Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
zusammen Limonade«, versprach sie.
»Okay, Tante Reni«, versetzte Henrik. Doch man konnte ihm ansehen, dass er nur halb getröstet war.
Vom Haus her ertönte der Gong. Er rief groß und klein zum Essen. Man hatte für Reni von Hellendorf neben Manuela gedeckt. Henrik, der an diesem Tag ebenso wie Nick am Abendessen in Sophienlust teilnahm, saß an der anderen Seite der jungen Frau. Ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit durchströmte Renis Brust.
Ich werde mich von Manuela nie mehr trennen, beschloss sie, während sie so tat, als höre sie Henriks aufregender Erzählung von einem Fußballspiel in der Schule mit gespannter Aufmerksamkeit zu.
Nach dem Essen bestand Reni darauf, Manuela zu Bett zu bringen.
Das kleine Mädchen ließ sich nur zu gern von ihr umsorgen und verwöhnen. »Du machst es wie meine Mutti«, sagte es und schlang die weichen Ärmchen um Renis Hals.
Reni küsste das Kind, das nicht das ihre war.
Später am Abend fragte sie Frau Rennert, ob Manuels Eltern inzwischen geschrieben hätten.
»Nein, wir haben noch nichts gehört, Frau von Hellendorf. Allmählich muss man sich wohl Sorgen machen. Der Vater war schwerkrank. Ohne zwingenden Grund ruft man eine Frau nicht aus Deutschland nach Spanien. Denn das ist eine weite Reise. Wahrscheinlich werden wir demnächst versuchen, Erkundigungen in Barcelona einzuziehen. Das arme Kind würde mir leid tun, wenn auch der Mutter etwas zugestoßen wäre.«
Reni lächelte seltsam starr. »Ich würde Manuela zu mir nehmen, Frau Rennert. Sie würde bei mir bestimmt niemals etwas entbehren. So ein kleines Mädchen vergisst noch schnell. In ein paar Jahren würde sie nicht mehr an ihre Eltern denken.«
Frau Rennert hob warnend die Hand. »Noch wissen wir nichts über die Eltern, Frau von Hellendorf. Sie müssen auch damit rechnen, dass Herr und Frau Cortez eines Tages vor der Tür stehen und Manuela abholen. Auf jeden Fall dürfen Sie Manuela nicht schon jetzt als Waise betrachten.«
»Ich habe sie lieb, Frau Rennert«, flüsterte Reni mit abwesendem Blick. »Ihre eigenen Eltern können sie nicht mehr lieben als ich. Außerdem kann ich dem Kind eine ganz andere Zukunft bieten. Ich bin reich.«
»Man kann es jetzt nicht entscheiden, liebe Frau von Hellendorf«, versetzte Frau Rennert leise und geduldig. »Für den Augenblick ist Manuela glücklich, in Ihnen eine gute Freundin gefunden zu haben. Übrigens sprechen auch die anderen Kinder ganz begeistert von Ihnen, weil Sie Pferdeverstand haben und ein gerechter Punktrichter gewesen sind.«
»Ich bin froh, dass Sie mich ein bisschen mögen, Frau Rennert. Man möchte ja nicht stören. Irmela gefällt mir besonders gut. Erstaunlich, dass dieses Mädchen schon so feste Vorstellungen von ihrer beruflichen Zukunft hat.«
»Ihr Vater war Arzt. Sie hörten wohl schon, dass er in Indien gestorben ist. Irmela will ihm nacheifern. Sie ist sehr zielstrebig in allem, was sie unternimmt. So glaube ich schon, dass sie eine gute Ärztin werden kann. Ihre Leistungen in der Schule sind ausgezeichnet, obwohl sie früher in Heidelberg Schwierigkeiten im Gymnasium hatte. Man ist dort wohl nicht in der richtigen Weise auf sie eingegangen.«
»Wie kam sie nach Sophienlust?«
»Durch Michael Langenbach. Seine Schwestern Angelika und Vicky sind hier im Heim. Michael studiert zusammen mit Sascha von Schoenecker in Heidelberg. Irmelas Mutter suchte einen Studenten als Nachhilfelehrer für ihre Tochter. So kam die Verbindung zustande. Jetzt braucht Irmela allerdings längst keinen Nachhilfeunterricht mehr.«
»Die Arbeit hier ist schön und interessant, nicht wahr?«
Frau Rennert nickte. »Ich bin glücklich, dass Frau von Schoenecker mir das Heim anvertraut hat. Wir Rennerts verdanken Sophienlust sehr viel. Auch mein Sohn fand hier als Haus- und Musiklehrer eine neue Lebensaufgabe. Und Carola, meine Schwiegertochter, gehörte mit zu den ersten Kindern, die hier Aufnahme fanden.«
»Vielleicht bleibe ich auch hier«, versetzte Reni leise. »Ich könnte mich ein wenig nützlich machen, wenn Sie einverstanden sind.«
»Wir freuen uns über jede Hand, die mithilft, Frau von Hellendorf. Es gibt immer etwas zu tun, und wenn es die vielen zerrissenen Sachen sind, die ausgebessert werden müssen. Manchmal wird auch dringend jemand gebraucht, der einem kleinen Patienten Geschichten vorliest. Kinder sind schwierig und bleiben nicht mehr brav unter der Decke liegen, sobald es ihnen ein bisschen besser geht.«
»Sagen Sie es mir nur getrost, wenn es etwas gibt, was ich übernehmen kann, liebe Frau Rennert. Jetzt will ich Sie nicht länger aufhalten. Ob ich schnell noch einmal zu Manuela hineinschaue? Ich möchte ganz sicher sein, dass sie gut schläft.«
»Gehen Sie ruhig zu ihr, Frau von Hellendorf. Nötig ist es allerdings nicht. Manuela schläft immer wie ein Murmeltier.«
Reni überzeugte sich trotz dieser Versicherung selbst davon, dass Manuela schlief. Behutsam öffnete sie die Zimmertür. Vom Flur her fiel nur schwaches Licht in den Raum, in dem zwei Kinderbetten standen. In dem einen lag die kleine Heidi, im anderen Manuela.
