Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
eisern fest. Sie hatte absolut keine Chance, sich irgendwie zu befreien.
Auf einmal surrte etwas an ihrem Ohr vorbei und traf Mark gegen den Kopf.
»Au!«, schrie er und ließ Olivia los. Sie torkelte kurz, konnte sich allerdings sehr schnell wieder fangen.
»Was ist denn?«, rief Thompkins.
»Mich hat etwas gebis…« Es surrte wieder und diesmal traf es Marks Auge. »Verdammt! Ich werde beschossen!«
Olivia blickte sich um, sah aber niemanden. Sie hörte das nächste Surren und diesmal fuhr sich der Glatzkopf ins Gesicht.
»Autsch! Mich auch!«, schrie er. Er griff in die Innentasche seiner Jacke und zog eine Pistole heraus.
Thompkins hielt sich ebenfalls das Ohr. Offenbar war auch er getroffen worden. »Lasst das, wir hauen ab!«, rief er und zog den Kopf ein, als es ein weiteres Mal surrte. Der Kerl, der Randy gehalten hatte, ließ ihn los und rannte zum Chevy.
Dann ging alles ganz schnell. Olivia hörte Autotüren schlagen, Motoren aufheulen, Reifen quietschen – und dann sie waren weg.
»Olivia!«, stammelte Randy.
Sie blickte auf. Er lag einige Meter entfernt zusammengekrümmt. Aus seiner Nase lief Blut und seine Lippe war aufgeplatzt. Olivia zwang sich aufzustehen, auch wenn sie sich am liebsten zusammengerollt und geheult hätte. Sie schwankte zu Randy und griff nach seinem Ellbogen. »Kannst du aufstehen?«
»Ich denke schon.« Randy richtete sich auf und betastete sein Gesicht.
»Du musst zu einem Arzt«, sagte sie. Mal wieder. Erst der Sturz aus dem Fenster, jetzt das.
»Ist, glaube ich, nicht so schlimm«, sagte er, aber da er käseweiß im Gesicht war, glaubte sie ihm kein Wort.
»Wir müssen Hilfe rufen.«
»Mein Handy ist hinüber. Der Kahlkopf hat es zertreten.«
»Meins ist in der Fototasche. Warte.« Olivia klopfte sich den Dreck von den Hosen und wischte die nächsten Tränen von der Wange, als es im Gebüsch neben dem Parkplatz raschelte. Ein Junge mit schwarzen Strubbelhaaren und einer Steinschleuder in der Hand kam aus dem Dunkel gelaufen. Er war schätzungsweise um die zehn, elf Jahre alt und in Begleitung eines älteren dunkelblonden Typen, in Olivias Alter.
»Hallo«, sagte sie.
Der Ältere legte den Kopf schräg und musterte sie.
Randy trat neben Olivia.
»Du blutest«, sagte der Ältere und zeigte auf Randy.
Randy fasste sich an die Nase. »Ist nicht so schlimm«, wiederholte er, aber er schwankte leicht. Olivia legte den Arm um seine Hüfte und stützte ihn.
»Das muss versorgt werden. Kommt«, sagte der Ältere, und ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte er um und verschwand mit dem Jüngeren wieder im Gebüsch.
Olivia und Randy blickten sich an. Sie wollte nichts lieber, als sich in ihren Wagen setzen, nach Hause fahren und die ganze Nacht lang duschen. »Was meinst du?«
»Ist wirklich nicht so …«, statt weiterzusprechen, torkelte er wieder. Olivia umschlang ihn fester, damit er nicht umkippte.
»Also gut. Wir gehen mit ihnen. Ich hole nur noch meine Kamera, oder zumindest das, was davon noch übrig ist.«
Sie hob ihre Tasche auf, ohne hineinzublicken. Das würde sie später tun, wenn sie sich auf den Schock vorbereitet hatte, der sie unweigerlich darin erwarten würde.
Gemeinsam folgten sie den beiden Unbekannten.
