Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Kind dachte.«
Und es quält ihn, dass er ihm die Wahrheit sagte, ging es Denise durch den Sinn.
»Ist Wilm Brodersen krank?«, fragte sie.
»Sein Herz macht nicht mehr mit. Er weiß es genau, obgleich ich mich diesmal hüten werde, auch nur ein Wörtchen zu sagen.«
»Ja, er weiß es genau«, sagte Denise. »Sie werden Dodo zu uns bringen, wenn die Zeit gekommen ist, Dr. Gottschalk, nicht wahr?«
Über den Tisch hinweg streckte sie ihm die Hand entgegen, und er ergriff sie, senkte seinen Kopf und berührte sie leicht mit seinen Lippen.
*
Der Sturm flaute ab, und Denise sank in einen Dämmerschlaf. In den Kleidern war sie auf ihr Bett gesunken, nachdem sie hinaufgestiegen war in ihr Zimmer. Wirre Bilder gaukelten vor ihren Augen. Sie sah die tosende See und auf den Wellen ein Segelboot, das hin und her geworfen wurde. Sie sah zwei Menschen, die sich umschlungen hielten. Dieses Bild folgte ihr in den Traum, und plötzlich erwachte sie von seltsamen Lauten.
Sie hörte eine Stimme, hohl wie aus einem Megaphon.
Sie richtete sich auf und lauschte. »Frauke – Frauke«, schallte es an ihr Ohr.
Sie sprang, plötzlich hellwach, aus dem Bett. Wachte oder träumte sie? Momentan wusste sie es nicht, doch vernahm sie es wieder: »Frauke – Frauke!«
Sie griff nach ihrem Mantel, den sie achtlos über einen Stuhl geworfen hatte und zog ihn über. Leise eilte sie die Treppe hinab. Unten, in der Tür seines Zimmers, stand Dr. Gottschalk. Aus müden, wehmütigen Augen blickte er sie an.
»Es ist Hinnerk«, sagte er leise. »Er ruft immer, wenn Sturm ist.«
»Warum ruft er denn nach Frauke?«, fragte Denise. »Warum nicht nach Jörn?«
»Sein Geist ist verwirrt.«
Sie ging zur Haustür. Harald Gottschalk wollte sie zurückhalten. »Man muss doch nach ihm sehen«, sagte Denise.
»Es ist sinnlos«, sagte er. »Bitte, gehen Sie nicht. Er will allein sein.«
Hinnerks Stimme war verstummt. Als Denise die Treppe wieder hinaufstieg, überfiel sie eine jähe Angst.
Sie wartete und ging dann wieder hinab. Diesmal blieb Harald Gottschalks Tür geschlossen. Ungehört und ungesehen gelangte sie ins Freie.
Sie schlug den Mantelkragen hoch und vergrub die Hände in den Taschen. Die Wolken jagten unter dem Himmel dahin, doch ab und zu gaben sie den Mond frei, und sein kaltes Licht erhellte den Strand. Denise sah dort einen dunklen Schatten, bewegungslos blieb er an seinem Platz. Sie ging darauf zu, wie unter einem Zwang. Dann blieb sie neben Hinnerk stehen, der wie ein Geist wirkte, das hagere Gesicht von dem Südwester überschattet.
Er schien sie nicht wahrzunehmen, und sie wagte nicht, ihn anzusprechen. Aber er sprach.
»Ich sehe sie doch. Ich sehe sie, wie sie Dodo in den Armen hält«, sagte er. Er warf den Kopf herum und sah Denise an. »Ich bin nicht verrückt«, stieß er hervor. »Ich sehe, wie sie Dodo in den Armen hält. Sie werden es auch sehen, Madame.«
»Ja, Hinnerk, es ist gut. Gehen Sie jetzt heim«, sagte Denise.
»Hier bin ich zu Hause. Das Meer – hören Sie, wie es singt.« Das Meer schien eine unheilvolle Anziehungskraft für ihn zu besitzen.
»Sie standen engumschlungen an der Reling«, fuhr Hinnerk leise fort. »Ich sah sie zum Greifen nahe. Frauke warf mir den Ring zu. Sie muss doch kommen. Am Morgen wird sie kommen.«
»Kommen Sie, Hinnerk«, bat Denise. Sie wollte nach seinem Arm greifen, doch er riss sich los und verschwand im Dunkeln. Zutiefst aufgewühlt von dieser Begegnung ging Denise zurück.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen nicht gehen«, empfing sie Dr. Gottschalk.
»Wollen sie ihn sterben lassen?«, fragte sie bebend.
