Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
schön.« Erwartungsvoll wandte sie sich an ihren Chef. »Wann bekomme ich denn mein neues Kniegelenk?«
Obwohl Daniel Norden im Laufe seiner Karriere schon manches erlebt hatte, versetzte ihn Lennis offensichtliche Ungeduld in Erstaunen.
»Wenn Ihr Herz auf die Medikamente anspricht, werden wir morgen früh operieren. Aber nur dann. Wir wollen auf keinen Fall ein Risiko eingehen«, erwiderte er bewusst zurückhaltend. Den letzten Teil seines Satzes überhörte Lenni geflissentlich.
»Na bitte. So schnell werdet ihr mich nicht los«, freute sie sich und wandte sich an Felix. »Und du kümmerst dich bitte gleich heute Abend darum, dass die Gardinen nochmal in die Waschmaschine kommen. Dreißig Grad Schonwäsche, Feinwaschmittel. Und nur wenig schleudern, sonst bekommen sie hässliche Falten, die sich nicht mehr aushänge. Und natürlich müssen sie gleich aufgehängt werden…«
Zum allerersten Mal in seinem Leben war Felix für eine Arbeitsanweisung dankbar. Das war das beste Zeichen dafür, dass seine geliebte Lenni schon wieder auf dem Weg der Besserung war. Und dafür hätte er noch viel mehr getan als Gardinen vorschriftsmäßig zu waschen und aufzuhängen.
*
Nicht nur durch Lennis Sturz verging die Zeit an diesem Tag wie im Flug, und ehe es sich Dr. Mario Cornelius versah, wurde es Zeit zum Aufbruch. Doch bevor er zu der Verabredung mit seinem Neffen fuhr, telefonierte er noch kurz mit seiner Liebsten.
»Hast du schon frei?«, erkundigte er sich bei Marianne.
Ihr Bild stand vor seinem geistigen Auge, und diese Vorstellung zauberte ihm ein zärtliches Lächeln auf die Lippen.
»Ich liefere noch Torten aus«, antwortete sie. Sie hatte ihren Wagen vor dem Haus geparkt, wo sie die letzte Lieferung des Tages abgeben sollte. »Wenn das so weitergeht und wir nicht bald eine kompetente Hilfe finden, musst du auch noch einspringen. Genau wie Danny.«
Mario lachte.
»Ich kann mir Schlimmeres vorstellen, als mit dir zusammen zu arbeiten.«
»Da wär ich mir an deiner Stelle nicht so sicher«, scherzte Marianne. Sie hatte den Apparat zwischen Ohr und Kinn geklemmt und hob vorsichtig eine schwere Tortenschachtel vom Beifahrersitz ihres Wagens. »Hat dein Anruf einen besonderen Grund? Sonst würde ich lieber weitermachen, bevor mir noch eine Schachtel runterfällt.«
Eigentlich hatte Mario ihr von seiner Verabredung mit Jan erzählen wollen. Da er seine Freundin aber nicht zusätzlich stressen wollte, verzichtete er darauf.
»Ich wollte nur deine Stimme hören«, versicherte er und hauchte einen Kuss in den Apparat.
»Du bist süß!« Marianne lachte leise und bedauerte, im Augenblick nicht mehr Zeit für ihren Freund zu haben. »Ich melde mich später bei dir.«
»Ich kann’s kaum erwarten und hab das Handy immer am Mann«, versprach er fast feierlich und beendete das Gespräch.
Während er sich endgültig auf den Weg zu seiner Verabredung machte, stellte Marianne die Tortenschachtel auf den Boden und steckte das Telefon ein. Sie wollte sich eben wieder nach ihrer Lieferung bücken, als es erneut klingelte. Im ersten Moment dachte sie, dass Mario etwas vergesse hatte. Aber es war eine weibliche Stimme, die sich meldete.
»Bist du noch unterwegs, Marie?«, erkundigte sich Tatjana atemlos.
Durch das Stimmengewirr im Hintergrund war sie kaum zu verstehen.
»Ich liefere gerade die letzte Torte aus.« Mit gespitzten Ohren stand Marianen neben der Tortenschachtel und lauschte auf den unglaublichen Lärm. »Was ist denn bei dir los? Bist du in einer Bahnhofshalle?«
»Schön wär’s. Dann könnte ich nämlich einfach in den nächsten Zug steigen und fliehen.« Zumindest ihren Humor hatte Tatjana noch nicht verloren. »So aber muss ich leider hierbleiben. Stell dir vor, in irgendeiner Zeitung ist heute eine sehr positive Besprechung über unser Café erschienen. Offenbar liest die ganze Stadt dasselbe Blatt und hat sich dazu entschlossen, es zum Feierabend auszuprobieren. Seit fünf ist hier die Hölle los.«
»Willst du damit sagen, dass im Augenblick 1,5 Millionen Menschen bei dir sitzen?«, fragte Marianne belustigt.
