Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
»aber ich muss nach Hause, sonst ängstigt sich Großväterchen. Ich muss ihm erst sagen, wo ich bin.«
Henrik sah seine Mutter fragend an. »Darf ich Dodo begleiten?«, bat er.
»Darf er?«, schloss sich Dodo an.
Denise nickte zustimmend.
»Wenn Großväterchen euch kennt, wird er erlauben, dass ich euch die Gegend zeige«, sagte Dodo, »aber er muss euch erst kennen. Aber gefallen werdet ihr ihm schon, das weiß ich.«
Mintje kam mit dem Tablett. »Dodo ist ein liebes Kind«, erklärte sie. »Sie freut sich, wenn sie Gesellschaft hat. Sie lebt allein mit dem alten Brodersen.«
»Hat sie keine Eltern mehr?«, fragte Denise.
»Nein«, erwiderte Mintje, aber sie gab keine weitere Erklärung.
Vom Strand herauf kam ein knorriger alter Mann in hohen Gummistiefeln. »Das ist Krischan«, sagte Mintje. »Er bringt den Mund nicht auf. Nehmen Sie es ihm nicht übel, Madame.«
Aber als Krischan näher kam, sagte er: »Mor’n«, was wohl soviel wie guten Morgen heißen sollte, und wenn es auch kurz war, so riss Mintje doch überrascht die Augen auf.
In Kapitän Brodersens Haus tat sich für Henrik eine Wunderwelt auf. Mit offenem Mund bestaunte er Schiffsmodelle verschiedenster Art, sie standen auf der langen Vitrine, die sich über die ganze Wand erstreckte. Exotische Masken und Waffen hingen an den Wänden, Skulpturen, Vasen, Schalen, Elfenbeinschnitzereien – Henrik wusste nicht, wohin er zuerst schauen sollte.
»Hat Großväterchen alles von seinen Reisen mitgebracht«, erklärte Dodo, und da stand Kapitän Brodersen schon selbst in der Tür.
»Das ist Henrik, der mit seiner Mami jetzt bei Onkel Harald ist, Großväterchen«, sagte Dodo. Henrik wich respektvoll zurück.
»Brauchst nicht auszureißen, ich beiße nicht«, sagte Käpt’n Brodersen mit tiefer, dröhnender Stimme.
»Ich wollte nicht stören«, sagte Henrik schüchtern.
»Du störst nicht«, sagte Dodo, »wenn Großväterchen nicht reden will, redet er nicht. Lässt du Henrik durch dein Fernrohr schauen? Damit kannst du nämlich bis zu Mintje in die Küche schauen, Henrik.«
Das glaubte er nun doch nicht, denn das Doktorhaus lag sehr weit entfernt. Aber er konnte sich überzeugen, dass Dodo nicht übertrieben hatte. Das Fernrohr stand auf der Veranda. Es war riesengroß und stammte wohl aus einer Zeit, in der sich die Seefahrer noch nicht auf elektronische Geräte verlassen konnten. Zuerst konnte Henrik überhaupt nichts sehen, aber mit geschickten Fingerchen drehte Dodo daran, und da sah er tatsächlich in Mintjes Küche hinein. Sie saß mit einem alten Mann am Tisch, der eine Suppe löffelte. Sogar das konnte Henrik erkennen.
»Mintje hat Besuch«, sagte er.
»Lass mich mal gucken, wer das ist«, sagte Dodo.
Sie war kleiner als Henrik und musste sich auf eine Fußbank stellen. »Ach, der Krischan«, sagte sie. »Ob er einen guten Fang gehabt hat? Was meinst du, Großväterchen?«
»Ich denke schon«, erwiderte der alte Mann.
»Er ist nämlich Fischer«, erklärte Dodo. Dann schwenkte sie das Fernrohr mit einiger Kraftaufwendung herum.
»Da ist deine Mami«, rief sie aus. »Sie geht ins Wasser. Großväterchen, ist es gut, wenn sie jetzt schon ins Wasser geht?«
»Wenn es ihr nicht zu kalt ist«, brummte der Käpt’n.
»Sie wird doch nicht zu weit hinausschwimmen?«, meinte Dodo besorgt. »Willst du nicht lieber mal die Sirene heulen lassen?«
»Mami kann sehr gut schwimmen«, sagte Henrik. »Sie ist auch vorsichtig. Aber Sirenen kann sie einfach nicht leiden. Sie denkt dann immer, dass es brennt.«
»Das Meer kann tückisch sein«, sagte Dodo. »Es behält manchmal die Schiffe und die Männer.« Ihr Gesichtchen hatte jetzt einen bekümmerten Ausdruck.