»Seine Zeit ist gekommen. Er hat ein ganzes Jahr gelitten, Frau von Schoenecker. Vor einem Jahr konnte ich sein Leben retten, aber was war das für ein Leben! Für ihn blieb es in jener Nacht stehen. Bitte, gehen Sie jetzt, ich werde Krischan holen.«
»Meinen Sie, er ist tot?«, fragte sie bebend.
»Vielleicht hat er endlich Frieden gefunden«, erwiderte Dr. Gottschalk.
Als Denise mit tränenblinden Augen in das Haus taumelte, vermeinte sie noch immer Hinnerks Stimme zu hören, die rief: »Frauke – Frauke!«
Es war, als würde auch der Himmel trauern mit all den andern, die an Hinnerks Grab standen. Denise war an diesem Tag mit den beiden Kindern allein. Dodo hätte es nicht begriffen, dass Hinnerk auf dem Friedhof bestattet wurde wie die anderen Toten. Sie glaubte fest daran, dass Hinnerk ein Seemannsgrab gefunden hätte, und niemand sagte ihr etwas anderes.
Sie saßen unten in der Bucht, nachdem Dodo einen Strauß Sommerblumen ins Meer gestreut hatte, die die Ebbe mit sich nahm. Henrik hatte kein Wort dazu gesagt, obgleich es ihm unheimlich war, mit welch feierlicher Miene sie dies tat.
»Tschüs, Hinnerk«, sagte sie, als spreche sie zu einem Lebenden, und dann blickte sie den Blumen nach, die von den Wellen fortgetragen wurden.
Und noch einer stand nicht an Hinnerks Grab: Krischan. Er war mit seinem Boot hinausgefahren und nahm auf seine Weise Abschied von dem alten Freund.
Der Wind trug den Klang der Kirchenglocken ans Meer. Denise wusste, dass Hinnerks Sarg nun der Erde übergeben worden war.
Wenige Minuten später brach die Sonne aus den Wolken. Dodo blickte empor zum Himmel.
»Jetzt ist Hinnerk beim lieben Gott«, sagte sie. »Er hat die Wolken weggeblasen, damit uns die Sonne wieder scheinen kann.«
Ganz langsam entfernte sie sich ein Stück von ihnen, kniete am Wasser nieder und ließ ihre Hände von den Wellen umspielen.
»Es wird mir immer ganz bange, wenn Dodo so redet, Mami«, flüsterte Henrik. »Sie haben doch Hinnerk begraben. Mintje und Onkel Harald sind zum Friedhof gegangen.«
»Sag es ihr nicht, Henrik«, bat Denise. »Sie soll ruhig glauben, dass Hinnerk auf See gestorben ist.«
»Warum soll sie das glauben, Mami?«
»Sie meint, es müsste so sein, weil auch ihre Eltern draußen geblieben sind.«
»Aber sie glaubt ganz betimmt, dass ihre Mutti zurückkommt«, sagte er bekümmert.
Hinnerk hatte auch daran geglaubt in seinem verwirrten Geist. »Sie hält Dodo in den Armen, ich sehe es«, hatte er gesagt. Seine Worte tönten in Denises Ohren fort. Sie hätte jetzt mit der Hubermutter sprechen mögen, die soviel mehr wusste als andere Menschen. Aber Denise wusste, dass Frauke Brodersen heute nicht mehr leben würde, auch wenn das Meer sie und ihren Mann nicht behalten hätte.
»Es wäre gut, wenn Dodo zu uns käme, dann würde sie nicht soviel denken. Bei uns ist kein Meer, Mami«, sagte Henrik einfühlsam.
»Vielleicht wird sie einmal zu uns kommen«, sagte Denise.
Dodo stand noch immer am Wasser, die Hand über die Augen gelegt. »Krischan kommt zurück«, rief sie, und da lief auch Henrik hinunter. Stumm fasste der alte Mann die Kinder bei den Händen.
»Es wird noch mal ein schöner Sommer«, sagte er.
*
An diesem Tag waren die Kinder in Sophienlust außer Rand und Band. Die Ferien hatten begonnen. Alle hatten gute Zeugnisse heimgebracht, auch Nick.
»Da wird Mami sich freuen«, sagte Alexander. »Du machst dich, mein Junge. Wie ist es, willst du nun an die See fahren?«
»Lohnt es sich denn noch, Papi?«, fragte Nick. »Wenn ich so Mamis Briefe lese, meine ich fast, dass sie ganz gut ohne uns zurechtkommen. Henrik hat Dodo und Hannibal und Mami tut es sicher gut, wenn sie mich nicht auch noch auf der Pelle hat.«
Es