Tatjana lachte, auch wenn sie der Verzweiflung nah war. Ihr hoffnungsloser Blick glitt über die zahlreichen Menschen, die sich im Café auf jedem freien Platz drängten. Aus der Nähe hatte sie einige bekannte Gesichter erkannt wie die junge Lernschwester aus der Behnisch-Klinik, die sichtlich fassungslos an einem der alten Holztische im Eck saß und auf die Tür starrte. Es war offensichtlich, dass auch sie nicht mit diesem Ansturm gerechnet hatte.
»Ganz so viele sind es wahrscheinlich nicht«, räumte Tatjana ein. »Aber auf jeden Fall zu viele, um allein mit ihnen fertig zu werden«, gestand sie. »Deshalb wollte ich dich bitten, ob du nochmal vorbeikommen und mir helfen kannst. Ich weiß, dass du gleich Feierabend hast, aber…«
»Schon gut!«, stimmte Marianne sofort zu, obwohl sie sich wirklich auf ihre wohlverdiente Freizeit gefreut hatte. »Natürlich lass ich dich nicht hängen. In zwanzig Minuten kann ich da sein. So lange musst du noch durchhalten. Schaffst du das?«
»Du bist ein Engel!«, bedankte sich Tatjana statt einer Antwort und legte auf, bevor Marianne etwas erwidern konnte.
Erneut hatte sich die Tür zur Bäckerei geöffnet, das Glöckchen begrüßte den Ankömmling hektisch.
*
»Du liebe Zeit, was ist denn hier los?« Fassungslos stand Mario Cornelius in der Bäckerei und sah sich um.
Trotz ihres verminderten Sehvermögens hatte Tatjana ihn sofort erkannt. Sie lächelte tapfer, als sie auf ihn zuging.
»Mario! Hast du auch den Bericht über unser Café gelesen oder bist du zufällig vorbei gekommen?«
»Ich bin hier mit Janni verabredet«, erwiderte der Kinderarzt, nachdem er Tatjana zur Begrüßung links und rechts auf die Wange geküsst hatte. »Aber wenn ich das gewusst hätte, wären wir woanders hingegangen. Steckt er denn hier irgendwo?« Hilflos sah er sich in dem Gewimmel um.
Bedauernd schüttelte Tatjana den Kopf.
»Janni ist ganz bestimmt nicht hier. Der hätte sich längst bemerkbar gemacht. Aber die Lernschwester aus der Klinik, die sitzt da hinten im Eck und scheint genauso überfordert zu sein wie wir.«
»Carina?« Neugierig drehte sich Mario um.
Tatsächlich entdeckte er die junge Schwester, die den Arm gehoben hatte und ihm zuwinkte. Sie hatte ihn schon gesehen, als er noch draußen vor den großen Schaufenstern gestanden hatte. Sofort schlug ihr Herz schneller, und ihre Kehle wurde trocken vor Aufregung. Unterdessen dachte Mario kurz nach und traf dann eine Entscheidung.
»Wenn Janni kommt, sagst du ihm dann bitte, wo ich bin?«, bat er Tatjana, die das gern und ohne Hintergedanken versprach.
»Klar. Magst du was trinken? Falls ja, würde ich dich bitten, das Getränk gleich mitzunehmen.«
»Nein, danke. Ich glaub, es sind schon genug Menschen da, um die du dir Gedanken machen musst.« Er nickte ihr freundlich zu und machte sich dann auf den Weg zu Carina, schob sich an eng stehenden Stühlen und Hockern vorbei, bat Gäste um Entschuldigung, stieß versehentlich an Tische und erreichte endlich die rettende Oase. »Puh, das ist ja der reinste Spießrutenlauf!«, stöhnte er und ließ sich auf den Platz fallen, den Carina ihm freigehalten hatte. Er zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn. Erst dann schickte er der jungen Lernschwester einen fragenden Blick. »Was machen Sie überhaupt hier? Haben Sie auch diesen Artikel gelesen? Tatjana hat sowas erwähnt…«
Mit dieser Frage hatte Carina gerechnet und lächelte unschuldig wie ein Engel.
»Von einem Artikel wusste ich nichts«, erwiderte sie wahrheitsgemäß, ehe sie mit einer glatten Lüge fortfuhr. »Ich hatte einfach mal Lust, was anderes zu sehen als immer nur die Klinik und meine kleine Wohnung. Da dachte ich, es wäre eine gute Idee, hierher zu kommen.«