Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
»Ich weiß nicht«, murmelte Daniel. »Es schien, als gehörten die Frau und das Kind zusammen.«
»Es kann doch sein, dass sie in einem Abteil gesessen haben, dass diese junge Frau auch ein Kind bei sich hatte und dass nicht unser Tim tot ist, sondern dieses Kind. Es mag für andere grausam klingen, aber ich klammere mich an diese Hoffnung. Pennys Leben hängt an einem dünnen Faden, wenn sie erfährt, dass Tim tot ist …«, wieder unterbrach er sich. »Wir waren so glücklich, wir haben uns so gut verstanden. Penny wollte mit Tim zu uns kommen, weil mein Sohn eine Geschäftsreise antreten musste.« Er sprach mehr zu sich selbst, ein Mann, der bis ins Innerste verzweifelt war, obwohl er ganz so aussah, als hätte er immer tapfer seinen Mann gestanden.
»Es ist diese eine winzige Hoffnung«, flüsterte Walter Holzmann.
Und wenn es eine vergebliche sein sollte, war es wohl besser, er überzeugte sich gleich.
»Wenn Sie sich stark genug fühlen, könnten wir zur Behnisch-Klinik fahren, Herr Holzmann«, schlug Daniel vor. »Ich bin mit Dr. Behnisch befreundet.«
Der Mann richtete sich auf. Aus trüben, trostlosen Augen sah er Daniel an. »Ich danke Ihnen«, flüsterte er mit tonloser Stimmer.
*
Die Patienten in der Behnisch-Klinik schliefen, nur der Kleinste war munter. Er weinte nicht mehr und war schon zutraulicher geworden, aber zwischendurch sagte er nun immer wieder: »Papi gehn.«
»Morgen gehen wir zum Papi«, tröstete ihn Jenny Lenz und hoffte aus tiefstem Herzen, dass der dazugehörige Papi sich bis dahin gemeldet hatte. Alle möglichen Vermutungen hatte sie angestellt. Schließlich konnte es ja sein, dass die junge Frau mit ihrem Kind zu ihrem Mann hatte fahren wollen, dass er weit entfernt arbeitete und keine Ahnung hatte, dass sich seine Frau in dem Zug befand, vielleicht noch nicht einmal etwas von dem Unglück wusste.
Zusammengesunken saß Walter Holzmann neben Dr. Norden auf dem Beifahrersitz. »Bei uns war halt alles zu harmonisch«, murmelte er, »ohne jeden Konflikt. Unsere Penny, Tim … Dirk wird nie darüber hinwegkommen.« Dann versank er in Schweigen, und als sie bei der Behnisch-Klinik aus dem Wagen stiegen, war er kreidebleich.
Hoffentlich bekommt er nicht einen Herzanfall, ging es Daniel durch den Sinn. Wir müssen gleich Vorsorge treffen.
Aber er kam gar nicht richtig dazu, Dr. Behnisch eine ausreichende Erklärung zu geben. Aus einem Zimmer, dessen Tür einen Spalt offenstand, klang das Geplapper eines Kindes. »Nun Papi gehn.« Und da eilte Walter Holzmann schon auf diese Tür zu.
Daniel und Dieter Behnisch liefen hinter ihm her, hörten ein Aufstöhnen, ein erschütterndes Aufschluchzen: »Tim, Timmi, mein Liebling«, und dann der Kleine: »Oppi-hoppi, Oppi, Oppi.« Er jauchzte, und der Mann drückte den Kleinen an sich, während Tränen über seine Wangen rannen.
Die kleinen Hände streichelten sein Gesicht. »Nicht weine-weine, Oppi. Mami Wehweh, schläft.«
»Herrgott, ich danke dir«, flüsterte Walter Holzmann. »Es ist unser Tim.«
Dr. Norden und Dr. Behnisch tauschten einen langen Blick. Daran konnte kein Zweifel bestehen, dass dies das Kind war, das Walter Holzmann gesucht hatte, aber auch jene Patientin in Zimmer vierzehn weinte ganz jämmerlich nach ihrem Kind. Was des einen Glück, war der andern Leid.
»Ich kann ihn doch mitnehmen?«, fragte Walter Holzmann.
»Gewiss«, erwiderte Dr. Behnisch. »Er ist mit ein paar Schrammen davongekommen. Ein wahres Wunder!«
»Wir können es brauchen«, sagte Walter Holzmann. »Seine Mami ist schlimm dran.« Er hielt inne, dann: »Wäre es wohl möglich, dass wir Penny in diese Klinik bringen lassen? In diesem großen Krankenhaus ist alles so schrecklich nüchtern. Was menschenmöglich ist, möchte ich für meine Schwiegertochter getan wissen.«
Dr. Behnisch dachte an seinen Chefarzt, der recht selbstherrlich »regierte«.
