Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
ihr entgegen. »Ich habe mir schon gedacht, dass du hier bist«, sagte sie gütig. »Aber wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht. Und Jeremy hat geweint, weil er dich vermisst hat, Daisy.«
»Ich habe mit Mummy und mit dem Herrn Pfarrer gesprochen«, erwiderte Daisy. Sie wollte diese Dame nicht nett finden, aber sie fand sie eben doch nett. Zugleich nahm sie sich vor, sich von allen Leuten möglichst fernzuhalten. Sie sehnte sich nach Hause. Dort wollte sie dann ihre Mummy vertreten, damit sie sich über sie freute. Sicherlich saß sie den ganzen Tag oben an einem Himmelsfenster und schaute mit einem Fernrohr zur Erde herunter. Aber vielleicht fand sie ihre Farm nicht?
Zu gern hätte Daisy Denise von Schoenecker gefragt, ob das möglich sei, aber sie wollte sich ihr nicht anvertrauen.
*
Daisy und Jeremy waren zusammen in einem Zimmer untergebracht worden. Doch der kleine Junge hätte viel lieber bei Heidi geschlafen, weil seine Schwester ihn so vorwurfsvoll anblickte. Tante Renate, wie er die Krankenschwester nennen durfte, hatte ihm aber zugeredet, bei Daisy zu bleiben. Darum hatte er sich auch gefügt.
Jeremy hatte Tante Renate schrecklich lieb und wäre zu gern bei ihr geblieben. Das flüsterte er ihr auch zu, als sie noch einmal ins Zimmer kam, um Daisy und ihm gute Nacht zu sagen.
»Vielleicht darfst du hier im Kinderheim bleiben«, entgegnete Renate unüberlegt, ohne zu ahnen, was sie damit anrichtete.
»Jeremy kommt mit nach Hause!«, rief Daisy aufgeregt. »Er ist mein Bruder. Er gehört mir ganz allein.«
Renate biss sich auf die Lippen. Anfangs hatte sie sich eingeredet, dass Daisys Benehmen ihr gegenüber nur auf ihre Verzweiflung zurückzuführen sei. Inzwischen aber war ihr klargeworden, dass Daisy ihren Vater und ihren Bruder eifersüchtig vor jedem Menschen abschirmen wollte. Trotzdem blieb Renate freundlich. »Daisy, denk doch ein bisschen an Jeremy«, bat sie. »Er soll doch glücklich sein.«
»Wie kann er glücklich sein, wenn Mummy tot ist?«, rief Daisy. Im Schlafanzug lief sie aus dem Zimmer, um nach ihrem Daddy zu suchen. Als sie ihn nicht in seinem Zimmer fand, eilte sie den Korridor entlang und sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter.
Die größeren Kinder, die nach dem Abendessen noch aufbleiben durften, saßen gerade vor dem Fernsehapparat.
»Ich will zu Daddy!«, rief Daisy. »Wo ist mein Daddy?«
»Dein Daddy ist noch ein bisschen spazierengegangen«, erwiderte Irmela Groote, die als einziges Kind die englische Sprache ganz perfekt beherrschte.
»Ich glaube, er ist noch einmal zur Kirche gegangen«, sagte Frau Rennert. »Daisy, du musst wieder ins Bett.«
»Ich will aber nicht! Ich will nicht!«
Denise war mit ihren Söhnen bereits nach Schoeneich gefahren, sodass sie diesmal nicht einspringen konnte. Dafür versuchte es Schwester Regine. Daisy blieb zwar verstockt, aber sie ließ sich wenigstens ins Bett zurückbringen.
Noch lange blieb die Kinderschwester bei Daisy und sprach tröstend auf sie ein. Als Schwester Regine endlich das Zimmer verließ, war Roy Bennet noch immer nicht da.
Renate Hagen begann sich jetzt ernstlich Sorgen um den Engländer zu machen. Obwohl sie ihn noch nicht einmal einen Tag lang kannte, fühlte sie sich so stark zu ihm hingezogen, dass sie das Haus verließ, um nach ihm zu suchen. Den Schlüssel für das Parktor hatte sie eingesteckt.
Renate ging die Straße entlang nach Wildmoos. Es war Vollmond. Am nachtklaren Himmel standen glitzernd die Sterne.
Erleichtert atmete sie auf, als sie die hohe Gestalt Roy Bennets auf sich zukommen sah. Sie blieb stehen und erwartete ihn.
»Ich habe mir große Sorgen um Sie gemacht, Mister Bennet«, erklärte
sie.