*
Auf der Gedenkfeier von Henry Snyder
»Ach du großer Gott!«, rief Mrs. Snyder und schob sich an Mrs. Bertram vorbei zur Tür hinein. »Ach du großer Gott!«, wiederholte sie, hielt sich die Hand aufs Herz und hyperventilierte. »Henrys Filme! Wie könnt ihr es wagen?«
Ja, das fragte sich Mason auch gerade. Wie konnte Danielle nur? Er fuhr sich an die Lippen, die von dem Kuss noch glühten, und sah entschuldigend zu Mrs. Snyder
»Sein Heiligtum!«, schrie Mrs. Snyder. »Sein Ein und Alles. Was habt ihr getan?«
Mason blickte sich um. Einige der Dosen lagen auf dem Boden verstreut. Danielle bückte sich und sammelte sie wieder auf. »Ach, wie dumm. Entschuldigen Sie, Mrs. Snyder.« Rasch stapelte sie die Dosen aufeinander und gab sie Mason. »Hilfst du mir mal, sie zurückzustellen, bitte?«
Sie reichte ihm den Stapel. »Sie müssen wieder nach Datum geordnet werden, so wie sie im Regal lagen.«
Mason nahm die Filme entgegen und verstand. So würden sie die Gelegenheit haben, noch mal einen Blick auf das Datum der Filme zu werfen. Wenn der richtige dabei wäre, könnten sie den vielleicht unbemerkt einstecken und verschwinden. »Natürlich. Tut mir echt leid, Mrs. Snyder.«
Er nahm die Dosen, blickte auf das Datum, bevor er sie wieder wegstellte. Mrs. Snyder stand neben ihnen, presste die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf.
Nach ein paar Minuten hatten sie alles aufgeräumt. Leider war kein Film aus dem Herbst 1984 dabei. Wäre auch zu schön gewesen, dachte Mason.
»Fertig«, sagte Danielle. »Bitte entschuldigen Sie noch mal, Mrs. Snyder. Das war sehr … pietätlos von uns.«
Mrs. Snyder nickte nur. Dann fing sie wieder mit dem Kopfschütteln an. Eine dicke Träne kullerte ihre Wange hinab.
»Wir sollten gehen«, sagte Mason und griff Danielle am Arm.
Sie liefen zum Ausgang. Die anderen Gäste, die die Führung mit Mrs. Bertram gemacht hatten, warteten zum Teil im Flur oder standen beisammen und taten so, als ginge sie das alles nichts an. Alle, bis auf eine.
Mrs. Holt stürzte herbei. Ihre Augen funkelten zornig. Sie packte Danielle am Arm und zerrte sie aus dem Kino. »Komm sofort mit. Du auch, Collister!«
Danielle protestierte, doch es half nichts. Shannon schleifte ihre Tochter mit sich, wie einen Sack Kartoffeln. Mason folgte mit einigem Abstand. In der Eingangshalle gelang es Danielle schließlich, sich von ihrer Mutter zu lösen. Sie betrachtete ihren Ellbogen, der knallrot war.
»Du wirst dich ab sofort von diesem Jungen fernhalten!«, schrie Danielles Mum.
»Ich bestimme meine Freunde selbst, das sagte ich dir ja bereits«, erwiderte Danielle.
»Oh nein, junge Dame. So nicht!« Shannon packte ihre Tochter erneut und zog sie zur Ausgangstür. »Ab sofort wirst du auf unbestimmte Zeit nicht mehr zum Reiten gehen. Du hast außerdem Hausarrest.«
»Mum …«, wollte Danielle einwerfen, aber Shannon zerrte sie zur Tür hinaus. »Wenn du dich mir noch einmal widersetzt, werde ich dich zu Brandon nach Harvard schicken!« Sie verschwand mit Danielle in der Dunkelheit. Mason lief langsam hinterher und sah den beiden nach.
Es regnete mittlerweile. Mrs. Holt hielt ihre Handtasche als Schutz über den Kopf und eilte zum Wagen. Danielle blickte über ihre Schulter zurück zu Mason. Sie warf ihm einen mitleidigen Blick zu, wollte noch etwas sagen, aber ihre Mutter war derart in Rage, dass Danielle nicht mehr zu Wort kam. Eine Limousine fuhr vor. George stieg aus und hielt die Tür auf, ohne eine Miene wegen Shannons Gekeife zu verziehen. Die Schimpftiraden von Shannon Holt verstummten erst, als George die Autotüren schloss.
Und wie komme ich jetzt heim? Mason blickte dem davonfahrenden Auto hinterher und empfand Mitleid für Danielle. Sie saß echt in einem goldenen Käfig.
Mason seufzte und drehte sich zu einem der Türsteher um. »Können Sie mir vielleicht ein Taxi rufen?«
»Ich fürchte nicht, Sir, aber in der Eingangshalle ist ein Telefon, das Sie gerne benutzen dürfen. Gleich neben der Glasvitrine.«
»Danke.«