichtvolumenarbeit an, die ein bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ablaufender Prozess verrichten kann.
Wir betrachten ein System, dass sich bei der Temperatur T im thermischen Gleichgewicht mit seiner Umgebung befindet. Nun soll infolge einer Zustandsänderung des Systems ein Wärmeaustausch mit der Umgebung stattfinden; die clausiussche Ungleichung (dS > dq/T, Gl. (3-12)) lautet dann
(3-27)
Aus dieser Ungleichung können wir je nach den Prozessbedingungen (konstanter Druck oder konstantes Volumen) verschiedene Aussagen gewinnen.
Kriterien der Freiwilligkeit
Betrachten wir zunächst den Fall des Wärmeaustauschs bei konstantem Volumen. Wenn weder Volumen- noch eine andere Arbeit verrichtet wird, ist dq V = dU;in die clausiussche Ungleichung eingesetzt, ergibt sich
(3-28)
Die spezielle Bedeutung dieser Beziehung liegt darin, dass sie die Bedingungen für eine freiwillige Zustandsänderung einzig und allein anhand von Zustandsfunktionen des Systems formuliert. Nach geeigneter Umformung erhält man leicht
(3-29)
Wenn entweder die Innere Energie (dU = 0) oder die Entropie (dS = 0) konstant bleiben soll, wird aus dieser Beziehung
(Der Index gibt jeweils die Größen an, die konstant bleiben sollen.)
Gleichung (3-30) gibt die Bedingungen für die Freiwilligkeit von Prozessen als Funktion der Eigenschaften des Systems an. Die erste Ungleichung besagt, dass in einem System mit konstantem Volumen und konstanter Innerer Energie (etwa einem abgeschlossenen System) die Entropie bei freiwilligen Zustandsänderungen zunimmt. Dies entspricht inhaltlich der Aussage des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. Die Bedeutung der zweiten Ungleichung ist nicht ganz so offensichtlich; die Aussage lautet, dass für ein System mit konstantem Volumen und konstanter Entropie die Innere Energie bei einem freiwilligen Prozess abnimmt. Interpretieren Sie diese Bedingung nicht als Tendenz des Systems, seine Energie zu vermindern – dahinter verbirgt sich eigentlich eine Aussage über die Entropie: Wenn die Entropie des Systems unverändert bleiben soll, muss Entropie der Umgebung zunehmen. Diese Zunahme kann aber nur erfolgen, wenn die Energie des Systems durch Entzug einer Wärmemenge abnimmt.
Wenn der Wärmeaustausch bei konstantem Druck stattfindet und keine Arbeit außer Volumenarbeit verrichtet wird, gilt dqp = dH, woraus folgt
(3-31)
Bei konstanter Enthalpie oder Entropie wird diese Ungleichung zu
(3-32)
Zur Interpretation dieser Beziehungen gehen wir genauso vor wie für Gl. (3-30): Die Entropie eines Systems muss zunehmen, wenn die Enthalpie konstant bleibt (da in diesem Fall keine Änderung der Entropie der Umgebung stattfinden kann). Umgekehrt muss die Enthalpie abnehmen, wenn die Entropie des Systems konstant bleiben soll, weil dann zwingend eine Entropiezunahme in der Umgebung erfolgen muss.
Die Form der Gln. (3-29) und (3-31), dU – T dS ≤ 0 bzw.dH – T dS ≤ 0, legt die Einführung zweier neuer thermodynamischer Funktionen nahe, der Freien Energie A,
[3-33]