Perry Rhodan Neo 234: Die Himalaya-Bombe. Rüdiger SchäferЧитать онлайн книгу.
Kühlschrank und musterte den Inhalt. Abgesehen davon, dass sie keinen Hunger hatte, war es bereits ziemlich spät. Sie war müde und niedergeschlagen, aber sie wusste auch, dass es sinnlos war, schon zu Bett zu gehen. In ihrem Zustand würde sie kein Auge zumachen. Schließlich griff sie nach einer Flasche Mineralwasser, ließ sich vor dem Trivid-Hologramm nieder und starrte geistesabwesend auf die Nachrichtenbilder.
»Maui John Ngata, der große alte Mann der Terranischen Union, traf gestern im Rahmen eines Staatsbesuchs in Tansania ein«, berichtete der Sprecher im blauen Anzug gerade. »Das ostafrikanische Land ist assoziiertes Mitglied der TU und strebt die Vollmitgliedschaft an.«
Hannah verfolgte gelangweilt, wie der rund 110 Jahre alte Politiker am Raumhafen von Dodoma aus einem Gleiter stieg und von einer Delegation bunt gekleideter Menschen begrüßt wurde. Im Hintergrund waren mehrere Hundert Schaulustige zu sehen. Sie wedelten begeistert mit kleinen Fähnchen, die abwechselnd die tansanische Nationalflagge und das Unionsbanner zeigten.
Ja, die Erde hatte sich verändert, seit Perry Rhodan im Jahr 2036 zum Mond geflogen und dort auf ein Raumschiff der Arkoniden gestoßen war. Vieles war besser und alles war anders geworden. Es gab kaum noch Menschen, die Hunger litten. Krankheiten, die fünfzig Jahre zuvor noch Millionen getötet hatten, galten als besiegt. Man hatte die ökologischen Folgen von Überbevölkerung, Globalisierung und Umweltzerstörung in den Griff bekommen. Seit drei Jahrzehnten gab es sogar eine Handvoll Kolonien in fremden Sonnensystemen. Und all das war in einem atemberaubenden Tempo geschehen.
Doch der Aufstieg der Terranischen Union zur Weltmacht hatte auch Schattenseiten. Noch immer warfen einige Kritiker und politische Allianzen – allen voran der Chinesische Block – Rhodan und seinen Mitstreitern Eigennutz, Arroganz und Arglist vor. Obwohl die Union ihre überlegenen technischen Errungenschaften nicht nur ihren Mitgliedern, sondern praktisch allen Menschen zugänglich machte, unterstellten manche den Verantwortlichen eine politische Agenda. Die Terranische Union, die TU, hieß es, strebe nichts weniger als die Weltherrschaft unter ihren Bedingungen an. Aus dieser Haltung waren Spannungen entstanden, die die Welt nach wie vor in Atem hielten.
Letztlich jedoch waren das Überlegungen, die für Menschen wie Hannah bestenfalls für eine oberflächliche Diskussion unter Kollegen taugten. Oder für ein paar akademische Erörterungen, nachdem man sich die Nachrichten angeschaut hatte. Die Regeln und Bedingungen legten andere fest – der Großteil der Erdbevölkerung lebte nur danach.
Sie wechselte per Blickschaltung den Kanal, und das Holo sprang auf Germany Today, einen rein deutschen Sender – wenngleich mit englischem Namen. Auch dort wurde über die Sitzung des Unionsrats und Ngatas Afrikareise berichtet.
Deutschland war – wie der gesamte europäische Kontinent – seit Langem Vollmitglied der Terranischen Union. Das hieß, dass die Bundesregierung die freiheitliche und demokratische Grundordnung der Terranischen Union ohne Einschränkungen anerkannte und sich verpflichtete, deren Prinzipien umzusetzen und einzuhalten. Im Gegenzug erhielt sie umfangreiche Unterstützung auf allen Gebieten sowie den Beistand der Terranischen Flotte im Verteidigungsfall.
Als einige Zeit später ihr Multifunktionsarmband vibrierte, schreckte Hannah aus leichtem Schlummer auf. Sie war tatsächlich vor dem Holo eingenickt. Das passierte ihr seit Neuestem häufiger. Nächstes Jahr wurde sie chronologisch fünfzig; an sich noch kein Grund, sich alt zu fühlen, aber hin und wieder sendete der eigene Körper Signale, die man nicht mehr einfach ignorieren konnte.
Wepesch hatte registriert, dass sie eingeschlafen war, und das Holo gedimmt. Der Ton war nur noch als leises Flüstern wahrnehmbar. Die Uhr am rechten unteren Rand der Bildprojektion zeigte 22.47 Uhr.
Wer ruft mich so spät noch an?, fragte sie sich verwundert.
Dann war sie schlagartig hellwach. Mama!, zuckte es durch ihren Kopf. Natürlich! Um diese Zeit erhielt sie keine guten Nachrichten mehr. Im Heim musste etwas passiert sein. Ihr Katastrophentag war also noch nicht zu Ende.
