Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
einfach da.
Und auch Martin Albrecht hatte ein ganz eigentümliches, beklemmendes Gefühl, als er mit Stefan heimwärts fuhr. Sie hatten im Jagdhof gut gegessen, und natürlich hatte Stefan auch wieder von Kerstin gesprochen.
Ob Laurentis es heute Nachmittag noch mal versucht, zu ihr zu gelangen, ging es Martin durch den Sinn. Und er war dann nicht da.
»Hältst du es mal eine Stunde allein bei Hella aus, Stefan?«, fragte er. »Ich muss noch einmal kurz in die Klinik.«
»Kannst du mich nicht mitnehmen?«, fragte der Junge.
»Nein, das wird zu viel. Frau Torstensen braucht noch viel Ruhe.«
»Du kannst wenigstens Kerstin sagen«, meinte Stefan. »Frau Torstensen klingt so fremd.«
»Gut, Kerstin braucht Ruhe«, sagte sein Vater nachgiebig. »Du warst heute sehr lange bei ihr, eigentlich hätte ich das nicht erlauben durfen.«
»Aber morgen darf ich sie besuchen? Dann bleibe ich auch bei Tante Hella.«
»Ja, du darfst sie besuchen«, versprach Martin.
Hella hatte wieder ihre beleidigte Miene aufgesetzt, aber sie mäßigte ihren Ton. »Wenn ihr schon nicht zum Essen kommt, könntest du wenigstens anrufen, Martin«, sagte sie vorwurfsvoll. Er erwiderte nichts.
»Ich bin bald zurück«, sagte er nur.
Stefan wäre am liebsten gleich in seinem Zimmer verschwunden, aber so schnell ließ ihn Hella nicht los.
»Wo wart ihr denn?«, fragte sie.
»Im Jagdhof«, erwiderte er wahrheitsgemäß, weil das schließlich nicht verheimlicht zu werden brauchte.
»Eigentlich wollte ich heute Nachmittag ins Kino gehen«, sagte Hella, um zu betonen, dass sie jetzt seinetwegen darauf verzichten müsste.
»Kannst du doch. Ich bleibe auch allein zu Hause.«
»Damit du wieder etwas anstellst«, sagte sie. »Wir könnten auch zusammen ins Kino gehen. In einen Zeichentrickfilm.«
»Mag ich nicht.«
»Was haben Sie denn mit dir gemacht in der Klinik?«, lenkte sie ab.
»Was sollen sie schon gemacht haben?«, fragte Stefan verwundert. »Ich war die ganze Zeit bei Kerstin.«
»Bei Kerstin?«, fragte sie schrill. »Wer ist das?«
»Eben Kerstin. Sie ist lieb und schön. Papi findet sie auch schön«, sagte er triumphierend, weil er endlich mal etwas hatte, womit er sie ärgern konnte.
Und wie sie sich ärgerte. Er empfand eine stille Freude darüber.
»So ist das also«, sagte sie. »Ich habe es ja geahnt.«
Das verstand Stefan nun doch nicht so richtig, aber ihm genügte es, dass sie sich ärgerte.
»So ist das«, sagte er, und dann marschierte er in sein Zimmer.
*
Tonio Laurentis kam diesmal zu einem sehr günstigen Zeitpunkt, denn Dr. Schillig und Schwester Petra waren bei einem Schwerkranken, und Oberschwester Erika hatte noch Mittagspause.
Ruth wartete ohnehin voll fieberhafter Spannung auf sein Erscheinen, denn so ganz sicher war sie sich nun doch nicht mehr gewesen, dass er kommen würde.
Jetzt kam er siegessicher auf sie zu, da er gesehen hatte, dass außer ihr weit und breit niemand zu sehen war.
Ein wenig bange war ihr doch. Anordnungen vom Chef mussten auch befolgt werden, wenn er nicht im Hause war. Aber Schwester Ruth konnte diesem Mann, seinem Lächeln einfach nicht widerstehen.
»Sie dürfen aber nicht sagen, dass ich Ihnen das Zimmer gezeigt habe«, sagte sie schnell. »Bitte, bringen Sie mich nicht in Schwierigkeiten.«
Ruth war ihm so gleichgültig wie nur irgendetwas. Für ihn war sie ein dummes Gänschen, das im Höhenflug begriffen war. Er wollte nur zu Kerstin vordringen, sonst nichts.