»Von mir aus steht dem nichts im Wege«, erklärte er, »wenn Ihre Schwiegertochter transportfähig ist und Sie die Überführung veranlassen?«
»Ich werde mich gleich morgen darum kümmern. Jetzt soll unser Timmi heim zu Papi und Omi und in sein Bettchen.«
»Mami auch«, verlangte Tim.
»Mami kommt auch heim, bald«, sagte Walter Holzmann tröstend. »Würden Sie mir bitte ein Taxi rufen?«, bat er Daniel.
»Ich bringe Sie nach Hause«, sagte Daniel.
»Wie soll ich Ihnen nur danken«, stammelte Walter Holzmann.
»Tim hatte einen Schutzengel, ich konnte ihm nur ein bisschen helfen«, erwiderte Daniel.
*
Renate Holzmann stand im ersten Moment wie versteinert, stammelte unzusammenhängende Worte und nahm Tim dann behutsam, als zweifele sie an der Tatsache, ihn lebend in den Armen halten zu können, an ihr Herz.
»Papi?«, fragte Tim.
»Dirk ist zu Penny gefahren. Man hat ihn gerufen«, sagte Renate Holzmann bebend. »Sie ist zu Bewusstsein gekommen. Sie wird nach Tim fragen.«
»Ich muss sofort ins Krankenhaus«, sagte Walter Holzmann hastig.
»Überlassen Sie das ruhig mir«, bot sich Daniel an. »Sie sind doch mit den Nerven fertig, Herr Holzmann. Darüber sind wir uns im Klaren. Und ich kenne dort Kollegen.«
Dass man seine Einmischung nicht freudig dulden würde, war ihm auch klar, aber irgendwie war es für ihn eine gelinde Erleichterung, dass dieser Tag nicht ganz deprimierend zu Ende ging. Ein kleines Kind war in die Geborgenheit seiner gewohnten Umgebung zurückgekehrt. Vielleicht war diesen lieben Menschen auch beschieden, ihre Schwiegertochter zu behalten. Selten hatte Dr. Norden es erlebt, dass eine Schwiegertochter so abgöttisch geliebt wurde, wie es hier der Fall war.
Und dann konnte er auch noch erleben, dass auch Dirk Holzmann seine Frau unendlich liebte und mit ihr litt.
Daniel hatte ein bisschen Glück, weil Dr. Dahm Dienst hatte. Er war noch jung, und von ihm wusste er, dass er hier in diesem Krankenhaus nicht die berufliche Erfüllung gefunden hatte, die er sich wünschte. Er hatte sich nicht in die Maschinerie eingeordnet.
»Wie steht es um Frau Holzmann?«, fragte Daniel, nachdem er schnell den Grund seines Kommens erklärt hatte.
»Es besteht Hoffnung«, erwiderte Dr. Dahm, »aber wenn das Kind tot wäre …«
»Es lebt«, unterbrach ihn Daniel, »und sie muss es schnellstens und überzeugend erfahren. Lassen Sie mich zu ihr ins Zimmer.«
Leise öffnete er die Tür und hörte, wie Penny Holzmann sagte: »Ich glaube es erst, wenn ich Tim sehe. Bring ihn mir, Dirk.«
Und da saß dieser hilflose, noch unwissende, verzweifelte Mann, in sich zusammengesunken. Daniel trat an ihn heran, legte seine Hand auf die zuckende Schulter. »Ich bin Dr. Norden«, sagte er. »Ich habe Ihren Sohn eben zu Ihren Eltern heimgebracht. Es ist ihm nicht viel passiert.«
Man sah es Dirk Holzmanns Blick an, dass er diesen Worten nicht glaubte, sondern sie nur für eine Täuschung hielt, um Penny zu beruhigen.
Sie schluchzte glücklich auf. »Ich kann ihn morgen sehen?«, fragte sie.
»Ja, Sie können ihn morgen sehen«, bestätigte Dr. Norden.
»Verzeih mir, Dirk, dass ich dir nicht geglaubt habe. Ich hatte so schreckliche Angst. Jetzt geht es mir schon besser. Es tut nicht mehr so weh.« Sie sank zurück, und Dirk Holzmann starrte Daniel Norden entsetzt an.
»Sie schläft«, sagte Dr. Norden beruhigend. »Und Sie sollten jetzt auch heimfahren und schlafen, Herr Holzmann.«
Aber Dirk wollte doch erst wissen, was sich nun wirklich erreignet hatte. Es war verständlich. Daniel hatte noch niemals einen Mann so haltlos und erleichtert weinen sehen.
*
Mitternacht war vorbei,