»Ich war noch einmal bei meiner Frau. Ich habe sie noch einmal sehen wollen. Man hat mir den Sarg geöffnet. Ich bin glücklich, dass ich sie noch einmal sehen konnte. Ihr schönes Gesicht war nicht entstellt. Sie hat so glücklich gelächelt, dass auch ich ruhiger geworden bin. Es war mir, als hätte sie noch einmal mit mir gesprochen. Sie hat die Bitternis aus meinem Herzen genommen.«
Zum erstenmal sah Renate ihn lächeln. Ihr Herz flog ihm zu.
»Ich weiß nun, wo mein Weg liegt«, sprach Roy leiser weiter. »Ich muss für die Kinder weiterleben und unsere Farm erhalten. Jeremy wird sie später bekommen. Er soll auch den Familiennamen meiner Frau erhalten, sodass er dann einen Doppelnamen haben wird. Das hatten Mary und ich schon vorgehabt. Denn unsere Farm befindet sich seit vielen Generationen im Besitz von Marys Familie.«
»Das ist schön für Jeremy.«
Roy blieb stehen und sah Renate an. Ihr ovales Gesicht war hell vom Mondlicht erleuchtet. »Warum tun Sie das alles für mich?«, fragte er.
»Was?«
»Dass Sie sich um die Kinder und mich kümmern.«
»Ich weiß es nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass sie Hilfe brauchen.«
»Ich habe sie gebraucht, Fräulein Hagen.«
»Wollen Sie mich nicht Renate nennen? Ich weiß, dass man in England gute Freunde mit dem Vornamen anredet. Und ich möchte Ihnen eine gute Freundin sein.«
»Gern, Renate. Es gefällt mir auch, dass ich mit Ihnen in meiner Sprache reden kann. Deutsch habe ich zwar mal in der Schule gelernt, aber viel ist nicht hängengeblieben.«
Renate lächelte und setzte dann zusammen mit ihm den Weg fort. Vor dem Haus umfasste Roy ihre Hand und drückte sie dankbar. »Sie haben mir sehr geholfen. Ich glaube sogar, dass ich heute Nacht schlafen kann.«
Renate fand dagegen keinen Schlaf. Sie brauchte einen Menschen, mit dem sie reden konnte. Sollte sie Regine noch einmal stören?
Regine Nielsen war noch nicht zu Bett gegangen. Sie saß im Morgenmantel vor ihrem kleinen Schreibtisch und schrieb.
»Störe ich?«, fragte Renate leise von der Tür her.
»Aber nein, ich habe doch auf dich gewartet.« Regine klappte die Schreibmappe zu und erhob sich.
»Du hast auf mich gewartet?«
»Ja, Renate. Ich kenne dich gut und habe deshalb bemerkt, dass du ziemlich durcheinander bist.«
»Das bin ich, bei Gott!«, rief Renate erleichtert aus und setzte sich aufs Sofa. »Stört es dich, wenn ich rauche?«
»Keineswegs. Ich werde mir auch eine genehmigen.« Regine schob Renate das Zigarettendöschen und das Tischfeuerzeug zu. Nachdem sich die Freundin bedient hatte, zündete sie sich ebenfalls eine Zigarette an. Dann fragte sie: »Nicht wahr, dir gefällt Roy Bennet?«
»Mehr als das. Als ich ihn zum erstenmal am Unfallort mit seinen beiden Kinder sah, traf es mich wie ein Blitz. Und heute Abend habe ich begriffen, dass mein Gefühl für ihn Liebe ist. Findest du das nicht schrecklich? Seine Frau liegt noch nicht einmal unter der Erde.«
»Warum soll das schrecklich sein? Gegen die Liebe ist man machtlos, Renate. Ich hoffe nur, dass deine Liebe eines Tages Erfüllung findet.«
»Das wird vermutlich niemals der Fall sein. Regine, ich mache mir darin nichts vor. Morgen oder übermorgen verlässt Roy Bennet mit seinen Kindern Sophienlust. Dann werde ich ihn nie wiedersehen.«
»Du solltest nicht ganz so hoffnungslos in die Zukunft blicken, Renate.«
Noch lange sprachen die beiden Freundinnen über Roy und seine Kinder. Dann fielen ihnen fast die Augen zu. Renate gab Regine einen Gute-nacht-Kuss und kehrte in ihr Zimmer zurück. Sie musste dabei an der Tür von Roys Zimmer vorbei. Unwillkürlich wurden ihre Schritte langsamer. Sie blieb sogar einige Sekunden stehen und lauschte. Aber nichts rührte sich in dem Zimmer. Der heimlich geliebte Mann schien fest zu schlafen.
*
Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass es noch ungefähr drei Tage dauern würde, bis alles zur Überführung