»Ich habe überhaupt niemanden gesehen, Süße«, sagte er und eilte schon auf die Türe zu.
Dass er zu vielen Mädchen Süße sagte, wusste Ruth nicht. Sie war der Erde entrückt. Für diesen Mann hätte sie alles getan, würde sie alles tun. Traumverloren blickte sie ihm nach.
Blitzschnell stand Tonio in dem Krankenzimmer. Und ehe Kerstin es noch begriffen hatte, dass er es wirklich war und nicht ein böser Traum, war er schon am Bett und hielt ihre Hände fest, damit sie nicht nach der Klingel greifen konnte. Sie war aber ohnehin erstarrt, bewegungsunfähig, voller Angst.
»Du machst ja schöne Geschichten, Liebling«, sagte er dreist. »Was hast du mir für einen Schrecken eingejagt, und dann will man mir auch noch verbieten, dich zu besuchen. Du siehst doch blendend aus, wie ich feststellen kann.«
Gab es so viel Unverfrorenheit? Kerstin versuchte vergeblich, ihm ihre Hände zu entziehen.
»Du bist schön brav«, sagte er, »und hörst mir zu. Was hast du denn plötzlich gegen mich?«
»Das fragst du noch?«, stieß sie hervor. »Geh, geh sofort, ich will dich nie mehr sehen.«
»Ich versteh dich nicht, Kerstin, wir lieben uns doch. An mir liegt es nicht, und ich weiß überhaupt nicht, dass uns etwas trennen könnte.«
Plötzlich wusste sie, was er bezweckte, und dass er Angst hatte. Und mit dieser Erkenntnis schwand ihre eigene Angst und es blieb nur noch Verachtung. »Der Mann ohne Gedächtnis«, sagte sie sarkastisch, »aber nicht nur ohne Gedächtnis, auch ein Mann ohne Seele, ohne Charakter. Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Ich werde es nicht hinausposaunen, wie mies du bist, bist du zufrieden.«
Aber wenn Tonio Laurentis in seiner Eitelkeit getroffen wurde, wenn ein anderer ihm überlegen war und dies dann auch noch eine Frau, verlor er alle Selbstbeherrschung.
Er packte ihre Hände fester, schmerzhaft fest, und der Schmerz ging durch ihren ganzen Körper, durch diesen noch wunden Körper. Kerstin schrie gequält auf.
*
Professor Albrecht durchquerte im Eilschritt die Halle. Die Schwester am Empfang sah ihm verwundert nach. Machte er denn gar keine Pause mehr, fragte sie sich.
Schwester Ruth war voller Entsetzen, als er plötzlich an ihr vorbeiging, und sie war unfähig, ihn mit irgendeinem Anliegen aufzuhalten.
Dr. Schilling und Schwester Petra kamen aus einem Krankenzimmer und sahen sich bestürzt an, als der Chef so schnell auf Frau Torstensens Zimmer zuging, und dann hörten sie, wie auch Martin Albrecht Kerstins Aufschrei.
Schwester Ruth lehnte fahl und bebend an der hellen Wand. Das verkörperte schlechte Gewissen, ging es Schwester Petra durch den Sinn, als sie in das verzerrte Gesicht hlickte.
Professor Albrecht hatte das Krankenzimmer betreten. Tonio Laurentis drehte sich um und versuchte zu lächeln, doch es misslang ihm gründlich.
»Was machen Sie hier? Wer hat Sie hereingelassen?«, fragte Martin kalt.
»Niemand«, erwiderte Laurentis, »aber ich sehe nicht ein, warum man mir den Zutritt verweigern sollte. Ihr Sohn durfte doch Kerstin auch besuchen.«
Er sagte es drohend, aber Martin Albrecht ließ sich dadurch nicht einschüchtern.
»Verlassen Sie sofort diesen Raum und auch die Klinik«, sagte er eisig.
»Sag ihm, dass du wünscht, dass ich bleibe, Kerstin«, sagte Tonio Laurentis befehlend.
Schwer atmend lag Kerstin in den Kissen. »Er soll gehen, er soll gehen«, stammelte sie.
»Sie haben es gehört, Herr Laurentis. Ich werde Sie dafür verantwortlich machen, wenn sich Frau Torstensens Zustand verschlechtert.«
Dr. Schilling erschien in der Tür.
»Brauchen Sie mich, Herr Professor?«, fragte er.