Als sie dann aber auf das Anzeigefeld ihres Multifunktionsarmbands sah, runzelte sie die Stirn. »Kennung unterdrückt. Anrufer unbekannt«, stand dort erneut.
Da war aber jemand hartnäckig – und geheimnisvoll.
»Stein?«, meldete sie sich. Wepesch legte die Verbindung automatisch in das Zentralholo des Wohnzimmers.
Das Trividbild verblasste, stattdessen schwebte der Oberkörper eines Manns im mittleren Alter über dem Glastisch. Seine dunklen Haare waren ungekämmt, der Bart auf Oberlippe und Kinn wirkte dagegen gepflegt. Das jungenhafte Grinsen in seinem ebenmäßigen Gesicht wurde eine Spur breiter, als er sie sah. Die Augen wiesen einen rötlichen Schimmer auf.
»Hallo, Hannah«, sagte Thomas Rhodan da Zoltral, als würden sie sich jeden Tag begegnen. »Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt ...«
3.
Er sieht noch fast genauso aus wie früher, dachte Hannah Stein, während sie sich hastig aus ihrer halb liegenden Position in die Senkrechte kämpfte. Am liebsten hätte sie Wepesch gebeten, die Kamera abzuschalten, aber dazu war es bereits zu spät. So etwas hätte nur albern gewirkt.
»Nein, nein«, behauptete sie und strich sich verlegen durch die dunkelbraunen Haare. »Ich habe bloß ... vor mich hin gedöst ...« Sie versuchte ein Lächeln und hoffte, dass es ihr halbwegs glaubhaft gelang.
Thomas Reginald Rhodan da Zoltral. Eins der bekanntesten Gesichter des ganzen Planeten. Der Sohn des berühmten Perry Rhodan höchstpersönlich. Für einen Moment war sie zu glauben bereit, dass sie träumte, wünschte es sich sogar beinahe. Doch dann stieß sie beim Aufrappeln gegen die leere Weinflasche und fegte sie vom Tisch. Das Getöse, das beim Aufprall auf den Laminatboden entstand, kam ihr lauter vor als die Domglocken an Heiligabend.
Wunderbar, dachte sie resigniert. Da hinterlasse ich ja gleich den richtigen Eindruck. Eine alternde Historikerin, die nach Genuss von zu viel Rotwein auf der Couch einschläft.
»Tut mir leid, dass ich so spät noch störe«, sagte Thomas. »Ich habe es heute schon ein paarmal versucht. Und nun habe ich den Zeitunterschied vergessen. Das passiert mir leider öfter.«
»Das ... Das ist völlig okay.« Diesmal glückte ihr das Lächeln deutlich besser. »Ich gehe normalerweise nie vor Mitternacht ins Bett. Der heutige Tag war allerdings ziemlich anstrengend. Ich habe dich einfach ... ignoriert.«
»Damit kann ich leben ... auch wenn ich so etwas nicht gewohnt bin.« Thomas grinste frech.
Hannah hatte sich inzwischen von der Überraschung erholt und wieder gefangen. Fast automatisch kehrte sie in Gedanken in den Sommer des Jahres 2064 zurück. Zu dieser Zeit hatte sie noch in Düsseldorf studiert. Als sie der junge, unverschämt gut aussehende Mann, dessen Grinsen sich auch ein Vierteljahrhundert später nicht verändert hatte, angesprochen und nach dem Weg zum Rektoratsbüro gefragt hatte, hatte ihr Herz mehrere Schläge übersprungen und sie war puterrot geworden. Sie hatte ihn nur völlig überwältigt angestarrt und kein Wort herausgebracht.
Doch Thomas Rhodan, schon damals eine prominente Persönlichkeit, die regelmäßig in den Medien auftauchte, hatte die für sie so unendlich peinliche Situation überspielt, indem er sie kurz entschlossen unterhakte und mit sich zog. »Du kannst mir den Weg natürlich auch zeigen«, hatte er dabei gesagt, und auf einmal war ihre Beklemmung wie weggeblasen gewesen.
In den folgenden Monaten hatten sie sich öfter gesehen. Thomas hatte sich für ein Gastsemester im Rahmen seiner Ausbildung in Deutschland aufgehalten. Die zwischen den Düsseldorfer Stadtteilen Bilk und Wersten gelegene Heinrich-Heine-Universität war weltweit für ihre hervorragende naturwissenschaftliche Fakultät bekannt. Thomas hatte sich für Astrophysik und Hyperinformatik immatrikuliert, und obwohl sie nie ein Paar geworden waren, hatten sie sich doch von Anfang an verstanden und viel gemeinsam unternommen. Sie hatte sich ein bisschen um ihn gekümmert, und er hatte ihr das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein.
Als Thomas nach Terrania zurückkehrte, war sie traurig gewesen. Er hatte sich noch zwei- oder dreimal bei ihr gemeldet, sie sogar eingeladen, ihn zu besuchen, damit er sich revanchieren