Im Halbdunkel konnte Reni die Kinder nicht genau sehen. Sie stand wie gebannt und schaute auf Manuela, deren dunkles Haar sich deutlich vom weißen Kopfkissen abhob. »Meine Gitti«, flüsterte sie mit bebenden Lippen. »Ich habe dich wiedergefunden. Wir werden für immer beisammenbleiben.«
Sie beugte sich nieder und berührte die weiche Wange des schlafenden Kindes mit ihren Lippen. Manuela spürte nichts davon und bewegte sich nicht einmal in ihrem tiefen Schlaf.
Reni verließ das Zimmer und zog die Tür vorsichtig hinter sich zu. Sie fühlte sich seltsam glücklich. Ihr war, als habe sie eine neue Heimat gefunden. Daran, dass Manuelas Eltern zurückkehren und ihr Kind wieder zu sich holen könnten, dachte sie nicht. Die Warnungen von Frau Rennert waren ungehört verhallt.
*
Dr. Ulrich Volkert war noch nie in Sophienlust gewesen. Er betrachtete das eindrucksvolle Herrenhaus mit Interesse. Während er noch neben seinem Auto stand und an dem Gebäude emporblickte, trat Reni von Hellendorf aus der Tür, um ihn zu begrüßen.
»Wie gefällt es Ihnen, Doktor?«, fragte sie.
»Gut. Man stellt sich ein Kinderheim im Allgemeinen anders vor. Aber ich habe inzwischen gelernt, dass man bei Frau von Schoenecker grundsätzlich auf etwas Ungewöhnliches gefasst sein muss.«
Reni erzählte ihm mit kurzen Worten, wie es zur Umgestaltung des Gutshauses gekommen war. »Meine Freundin Denise verwaltet das Erbe ihres Sohns, bis er es selbst übernehmen kann«, schloss sie ihren Bericht. »Das, was sie geschaffen hat, grenzt ans Wunderbare. Wollen Sie sich das Bild der Sophie von Wellentin einmal ansehen, nach deren Letztem Willen diese Stätte entstand?«
»Hm, interessieren würde es mich schon.«
»Kommen Sie, Doktor. Ich habe hier Hausrecht.«
Reni führte ihn durch die große Halle, die um diese Vormittagsstunde still und verlassen war, in Denises Biedermeierzimmer. Dieser Raum war früher der Lieblingsaufenthalt von Nicks Urgroßmutter gewesen. Denise hatte ihn ganz so gelassen, wie sie ihn bei ihrem Einzug vorgefunden hatte. Hier pflegte sie Besucher zu empfangen oder an dem zierlichen Sekretär Briefe zu erledigen, bei deren Abfassung sie ungestört sein wollte. In Stunden des Zweifels oder der Sorge hielt sie auch mit dem überaus lebendigen Porträt der letzten Herrin von Sophienlust Zwiesprache.
Auf dieses Gemälde wies Reni jetzt. »Das ist sie, Doktor.«
»Eine Frau mit einer großen Seele, möchte ich sagen. Sehen Sie nur, die Augen.«
»Denise von Schoenecker ist der festen Überzeugung, dass ihr Segen auf diesem Hause ruht. Auch ich fühle mich freier, seit ich hier sein darf.«
Dr. Volkert wandte sich seiner jungen Patientin zu. »Sie kamen auf eigenen Wunsch nach Sophienlust?«
»Ja, weil zwischen den Kindern ein kleines Mädchen ist, das mich an Gitti erinnert. Ich möchte ständig in der Nähe dieses Kindes sein. Denise erfüllte meine Bitte sofort.