»Jetzt ist Ebbe, da kann nicht viel passieren«, sagte Wilm Brodersen und seine sehnige braune Hand legte sich leicht auf den blonden Scheitel des Kindes.
»Mein Muttichen kommt aber wieder, nicht wahr, Großväterchen?«, flüsterte Dodo.
Der alte Mann wandte sich ab und ging in das Zimmer zurück. Dodo nickte tiefsinnig. »Ich habe es ja gesagt, wenn er nicht reden will, redet er nicht. Du brauchst dir nichts dabei zu denken, Henrik. Gehen wir jetzt mal ans Meer und schauen nach deiner Mami?«
Henrik wusste nicht, warum sie so besorgt war, viel besorgter als er. Er ging gar nicht gern wieder fort aus diesem Haus und hätte sich viel lieber all diese Dinge angesehen.
»Du kannst noch oft zu uns kommen«, sagte Dodo, als ahne sie seine Gedanken. »Großväterchen wird uns dann auch Geschichten erzählen von seinen Reisen. Er war überall in der Welt, auf allen Meeren und in allen Ländern.«
»In allen Ländern?«, fragte Henrik staunend, »auch in Indien und Afrika und am Nordpol?«
»Und am Südpol«, sagte Dodo, »überall.«
Hier konnte es ihm bestimmt nicht langweilig werden, dachte Henrik, wenn man auch kaum einen Menschen traf und es außer Dodo keine Kinder zu geben schien.
»Bist du das einzige Kind hier?«, fragte er.
»Nein, es gibt eine ganze Menge«, erklärte sie, »aber die haben keine Zeit zum Spielen. Die müssen helfen.«
»Was müssen sie helfen?«
»Auf den Feldern und beim Fischen. Die Mädchen müssen auf die kleinen Geschwister aufpassen. Das ist hier so.«
»Habt ihr keinen Kindergarten?«, erkundigte er sich.
»Einen Kindergarten? Nein. Einen Garten haben alle Leute.«
»Wir haben ein Kinderheim«, erzählte er voll Stolz.
»Was ist ein Kinderheim?«
»Ein großes Haus, wo viele Kinder leben können.«
»Habt ihr denn so viele?«
»Es sind doch nicht alle unsere eigenen.«
»Und warum sind sie bei euch?«
»Manchmal, weil sie keine Eltern haben, oder die Eltern haben keine Zeit sich um sie zu kümmern, oder ihre Mütter sind krank. Dann kommen sie nach Sophienlust.«
»Sophienlust, das klingt schön«, sagte Dodo. »Aber mein Großväterchen würde mich nie hergeben.«
Schweigend gingen sie eine Weile. Mit großen Sprüngen folgte ihnen Hannibal und sprang dann übermütig um sie herum.
»Er will, dass ich ihm Holz ins Wasser werfe«, erklärte Dodo. »Dann holt er es. Er wird auch mit großen Wellen fertig. Ich verstehe einfach nicht, dass er stärker sein soll als ein Segelboot.«
Henrik wusste wieder nicht, was sie damit sagen wollte, aber irgendetwas hinderte ihn, sie danach zu fragen.
Denise kam schon aus dem Wasser zurück. Sie schüttelte sich und lachte, als sie die Kinder erblickte. Sie hüllte sich in ihren Bademantel. »Es ist kalt, aber schön«, sagte sie.
»Mittags wird es wärmer«, erklärte Dodo. »Dann kann man sich in den Sand einbuddeln. Das ist gesund. Aber es ist besser, wenn man in der Bucht badet, da sind keine Strudel.«
»Dodo wollte schon, dass ihr Großvater die Sirenen heulen lässt, damit du nicht zu weit hinausschwimmst, Mami«, sagte Henrik. »Sie hatte Angst.«
»Ja, ich habe Angst«, sagte Dodo leise. »Wen das Meer verschlingt, den gibt es nicht mehr her.«
Denise kroch ein Frösteln über den Rücken. »Gehen wir jetzt lieber zurück. Ich möchte mich umziehen«, sagte sie.
Dodo nickte. »Man soll nicht in nassen Sachen bleiben, da kann man leicht krank werden«,